Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

MILITÄR/821: Propagandaschmiede ist die halbe Kriegsführung (SB)


Beteiligung der Bürger bemißt sich an den Erfolgsaussichten


Die Notwendigkeit, unablässig neue Sprachregulationen in die Welt zu setzen, die Ziele, Fristen, Strategien und Erfolge des Feldzugs am Hindukusch in mehr oder minder wohlklingende Worthülsen kleiden, steht im umgekehrten Verhältnis zu den Fortschritten an der militärischen und zivilen Front in Afghanistan. Da die Kräfte des Widerstands vielerorts auf dem Vormarsch sind und die Truppen der Besatzungsmächte immer kleinere Teile des Landes für gesichert erklären können, bedarf es wachsenden Propagandaaufwands, um die Bevölkerung in den Herkunftsländern der Okkupanten bei der Stange zu halten. Bei der Begründung der Kriege in Afghanistan, im Irak und an den weiteren bereits eröffneten oder strategisch konzipierten Schauplätzen handelt es sich grundsätzlich und von vornherein um eine Konstruktion, welche die aggressive Intervention zu einem Verteidigungsfall erklärt und den Raubzug der stärksten Mächte als legitime Prävention ausweist.

Von einem Lügengebäude zu sprechen, trifft die Verhältnisse allenfalls in Aspekten. Wenn die US-Bevölkerung hört, ihre Sicherheit sei im Nahen und Mittleren Osten gefährdet, oder die Bundesbürger hierzulande erfahren, ihre Versorgung müsse mit militärischen Mitteln gewährleistet werden, verstehen sie durchaus, daß es dabei um ihren Vorteil im Verhältnis zu anderen Völkerschaften geht. Der Wunsch, den eigenen Lebensstandard mit Zähnen und Klauen gegen alle Hungerleider zu verteidigen, ruft eine tiefsitzende Beteiligung an den herrschaftssichernden Kriegszügen auf den Plan, auf die sich Regierung und Militärs durchaus verlassen können, solange sich der Sieg in Aussicht stellen läßt.

Eine Lehre der US-Führung aus Vietnam war, daß die Opposition an der Heimatfront sprunghaft wächst, wenn sich der Eindruck verdichtet, daß dieser Krieg nicht mehr zu gewinnen sei. An den Einwänden einer Friedensbewegung, die einen Feldzug deswegen ablehnt, weil er in ihren Augen ungerecht, sinnlos und verlustreich ist, läßt sich unmittelbar ablesen, was die Bürger bewegt und auf welche Weise sie sich einbinden lassen. Solange es gelingt, den Krieg als gerechtfertigt und sinnvoll darzustellen sowie die eigenen Verluste möglichst gering zu halten, haben sie keine Probleme damit, ihn zu befürworten oder die eigene politische und militärische Führung zumindest widerspruchslos gewähren zu lassen.

Schätzungen zufolge sind im Irak im Verlaufe des letzten Krieges und des nachfolgenden Besatzungsregimes mehr als eine Million Menschen getötet worden. Im Verhältnis dazu sind die Verluste der westlichen Angriffsmächte verschwindend gering, was die enorme Bedeutung eines möglichst weitreichenden Schutzes der eigenen Truppen unterstreicht. Zwar bleiben die Soldaten wie eh und je Kanonenfutter, doch zählt die Begrenzung der Opferzahl in den eigenen Reihen zu den vordringlichsten strategischen Zielen, da heimkehrende Leichensäcke mehr als alles andere die Unterstützung des Kriegszugs untergraben.

Demgegenüber interessiert sich die deutsche Bevölkerung allenfalls sporadisch für die Leiden der Afghanen und dies auch nur, soweit es sich um Zivilisten handelt. Getötete "Taliban" zählt man erst gar nicht oder gibt sie als Erfolgsmeldung gleich zu Dutzenden an. Üblich ist die Praxis der westlichen Streitkräfte, alle Opfer zu Aufständischen zu erklären, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist. Wie viele Afghanen in dem neun Jahre währenden Krieg umgebracht worden sind, ist ohnehin ungewiß, zumal Armut, Hunger und Krankheiten, die während der Besatzungszeit erheblich zugenommen haben, sehr viel mehr Menschenleben fordern als die Kampfhandlungen selbst.

Fest steht, daß die Zahl ziviler Opfer in der ersten Jahreshälfte deutlich gestiegen ist, wie aus einem Bericht der Vereinten Nationen hervorgeht, in dem die Zunahme auf 31 Prozent beziffert wird. Bei der Präsentation des Reports sprach Staffan de Mistura, der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs für Afghanistan, bezeichnenderweise von einer heiklen Angelegenheit und einem ebensolchen Zeitpunkt, den Sechsmonatsbericht zu veröffentlichen. Die Obama-Administration hat gerade eine internationale Propagandakampagne losgetreten, die in den USA und in Europa einen Stimmungsumschwung zuungunsten der Kriegsführung bremsen soll. So arbeitet man intensiv daran, den "Taliban" die Verletzung von Menschenrechten vorzuhalten und die Besatzungsstreitkräfte zu Verteidigern der Zivilbevölkerung aufzuwerten. [1]

Neu ist an dieser Kampagne, daß sie auf einzelne Länder zugeschnitten jeweils bestimmte Gemütslagen anspricht, die man für am besten geeignet hält, die Kriegsbefürwortung wieder anzufachen. So legt man beispielsweise in Frankreich das Schwergewicht auf die Frauenrechte, während man den Deutschen vorgaukelt, auf sie käme im Falle eines übereilten Abzugs aus Afghanistan eine Welle von Flüchtlingen, aber auch Attentätern zu.

Die Grundzüge dieser Propagandainitiativen sind in einem vertraulichen CIA-Dokument dargelegt, das im Zuge des von WikiLeaks veröffentlichten Materials publik wurde. Darin wird die Warnung ausgesprochen, daß das Unbehagen der Europäer hinsichtlich des Afghanistankriegs in aktive und wirksame Feindseligkeit eskalieren könnte, sofern die Opferzahlen der NATO-Truppen und der afghanischen Zivilbevölkerung steigen, und die passive Opposition in den aktiven Ruf nach einem sofortigen Abzug umschlägt. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, fordert der Bericht ein "strategisches Kommunikationsprogramm", also eine ausgefeilte und intensive Propagandakampagne.

Hochrangigen Offizieren kommt in diesem Zusammenhang insbesondere die Aufgabe zu, den Krieg nicht nur mit militärischen Mitteln zu führen, sondern ihn auch an diversen Fronten zu rechtfertigen und bestmöglich zu präsentieren. Wer in die höchsten Ränge der Generalität aufsteigen und im Oberkommando Karriere machen will, muß Führungsqualitäten vielfältiger Art demonstrieren. Immerhin sind in Afghanistan zuletzt mit David McKiernan und Stanley McChrystal zwei Oberbefehlshaber gescheitert, die zu den renommiertesten Viersternegenerälen ihrer Generation gehörten. Nun versucht sich General David Petraeus an der Aufgabe, die internationalen Allianzen der Besatzungsmächte mit Fingerspitzengefühl zu schmieden, die Marionettenregierung in Kabul und diverse lokale Machthaber auf Kurs zu bringen, Hilfsorganisationen und Vereinte Nationen zu Kollaborateuren zu degradieren, eine modifizierte Militärdoktrin umzusetzen, die einheimischen Sicherheitskräfte auf Vordermann zu bringen und dabei jederzeit den Eindruck zu erwecken, er habe alles unter Kontrolle und könne das Kriegsglück wenden. [2]

Insbesondere aber soll Petraeus den ewigen Widerspruch zwischen einem dauerhaften Besatzungsregime und dem in Aussicht gestellten Abzug der Kampftruppen so drehen und wenden, daß er einerseits weitere Zeit intensivierter Kriegsführung herausschindet, ohne andererseits die wachsende Schar der Kritiker zu verprellen, die ein absehbares und baldiges Ende des Feldzugs am Hindukusch fordern. So heißt es beispielsweise, man sei zwar schon seit neun Jahren in Afghanistan, doch habe man erst vor zwölf Monaten begonnen, die Sache richtig anzugehen, und brauche daher mehr Zeit, um die neue Vorgehensweise angemessen umzusetzen. [3]

US-Verteidigungsminister Robert Gates hat bereits angedeutet, wohin der Hase läuft. Wie er jüngst erklärte, werde der von Präsident Obama für Juli 2011 angekündigte Beginn des Truppenabzugs zunächst nur in "sehr begrenzter Zahl" erfolgen können. General Petraeus, der sich in den letzten Wochen reichlich bedeckt gehalten hat, wird an diesem Wochenende eine Medienoffensive starten, deren Inhalt im Prinzip absehbar ist: Der Oberfehlshaber der Okkupationstruppen in Afghanistan wird erklären, daß die zusätzlichen 30.000 Soldaten, die der US-Präsident im Dezember letzten Jahres zugesagt hat, noch gar nicht alle in Afghanistan eingetroffen sind. Zudem müsse man der neuen Strategie der Aufstandsbekämpfung genügend Zeit zu Entfaltung geben, um von ihrer vollen Wirkung zu profitieren.

Wie man im Weißen Haus versichert, habe der Plan nach wie vor Bestand, im Sommer nächsten Jahres mit dem Abzug zu beginnen - soweit es die Umstände erlauben. Da man zur Umsetzung der neuen Strategie ungefähr zwei Jahre brauche, müsse man natürlich in Regionen, wo diese angewendet werde, eine entsprechende Zeitspanne von heute aus gesehen in Anspruch nehmen. Obama will die nächste Bestandsaufnahme der Fortschritte in Afghanistan erst im Dezember vornehmen, wobei Regierungskreise davon ausgehen, daß deren Ergebnis nichts an der Vorgehensweise ändern wird. Der US-Präsident hat sich nie auf konkrete Aussagen festgelegt, wie schnell er die Truppen abzuziehen gedenkt. Das Datum Juli 2011 nehme er aber sehr ernst, versichert sein engstes Umfeld, um den naheliegenden Verdacht zu zerstreuen, es handle sich schlichtweg um eine weitere taktische Farce, die Bürger an der Heimatfront hinzuhalten.

Man darf gespannt sein, mit welchen Mitteln Petraeus versuchen wird, den Abgeordneten im US-Kongreß, den Verbündeten in Europa und den Regierungen im Mittleren Osten sein Propagandakonzept aufzutischen, auf daß sie es bereitwillig schlucken, weil es ihnen erlaubt, ihre jeweils spezifische Teilhaberschaft darin unterzubringen.

Anmerkungen:

[1] UN report reveals sharp spike in Afghan civilian casualties (11.08.10)
World Socialist Web Site

[2] Win Wars? Today‹s Generals Must Also Politick and Do P.R. (12.08.10)
New York Times

[3] U.S. Military Seeks Slower Pace to Wrap Up Afghan Role (11.08.10)
New York Times

14. August 2010