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MILITÄR/866: Britische Regierung streitet um Nuklearaufrüstung (SB)


Britische Regierung streitet um Nuklearaufrüstung

Schottlands Nationalisten über den Vorstoß Londons erzürnt



In Großbritannien ist ein heftiger Streit um die Nuklearwaffen des Landes ausgebrochen. Auf der einen Seite stehen die regierenden Konservativen um Premierminister David Cameron, die am Status Großbritanniens als Atommacht festhalten, koste es was es wolle. Auf der anderen stehen ihre Koalitionspartner, die Liberaldemokraten, um Vizepremierminister Nick Clegg, die angesichts leerer Staatskassen eine billigere Alternative zum bisherigen Trident-System befürworten, und die schottischen Nationalisten, die Schottland zu einer atomwaffenfreien Zone machen wollen. Am Streit droht nicht nur die in London regierende Koalition aus Liberaldemokraten und Tories, sondern auch das Vereinigte Königreich zu zerbrechen.

Vor einigen Wochen haben sich Cameron und der schottische Premierminister Alex Salmond nach langem hin und her auf 2014 als Datum für eine Volksbefragung in Schottland zur Frage der Unabhängigkeit geeinigt. 2014 jährt sich zum 800. Mal die Schlacht von Bannockburn, als die Schotten um König Robert the Bruce ihren größten Sieg über den "auld enemy", die Engländer, errungen haben. Salmond erhofft sich vom historischen Datum den entscheidenden Impuls, der die schottischen Nationalisten bei der Volksbefragung über die 50-Prozent-Hürde verhilft. Bis dahin ist es jedoch noch ein langer Weg. Laut Umfragen befürworten derzeit lediglich 40 Prozent der Schotten eine Auflösung der politischen Union mit England, rund 60 Prozent der Befragten waren gegen eine Zukunft Schottlands als souveräner Staat.

Am 19. Oktober kam es zu einer wichtigen Weichenstellung, als die Führung um Salmond auf dem Parteitag der Scottish National Party (SNP) einen Antrag durchsetzen konnte, wonach Schottland im Falle eines positiven Votums zur Unabhängigkeit zwar atomwaffenfrei werde, jedoch innerhalb der NATO bleibe. Die Kriegsgegner und Anti-Militaristen stellen traditionell einen der wichtigsten Flügel innerhalb der SNP dar. Sie sollten durch das Festhalten an der Schließung des Marinehafens Faslane am Firth of Clyde für atomar bewaffnete U-Boote besänftigt werden, während die Entscheidung zum Verbleib in der NATO vielen Wählern die Skepsis gegenüber der Unabhängigkeit Schottlands nehmen sollte.

Nun hat sich London kräftig in die Debatte eingemischt. Bei einem Besuch in Faslane, dem wichtigsten Stützpunkt der britischen Marine in Schottland und dem Sitz der britischen Nuklearstreitkräfte, hat sich sich Verteidigungsminister Philip Hammond am 29. Oktober zum Atommachtstatus Großbritanniens bekannt und die Bewilligung von 350 Millionen Pfund - umgerechnet 500 Millionen Euro - für die Erforschung und den Entwurf eines Nachfolgemodells für das Interkontinentalraketensystem Trident publik gemacht. Über den Großauftrag darf sich vor allem der britische Rüstungsgigant BAE Systems freuen, der zuletzt durch einen Rückgang des Verkaufs von Kampfjets an das US-Verteidigungsministerium und die geplatzte Fusion mit dem deutsch-französischen Konkurrenzunternehmen EADS wirtschaftlich unter Druck geraten war. In Faslane sind 6.500 Menschen beschäftigt. Hammond behauptete, seine Entscheidung zur Auftragsvergabe an BAE schaffe weitere 1200 Arbeitsplätze im Industriesektor. Außerdem äußerte er sich zuversichtlich, daß sich die Schotten in zwei Jahren "zum Verbleib im Vereinigten Königreich entscheiden werden".

Der Vorstoß des konservativen Politikers hat bei den Liberaldemokraten Mißmut und Enttäuschung ausgelöst. Sie fühlen sich hintergangen, weil man in der Koalition vereinbart hatte, zunächst das Ergebnis einer Machbarkeitsstudie von Finanz- und Verteidigungsministerium abzuwarten, die erst im Frühjahr dem britischen Kabinett vorgelegt soll. Vizepremierminister Clegg warf Hammond vor, vollendete Tatsachen schaffen zu wollen und erinnerte an den Parlamentsbeschluß von 2010, wonach die endgültige Entscheidung über die Schaffung entweder eines Trident-Nachfolgemodells oder einer kostengünstigeren Alternative erst 2016 getroffen werden soll. Der Vorsitzende der Libdems muß jedoch eine Teilverantwortung für die jüngste Entwicklung übernehmen. Bei der Kabinettsumbildung vor einigen Wochen hatte er zugelassen, daß sein Parteikollege Nick Harvey als Staatssekretär im Verteidigungsministerium, wo er die Interessen der Liberaldemokraten in der Sicherheitspolitik vertrat, entlassen wurde. Dadurch fiel die Zuständigkeit für die Durchführung besagter Studie über die künftige Art der britischen Nuklearabschreckung an Danny Alexander, den konservativen Staatssekretär im britischen Finanzministerium.

Noch drastischer reagierten die schottischen Nationalisten auf die unerwünschte Initiative Hammonds. In Hinblick auf die geschätzten Kosten für die Beschaffung eines Ersatzes für die vier britischen Vanguard-U-Boote und deren Trident-Raketen in Höhe von mindestens 20 Milliarden Pfund, ließ Bill Kidd, SNP-Abgeordneter im schottischen Regionalparlament zu Edinburgh und entschiedener Atomwaffengegner, seinen Hohn über die Pläne der Tories freien Lauf. Er bezeichnete es als "obszön", "daß die britische Regierung damit prahlt, Abermillionen Pfund für Massenvernichtungswaffen auszugeben, während sie gleichzeitig bei der Sozialhilfe brutale Kürzungen vornimmt und Investitionen in der restlichen Wirtschaft zurückfährt". Kidd machte sich zudem über Hammonds' "schwachen Angriff auf die Volksbefragung" lustig, weil die angeblich im Zuge der nuklearen Aufrüstung zusätzlich entstehenden Arbeitsplätze in Farslane auf "Phantasiezahlen" basierten.

31. Oktober 2012