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NAHOST/993: OECD nimmt Israel als 32. Mitglied auf (SB)


Aufstieg in den elitären Kreis der westlichen Industrienationen


Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nimmt Israel als neues Mitglied auf. Wie die in Paris ansässige Vertretung der Industriestaaten mitteilte, wurde der Beitritt Israels einstimmig gebilligt, das ebenso wie Estland und Slowenien beim Ministerrat am 27. Mai offiziell aufgenommen wird. Die Organisation wird dann 34 Staaten umfassen. Vorangegangen waren drei Jahre intensive Verhandlungen und eine massive Lobbyarbeit Jerusalems. Im Januar hatte die OECD Israels Bekämpfung der Wirtschaftskrise gelobt - die Wirtschaftsleistung soll in diesem Jahr zwischen drei und 3,5 Prozent steigen - zugleich aber noch mehr Anstrengungen im Kampf gegen die Korruption insbesondere bei Exportgeschäften israelischer Unternehmen gefordert. [1]

Die OECD versteht sich als Forum zur Abstimmung der Politik in verschiedensten Bereichen und liefert dazu umfassende Statistiken und Berichte, die den Mitgliedsregierungen als Entscheidungshilfe dienen sollen. Sie war 1961 gegründet worden und hat bisher 31 Mitglieder. Neben einem großen Teil der europäischen Staaten zählen auch Japan, Südkorea, Mexiko, Kanada und die Vereinigten Staaten dazu. Die OECD ist nach langer Pause seit einigen Jahren wieder auf Erweiterungskurs und hat zuletzt Ende vergangener Woche Chile als Mitglied aufgenommen. Wie die Organisation nun erklärte, wolle sie mit der Erweiterung "eine wichtigere Rolle in der weltweiten Wirtschaftsarchitektur spielen". Mit der Billigung der Mitgliedschaft von Israel, Estland und Slowenien würden die Bemühungen dieser Länder honoriert, Korruption zu bekämpfen, intellektuelle Eigentumsrechte zu schützen und eine Unternehmensführung auf hohem Niveau zu sichern. [2]

Um die Vorbehalte aus dem Feld zu schlagen, die vor allem Norwegen, Irland und die Schweiz geäußert hatten, waren in den letzten Monaten Industrieminister Minister Benjamin Ben-Eliezer, Sozialminister Isaac Herzog und Minderheitenminister Avishay Braverman zum OECD-Sitz nach Paris gereist. Dieser massive Druck der israelischen Führung für eine Aufnahme räumte die verbliebenen Hindernisse beiseite und bereitete der politischen Entscheidung zugunsten Israels den Weg. [3]

In Israel, das mit der Aufnahme jetzt dem elitären Kreis der führenden westlichen Industriestaaten angehört, feiert man die Entscheidung der OECD als ebenso prestigeträchtiges wie finanzökonomisch vorteilhaftes Ereignis. "Herzlichen Glückwunsch. Das ist ein historischer Tag. Israel wurde als aufgeklärter moderner Staat mit einer starken Wirtschaft anerkannt", erklärte der israelische Finanzminister Juval Steinitz in einem Rundfunkinterview.

Israel erwartet in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum um 3,3 Prozent, das sich vor allem der boomenden Hightech-Sparte verdankt, und hat die Inflation auf einen Tiefstand von 3 Prozent gebracht. Erkauft wurde diese Entwicklung jedoch mit einer extrem angespannten sozialen Lage, da inzwischen 24,7 Prozent der Bevölkerung an der Armutsgrenze leben, wobei nach Angaben der Zeitung "Haaretz" der Anteil bei Arabern und Orthodoxen bei bis zu 60 Prozent liegt. Von der Aufnahme in die OECD erhofft man sich ein günstigeres Finanz-Rating, das sich derzeit auf einem tiefen Stand befindet. Erwartet werden auch verstärkte ausländische Investitionen, wobei für Anleger insbesondere Projekte im Hightech-Bereich wie etwa im Solarsektor interessant sein dürften. Finanzminister Juval Steinitz meinte gar euphorisch, nun würden Milliarden von Dollars in die Innovationsprojekte fließen.

Im Namen der palästinensischen Autonomieregierung hatte Außenminister Rijad al-Maliki im Vorfeld eindringlich darauf hingewiesen, daß die israelische Besetzung der Westbank und die damit verbundenen Behinderungen im Reise- und Warenverkehr nicht vereinbar mit den Statuten der OECD seien. Zudem monierte man "undurchsichtige Wirtschaftsangaben", da Israel der OECD auch die industrielle Produktion in den illegalen Siedlungen als Teil seiner eigenen Wirtschaft angegeben hat. Die Organisation Gusch Schalom des Friedensaktivisten Uri Avnery rief zur Unterschrift einer Petition auf, Israel erst nach einem Rückzug aus allen besetzten Gebieten in die OECD aufzunehmen. Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP bedauerte al-Maliki nun deren Entscheidung und erklärte, damit hätten die Palästinenser "eine Schlacht verloren". Der Aufnahmebeschluß verstoße gegen "die Grundprinzipien der Organisation", die nun einen Staat aufnehme, "der täglich die Menschenrechte und internationales Recht verletzt". Pro-palästinensische Organisationen demonstrierten vor dem Pariser OECD-Sitz gegen die Entscheidung.

Wie wenig sich die Verbündeten Israels um dessen gebrochene Zusagen und die Belange der Palästinenser kümmern, dokumentiert unterdessen auch die unausgesetzte Bautätigkeit in Ostjerusalem und dem angrenzenden jüdischen Siedlungsgürtel, der die Abtrennung vom Westjordanland vollenden soll. Die indirekten Annäherungsgespräche unter der Vermittlung des US-amerikanischen Ex-Senators George Mitchell wurden unmittelbar nach der offiziellen Zustimmung zu den Gesprächen durch das Führungsgremium der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in Ramallah und der Verkündung des Beginns der seit 18 Monaten unterbrochenen Friedensverhandlungen erst einmal für eine Woche ausgesetzt.

Wenngleich sich beide Seiten "erfreut" über den neuen Anlauf äußerten, fehlte es zwangsläufig an Begeisterung. Wie es auf palästinensischer Seite hieß, habe man keine andere Wahl gehabt, als dem Wunsch des US-Präsidenten Barack Obama zu entsprechen. Chefunterhändler Saeb Erekat drohte mit einem sofortigen Abbruch der Verhandlungen, falls israelische Bautätigkeit in den Siedlungen oder in Ostjerusalem entdeckt würde. Unverzüglich lieferte Peace Now Informationen über den Neubau von 46 Wohnungen auf dem Gelände eines ehemaligen Polizeihauptquartiers in Ras el Amud in Ostjerusalem. Daraufhin forderte Erekat amerikanische Diplomaten auf, diese Angaben zu überprüfen, wobei er von einer "verrückten Regierung Israels" sprach. Die Palästinenser berufen sich auf Garantien zu einem tatsächlichen israelischen Baustopp während der auf vier Monate angelegten Annäherungsgespräche. Im Gegenzug habe sich Mahmoud Abbas gegenüber den Amerikanern verpflichtet, jegliche "Hetze" gegen Israel zu unterbinden. [4]

Obgleich offizielle israelische Sprecher nun beklagen, daß die Bautätigkeit in der gesamten "vereinten Hauptstadt Israels" zum Erliegen gekommen sei, stehen die Baukräne in Ostjerusalem, darunter in den Vierteln Har Homa, Gilo und anderswo jenseits der "Grünen Grenze" von 1967 keineswegs still. Wie der Sender "n-tv" auf Grund von Korrespondentenberichten unterstreicht, läßt sich Bautätigkeit nun einmal nicht verheimlichen. Um drehende Kräne und Bauarbeiter zu sehen, bedürfe es nicht einmal palästinensischer Warnungen, israelischer Friedensorganisationen oder amerikanischer Diplomaten. Man müsse lediglich zehn Minuten durch die betreffenden Viertel und Siedlungen fahren, um allenthalben rege Bauarbeiten zu beobachten.

Anmerkungen:

[1] Israel neu Mitglied der OECD (10.05.10)

http://www.nachrichten.ch/detail/439723.html

[2] OECD nimmt Israel, Estland und Slowenien auf (10.05.10)
http://www.zeitong.de/ng/da/2010/05/10/oecd-nimmt-israel-estland-und-slowenien-auf/

[3] Israel 32. Mitglied der OECD (10.05.10)
http://www.berlinerumschau.com/index.php?set_language=de&cccpage=11052010ArtikelPolitikIMuellermertens

[4] Gebaut wird trotzdem. Israel ist OECD-Mitglied (10.05.10)
http://www.n-tv.de/politik/dossier/Israel-ist-OECD-Mitglied-article865823.html

11. Mai 2010