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NAHOST/952: Goldstone-Bericht bereitet Israel Bauchschmerzen (SB)


Massaker im Gazastreifen ist noch längst nicht unter den Tisch gekehrt


Bislang ist es Israel stets gelungen, auf Grundlage bedingungsloser Unterstützung seitens der USA in internationalen Gremien Kritik an seiner Politik wirksam zu blockieren. Israelische Regierungen pflegten die Staatengemeinschaft nur dann zu akzeptieren, wenn sie als Zustimmungsapparat funktionierte, jedoch für irrelevant zu erklären, sobald das nicht der Fall war. Da die Vereinigten Staaten als Seniorpartner in diesem Pakt auf dieselbe Weise verfahren, hielt das Gespann unbeirrbar den Kurs absoluter Suprematie seiner Interessen.

Israel pflegte die UNO-Menschenrechtskommission unter dem Vorwurf, sie diene sich seinen Gegnern als Plattform an, ungestraft zu mißachten. Nicht anders verfuhr man mit dem Menschenrechtsrat, der jahrelang von den USA boykottiert wurde. Inzwischen hat die Obama-Regierung jedoch eine neue Ära des Engagements in Aussicht gestellt und ihr Land zu einem Mitglied dieses Gremiums gemacht. Wenngleich diese Maßnahme im Rahmen der Strategie zu sehen ist, die Entfremdung der Bush-Ära abzubauen und die Verbündeten wesentlich stärker in die Kriege der neuen Weltordnung einzubinden, ist nicht auszuschließen, daß die monolithische Blockbildung zwischen den USA und Israel zumindest befristet einige Risse bekommt.

Nun liegt der Goldstone-Bericht auf dem Tisch, welcher der israelischen Regierung beträchtliche Bauchschmerzen bereitet. Diese hat das gezielte Massaker an palästinensischen Zivilisten im Gazastreifen zur Jahreswende bislang in der sicheren Zuversicht geleugnet, daß die Welt diese Eskalation der Greueltaten ebenso schlucken werde wie alle vorangegangenen militärischen, politischen und administrativen Grausamkeiten. Daß Richard Goldstone dabei nicht mitspielen würde, war frühzeitig bekannt, weshalb Israel die Zusammenarbeit mit der von ihm geführten UNO-Kommission von vornherein ablehnte. Als Feind Israels diskreditieren läßt sich Goldstone jedoch schwerlich, da er als kompetent, integer und eine Autorität auf dem Gebiet von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen gilt. [1]

Weil die übliche Strategie, solche Personen aus allen Rohren der gut geölten Propagandamaschine zu beschießen und zu bedrohen, bis kritische Einwände übertönt und zum Schweigen gebracht sind, bei Goldstone fehlschlagen dürfte, sind gewisse Paniksignale nicht zu übersehen. Der Bericht spricht von Kriegsverbrechen der israelischen Streitkräfte, womit er auf einer Linie mit anderen internationalen Untersuchungen liegt, die zu demselben Schluß kamen. Nun kämpft Israel mit Zähnen und Klauen darum, den Report wieder in der Schublade verschwinden zu lassen, ehe er am Ende noch Schaden anrichtet, indem Konsequenzen aus ihm gezogen werden. Unmittelbar hat die israelische Regierung zwar nichts zu befürchten, doch wenn die Mauer, mit der sie sich gegen jegliche Kritik abschottet, an irgendeiner Stelle wacklig wird, ist ein Dominoeffekt nicht auszuschließen.

Dieser Report sei in Sünde geboren, tobte Mark Regev, der Sprecher der israelischen Regierung, womit er natürlich nicht die Sünden der marodierenden Armee im Gazastreifen meinte. Wie man anhand dieser Aussage jedoch entschlüsseln kann, nimmt die Verteufelung der Kritik längst so extreme und absurde Züge an, daß ihr Blatt jederzeit überreizt sein kann. Das israelische Außenministerium kündigte "Schritte zur Schadensbegrenzung" an, um zu verhindern, daß der Bericht seinen Weg durch die UNO-Gremien nimmt.

Der Menschenrechtsrat will sich am 29. September mit dem Goldstone-Bericht befassen, und sollte dieser dabei Unterstützung finden, könnte der UNO-Generalsekretär beantragen, den Report im Sicherheitsrat zu behandeln. Wären diese Schritte schon für sich genommen sehr unangenehm für Israel, drohten danach erstmals Sanktionen, da der Sicherheitsrat den Internationalen Strafgerichtshof einschalten kann. Dazu wird es zwar nicht kommen, doch muß die israelische Regierung befürchten, daß immer wiederkehrende Debatten um ein derart brisantes Thema, das sie unter den Tisch zu kehren versucht, an irgendeiner Stelle doch auf sie zurückschlagen.

Mißtrauisch verfolgt man die Haltung der Amerikaner, und so mutmaßten israelische Kommentatoren bereits, die US-Regierung könne den Goldstone-Bericht womöglich als Druckmittel begrüßen, um den Bemühungen ihres Nahost-Vermittlers George Mitchell Nachdruck zu verleihen. Wenngleich das strategische Bündnis zwischen den USA und Israel außer Frage steht, könnte doch ein Dissenz hinsichtlich der taktischen Marschrichtung auftreten, auf welche Weise sich der Rest der Welt am günstigsten über den Tisch ziehen läßt. Die Doktrin der israelischen Rechtsregierung, schon der allergeringste konkrete Kompromiß sei der Anfang vom Ende Israels, läßt sich schlecht mit der amerikanischen Propagandakampagne zur vollen Deckung bringen, die vollmundig eine Friedenslösung in diesem Konflikt in Aussicht stellt. Wie zwei Regisseure, die gemeinsam eine große Scharade auf die Bühne bringen, ohne sich über die Inszenierung einigen zu können, die beim Publikum am besten ankommt, spielen Obama und Netanjahu einander die Bälle so mißvergnügt zu, daß bei den irritierten Zuschauern langsam aber sicher der Entschluß reifen könnte, sich von einer solchen Posse nicht länger zum Narren halten zu lassen.

Anmerkungen:

[1] Warum der Goldstone-Bericht für Israel gefährlich ist. Weiterer Weg in den Uno-Gremien entscheidend (18.09.09)
NZZ Online

19. September 2009