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NAHOST/994: Lösen Lula und Erdogan den Atomkonflikt mit dem Iran? (SB)


Lösen Lula und Erdogan den Atomkonflikt mit dem Iran?

Dreier-Gipfel in Teheran weist Weg aus der Konfrontation auf


Der 17. Mai wird in die Geschichtsbücher als der Tag gehen, an dem entweder die Beilegung des jahrelang schwelenden Atomstreits der USA mit dem Iran endlich eingeleitet oder an dem die letzte Gelegenheit hierzu vertan wurde. An diesem Tag nämlich haben in Teheran der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad und seine brasilianischen und türkischen Amtskollegen Luiz Inacio Lula da Silva und Recip Tayyip Erdogan ein Abkommen unterzeichnet, demzufolge die Iraner fast ihre gesamten Bestände an schwachangereichertem Uran in die Türkei auslagern werden. Im Gegenzug sollen sie mittelangereichertes Uran zum Betrieb eines Forschungsreaktors in Teheran, aus dem Isotope für die Behandlung von Krebspatienten gewonnen werden, erhalten.

Ende letzten Jahres ist ein solcher Austauschplan an den Forderungen der Teheraner Regierung bzw. der Weigerung des Westens, diese zu akzeptieren, gescheitert. Weil die Islamische Republik im Atombereich schlechte Erfahrungen mit dem Westen gemacht hat - Verträge aus der Zeit des Schahs wurden nach dessen Sturz im Jahre 1979 nicht mehr eingehalten, und Gelder aus Vorauszahlungen der Iraner in Millionenhöhe auch nicht zurückerstattet -, hatte die Regierung in Teheran zwei Bedingungen gestellt: erstens, daß der Iran zeitgleich mit der Aushändigung seines schwachangereicherten Urans das Material zur Herstellung der medizinischen Isotope erhalte, und zweitens, daß der Austausch im Iran selbst stattfinde. Auf diese Weise sollte verhindert werden, daß der Iran seinen Bestand an schwachradioaktivem Material aus der Hand gibt, ohne irgend etwas dafür zu bekommen. Die westlichen Mächte, insbesondere Frankreich, wo das iranische Uran nach einer Anreicherung von 3,5 auf 20 Prozent in Rußland zu Brennstäben für den medizinischen Reaktor verarbeitet werden sollte, wiesen die Forderung Teherans als unerhört und beleidigend zurück.

Die Empörung der Regierungsvertreter der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands, die zusammen mit Rußland und China im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Kurs im Atomstreit zu bestimmen versuchen, ist so leicht erklärlich wie sie durchsichtig ist. Die NATO-Verbündeten und Israel sind diejenigen, die aufgrund irgendwelcher Nonsense-Geschichten wie der von den angeblich auf einem aus dem Iran herausgeschmuggelten Laptop befindlichen Dateien über den Raketen- und Sprengkopfbau über die Iraner richten und diese öffentlich und ununterbrochen bezichtigen, heimlich eigene Atombomben zu entwickeln. Die Befürchtung bzw. die Unterstellung der Iraner, die Gegenseite im Atomstreit könnte Teheran betrügen, läuft der auf allereinfachste Gemüter zugeschnittenen, gemeinsamen Narrative Berlins, Londons, Paris' und Washingtons - Westen gut und ehrlich, Iraner böse und hinterlistig - diametral entgegen und dürfte deshalb nicht ernst genommen werden.

Vor diesem Hintergrund erscheint das, was Ahmadinedschad, Lula und Erdogan vereinbart haben, eine Lösung zu sein, mit der alle leben könnten. Nach dem am 17. Mai vereinbarten Abkommen soll der Iran vor Ende des Monats 1200 Kilogramm schwachangereichertes Uran in die Türkei verlegen. Innerhalb eines Jahres sollen die Iraner 120 Kilogramm mittelangereichertes Uran für den medizinischen Reaktor in Teheran erhalten. Die Türkei garantiert, daß der Iran, sollte der Austausch nicht wie geplant ablaufen, sein schwachangereichertes Uran "unverzüglich und bedingungslos" zurückbekommt. Die Tatsache, daß derzeit Brasilien und die Türkei als nicht-ständige Mitglieder im UN-Sicherheitsrat vertreten sind, gibt der Vereinbarung von Teheran zusätzliches politisches Gewicht.

Im Abkommen ist unklar, ob das in die Türkei ausgelagerte Uran lediglich als Sicherheit dient oder ob ein Teil davon zwecks weiterer Anreicherung und Herstellung mittelangereicherter Brennstäbe nach Rußland und Frankreich transportiert werden soll. Selbst wenn ersteres der Fall sein sollte, müßte das den Westen zufriedenstellen, ging es dessen Vertreter angeblich die ganze Zeit über darum, das von den Iranern schwach angereicherte Uran außer Landes zu schaffen, um die Weiteranreicherung des Materials zwecks Atomsprengkopfbaus zu verhindern und die Gefahr der Entstehung einer iranischen Nuklearwaffe für mindestens zwei Jahre zu bannen. Auf diese Weise sollte "Entspannung" in den Atomstreit kommen, wurde jedenfalls suggeriert. Vor diesem Hintergrund hat der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu, der am 15. und 16. Mai in stundenlangen Sitzungen mit den Brasilianern und Iranern das Abkommen ausgehandelt hatte, nach dessen feierlicher Unterzeichnung der Weltpresse erklärt: "Der Austausch-Deal zeigt, daß Teheran einen konstruktiven Pfad nehmen will ... Für neue Sanktionen und Zwangsmaßnahmen gibt es keinen Grund mehr."

Nun liegt die Entscheidung bei der sogenannten Vienna Group - die USA, Frankreich, Rußland und die Internationale Atomenergieagentur (IAEA), die letztes Jahr dem Iran das ursprüngliche Angebot gemacht hat und die Teheran nun innerhalb einer Woche von der Vereinbarung mit Ankara und Brasilia offiziell informieren soll -, ob für sie die jüngste Verhandlungslösung akzeptabel ist oder nicht. Aus Rußland kommen derweil positive Signale. Präsident Dmitri Medwedew, der letzte Woche beim Besuch in der Türkei den Bau eines russischen Kernreaktors dort vereinbarte, hat das Abkommen von Teheran als positives Signal gedeutet. Offiziell hat es aus Frankreich und den USA bislang keine Reaktion gegeben. Die Israelis haben die Vereinbarung als "Finte" kritisiert und Erdogan und Lula vorgeworfen, sich von den Iraner "manipulieren" zu lassen.

Ob sich die USA vom Standpunkt Tel Avivs beeindrucken lassen, ist eine andere Frage. Während am 14. Mai US-Außenministerin Hillary Clinton die Chancen, daß beim Dreiergipfel der Durchbruch erzielt werde, öffentlich als "gering" eingestuft hat und auf den türkischen Amtskollegen Davutoglu telefonisch eingeredet haben soll, seine Verhandlungsbemühungen lieber zu lassen, soll Barack Obama persönlich am selben Tag mit Erdogan fernmündlich kommuniziert und diesen angefeuert haben, in Teheran eine Lösung zu finden, die alle das Gesicht wahren ließe. Letztere brisanten Details lieferte der Historiker Stephen Kinzer, Autor des preisgekrönten Buchs "All The Shah's Men" über den von der CIA betriebenen Sturz der iranischen Regierung Mohammed Mossedeghs im Jahre 1953, am 17. Mai auf der Website der britischen Tageszeitung Guardian. Also auf die Stellungnahmen des Weißen Hauses und des State Department - wie übrigens des Elysée-Palasts und des Quai D'Orsay - zur jüngsten Entwicklung im Atomstreit darf man gespannt sein.

17. Mai 2010