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MILITÄR/909: Zahl der US-Luftangriffe weit höher als gemeldet (SB)


Zahl der US-Luftangriffe weit höher als gemeldet

Military Times stößt auf skandalöse Datenlücke


Seit längerem streitet die Regierung der USA mit diversen Bürgerrechtsgruppen aus dem In- und Ausland über das tatsächliche Ausmaß der Opfer von Drohnenangriffen der CIA und des Pentagons auf "terroristische" Ziele. Ende 2016 behauptete die scheidende Administration Barack Obamas, in den zurückliegenden acht Jahren seien lediglich zwischen 64 und 116 Zivilisten in Afghanistan, Pakistan, dem Irak, Syrien, dem Jemen, Somalia und Libyen bei US-Drohnenangriffen ums Leben gekommen. Dem widersprach das in London ansässige Bureau of Investigative Journalism (BIJ) mit einer eigenen Studie, in der die Zahl der zivilen Todesopfer zwischen 492 und 1.077 beziffert wurde. Was die Anzahl der getöteten Zivilisten bei Luftangriffen bemannter amerikanischer Flugzeuge betrifft, könnte die Zahl ebenfalls weit höher als offiziell angegeben sein. Dies geht aus einem alarmierenden Artikel hervor, der am 5. Februar auf der Website der Military Times unter der Überschrift "The U.S. military's stats on deadly airstrikes are wrong. Thousands have gone unreported" erschienen und worüber seitens der großen Konzernmedien bezeichnenderweise wenig berichtet worden ist.

Autoren des Artikels sind die Military-Times-Redakteure Shawn Snow und Andrew deGrandpre. Letzter hat jahrelang als Pentagon-Korrespondent der hauptsächlich von US-Militärpersonal gelesenen Zeitung gearbeitet. Aufgrund ihrer Recherche gelangten die beiden Reporter zu der bis dahin unbekannten Erkenntnis, daß die Angaben CENTCOMs in Bezug auf Luftangriffe in den ihm unterstellten Kriegsgebieten Afghanistan, Syrien und Irak recht unvollständig sind. Der Hauptgrund dieses Mangels ist der Umstand, daß CENTCOM die Zahl der von Maschinen der US-Luftwaffe geflogenen Kriegseinsätze in allen drei Ländern veröffentlicht, nicht aber derjenigen von Flugzeugen der US-Armee. Erst nach mehr als 15 Jahren Antiterrorkrieg ist die US-Presse nun auf diesen Sachverhalt gestoßen.

In allen drei genannten Ländern setzt die US-Armee bei Operationen gegen Taliban, Al Kaida oder die "Terrormiliz" Islamischer Staat regelmäßig Kampfhubschrauber von Typ Apache und Blackhawk, gelegentlich auch eigene Drohnen vom Typ MQ-1 Gray Eagle und RQ-7 Shadow, ein. Die Besatzungen der Kampfhubschrauber machen hauptsächlich von ihren mächtigen Bordkanonen Gebrauch, können aber auch die von der CIA bei Drohnenangriffen verwendeten, jeweils 100.000 Dollar teueren Hellfire-Raketen verschießen. In Afghanistan listet die US-Luftwaffe nach jeder Operation die eingesetzten Flugzeugtypen auf; im Irak und in Syrien geschieht dies aber nicht. Was Zahl und Umfang der Luftangriffe von Pentagon und CIA in Afrika betrifft, können Außenstehende nur raten. Aus prinzipiellen Gründen gibt das Afrika-Kommando der US-Streitkräfte (AFRICOM) mit Sitz im baden-württembergischen Möhringen die entsprechenden Daten nicht preis.

So kommen Snow und deGrandpre in ihrem aufschlußreichen Beitrag zu dem niederschmetternden Ergebnis, daß die Anzahl der US-Luftangriffe, die in Ländern der muslimischen Welt seit Beginn des Global War on Terrorism (GWoT) im Herbst 2001 durchgeführt worden sind, ohne in die offiziellen Listen eingetragen zu werden, "in die Tausende" geht und vermutlich niemals zu ermitteln sein wird. Als Erklärung für die unvollständigen Listen bzw. die zum Teil krassen Unterschiede zwischen offiziellen Zählungen von Pentagon, Luftwaffe, Armee, Marine und Marineinfanterie führten die verschiedenen Behördenvertreter, mit denen Snow und deGrandpre sprachen, Kompetenzwirrwarr an. Man bemühe sich nach besten Kräften um Transparenz, nur sei diese bei der unübersichtlichen Lage nicht so einfach, so die befragten US-Militärs. Wer's glaubt, wird selig.

9. Februar 2017


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