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MILITÄR/895: Britische Atom-U-Boot-Flotte im desolaten Zustand (SB)


Britische Atom-U-Boot-Flotte im desolaten Zustand

Whistleblower William McNeilly bringt London in Erklärungsnot


In Großbritannien haben Vorwürfe über gravierende Sicherheitsmängel bei der Atom-U-Bootflotte für helle Aufregung gesorgt. Erhoben wurden die Vorwürfe vom 25jährigen William McNeilly, der bis zu seinem Gang an die Öffentlichkeit als Gefreiter der königlichen Marine auf einem U-Boot der Vanguard-Flotte diente. Das Vereinigte Königreich verfügt über vier solche U-Boote. Während eines immer zur Überholung auf der Werft im schottischen Faslane liegt, befinden sich die anderen drei ständig auf Patrouille, um die nukleare Abschreckungsfähigkeit Großbritanniens zu demonstrieren. Jedes Vanguard-U-Boot führt mindestens acht, maximal 16 ballistische Interkontinentalraketen vom Typ Trident mit sich, die jeweils mit bis zu 12 Atomsprengköpfen bestückt werden können.

McNeilly hat sich gegenüber der linksliberalen schottischen Zeitung Sunday Herald offenbart, die am 17. Mai seine Enthüllungen auf ihrer Titelseite präsentierte. Nach Angaben von McNeilly, der die Vorwürfe zusätzlich durch die Veröffentlichung eines eigens von ihm verfaßten, 19seitigen Dokuments bei Wikileaks [1] detailliert erläuterte, sind die Sicherheitsmängel beim Trident-System gravierend. Ändere sich nichts, sei "die Katastrophe vorprogrammiert", so McNeilly zur Begründung seiner spektakulären Aktion. Zu den aufgelisteten Mängeln gehörten unter anderem die Vertuschung einer Kollision zwischen einem britischen und einem französischen U-Boot im Atlantik, die Mißachtung von Alarmmeldungen bei den Raketen, das Scheitern von drei Raketenstarttests sowie vollkommen ungenügende Sicherheitschecks beim Personal und deren Taschen.

Aus Sicht McNeillys stellt die lasche Handhabung der Sicherheitsmaßnahmen beim Trident-System ein inakzeptables Risiko dar. Der junge Waffeningenieur ist an die Öffentlichkeit gegangen, weil seine Beschwerden von den Vorgesetzten nicht ernst genommen wurden. McNeillys Einschätzung nach steht das Trident-System einem versuchten "Terroranschlag" gegenüber praktisch schutzlos da. Im Vergleich zu jedem modernen Flughafen, wo sich die Passagiere praktisch wie in einem Hochsicherheittrakt à la Alcatraz vorkommen, seien die Schutzmaßnahmen auf dem Marinestützpunkt Faslane wie ein läppischer Hausarrest, sagte er. McNeilly behauptet, die meisten seiner Kollegen seien ebenfalls der Meinung, daß die Sicherheitsvorschriften bei der britischen Atom-U-Boot-Flotte zu wenig Beachtung fänden, behielten aber diese Erkenntnis aus Angst um Arbeitsplatz und Karriere lieber für sich.

Am 18. Mai hat sich McNeilly, der von einem Auslandsaufenthalt heimkehrte, am Flughafen von Edinburgh der Polizei gestellt und dabei die Hoffnung geäußert, daß Premierminister David Cameron sein Eintreten für das nationale Wohlergehen zu würdigen wisse und ihn begnadigen würde. Zu jenem Zeitpunkt rechneten Beobachter mit einer Klage nach dem Official Secrets Act von 1989, einer Verurteilung und einer mehrjährigen Haftstrafe. Das Verteidigungsministerium in London hat sich aber anders entschieden. Inzwischen ist offiziell bekanntgegeben worden, daß McNeilly, der sich derzeit in Gewahrsam auf einem Militärstützpunkt in Schottland zwecks Vernehmung befindet, lediglich ein internes Disziplinarverfahren bevorsteht. Das Ministry of Defence (MoD) hat auf ein Strafverfahren verzichtet, vermutlich um die Angelegenheit so schnell wie möglich der öffentlichen Aufmerksamkeit zu entziehen.

Dessen ungeachtet sind die Enthüllungen McNeillys Wasser auf die Mühlen der Scottish National Party (SNP), die sich seit Jahren energisch für die Abschaffung der britischen Atom-U-Boot-Flotte einsetzt und bei den Wahlen am 7. Mai 56 von 59 der schottischen Sitze im britischen Unterhaus im Palace of Westminster erobern konnte. In London und Edinburgh machen sich nun diverse SNP-Politiker für McNeilly stark, loben diesen als aufrechten Patrioten und fordern eine Untersuchung der von ihm kritisierten Mißstände. Leider dürfte die Affäre McNeilly nichts an der grundsätzlichen Absicht der neuen konservativen Regierung um Premierminister Cameron ändern, demnächst für mehr als 100 Milliarden Euro die vier in die Jahre gekommenen Vanguard-U-Boote gegen neue auszutauschen.


Fußnote:

1. http://wikileaks.org/trident-safety

20. Mai 2015


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