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MILITÄR/802: Schwere Waffen für den Krieg am Hindukusch? (SB)


Bericht der Bundeswehr heizt Debatte um mangelnde Ausrüstung an


Nach dem Tod dreier Bundeswehrsoldaten in Afghanistan läuft die konzertierte Aktion deutscher Beteiligung an dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und Besatzungsregime zu verbaler Höchstform auf, gilt es doch die drohende Kriegsmüdigkeit der hiesigen Bevölkerung mit schweren Salven bellizistischen Getöses niederzumachen. Nachdem man angebliche Mängel in Ausbildung und Versorgung der Soldaten durchgekaut hat, ereifert man sich nun in verteilten Rollen über die Durchschlagskraft von Munition und Geschützen. "Wer in das Kanonenrohr eines Leopard 2 schaut, überlegt sich zweimal, ob er eine deutsche Patrouille angreift," schwadroniert in einer extremen Mischung aus Ignoranz, Geltungsdrang und Kriegstreiberei der designierte Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus (FDP). [1] Mit seinem Ruf, es den Afghanen mit deutscher Wertarbeit aus der Waffenproduktion ordentlich heimzuzahlen, daß sie es wagen, sich und ihr okkupiertes Land gegen die ausländischen Invasoren zu verteidigen, stellte Königshaus seinen scheidenden Vorgänger Reinhold Robbe in den Schatten, der zuvor Mängel in der Ausbildung der deutschen Soldaten angeprangert hatte.

Wieder schlägt die Stunde ausgedienter Militärs, die noch einmal ordentlich vom Leder ziehen und ihren Mitbürgern erklären dürfen, daß man im Krieg richtig ranklotzen muß. "Die jungen Soldatinnen und Soldaten werden von einer Nation geopfert, die ihnen alles an nötiger Technik zur Verfügung stellen könnte", klagt unter Krokodilstränen der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat. "Das ist ungeheuerlich." Wie er behauptet, werde die notwendige Ausrüstung immer zu spät, halbherzig und inkonsequent zur Verfügung gestellt. So fordert er moderne Mörser, die Fähigkeit zur strategischen Luftaufklärung, ein Streitkräfteführungs- und Informationssystem und natürlich eine kräftige Truppenverstärkung.

Als sei durch den Umstand, daß ausnahmsweise nicht Afghanen von deutschen Militärs massakriert werden, sondern umgekehrt Bundeswehrsoldaten der Blutzoll deutscher globalstrategischer Expansionsgelüste abverlangt wird, plötzlich der Verteidigungsfall eingetreten, diskutiert man in aller Offenheit, wie man im Zuge dieser Kriegsführung die eigenen Soldaten besser schützen kann, indem man den Feind präventiv vernichtet. Der bis 2009 als Kommandeur in Afghanistan eingesetzte Brigadegeneral Jörg Vollmer verlangt "wirkungsvolle Munition" für das Standardgewehr G36, da die fehlende "Mannstoppwirkung" der Hartkernmunition dazu führe, daß getroffene "Taliban" nicht sofort kampfuntauglich seien. Zudem bemängelt Vollmer die zu geringe Durchschlagskraft der Bordkanonen der leichten Panzerfahrzeuge "Dingo" und "Fuchs", deren Geschoße Häuser und Wälle in landestypischer Bauweise nicht durchdringen könnten. Und nicht zuletzt beklagt der General das Fehlen von deutscher Artillerie in Afghanistan, wie zum Beispiel der Panzerhaubitze 2000.

Lang und länger wird die Liste dringend benötigter Waffensysteme, ohne die das deutsche Kontingent in Afghanistan seinen Krieg nur unzulänglich führen kann - denn daß es sich um einen solchen handelt, räumt inzwischen selbst Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg offen ein. Der frühere Planungschef im Verteidigungsministerium, Ulrich Weisser, findet es inakzeptabel, daß die Bundeswehr in Afghanistan über keinen einzigen Kampfhubschrauber verfügt: "Hier muß dringend Abhilfe geschaffen werden." Diese Auffassung teilt auch Königshaus, der neben Kampfhubschraubern noch Kampfpanzer, Mörser und moderne Aufklärungssysteme fordert.

Dies dem bundesdeutschen Durchschnittsbürger in die Birne zu klopfen, übernimmt gern die größte deutsche Boulevardzeitung. "Deutschland baut die besten Waffen der Welt, aber unsere Soldaten kriegen sie nicht", zimmert sie die immer wieder gern kolportierte Dolchstoßlegende, um auf denkbar dreisteste Weise hurrapatriotisch Kriegsbegeisterung im Angesicht um sich greifender Ernüchterung zu schüren. [2] Wir könnten locker gewinnen, hinderten zögernde Politiker und Inkompetenz im Beschaffungswesen nicht die Experten in Uniform daran, kräftig auf die Afghanen zu ballern. Daß die Kritik angeblich einem Geheimbericht der Bundeswehr entstammt, verleiht der Debatte zusätzliche Brisanz und dem Blatt die Aura investigativer Aufklärung der Bürger, die dank dieser Bemittelung an ihren realen oder virtuellen Stammtischen kräftig mitdebattieren dürfen, ob der Leopard 2 mit über 60 Tonnen Gewicht am Ende nicht zu schwer für die afghanischen Brücken ist, wie der frühere General und Befehlshaber im Kosovo, Klaus Reinhardt, zu bedenken gibt.

Wie Reinhardt aber im Chor mit den anderen Beschwerdeführer bemängelt, kämen der neue Transporthubschrauber NH-90 und der Kampfhubschrauber Tiger zu spät nach Afghanistan: "Sie müßten jetzt bereits im Einsatz sein", da sich von den sechs CH-53-Hubschraubern immer zwei oder drei in Reparatur befänden. Die Eignung des NH-90 steht nach Presseberichten allerdings in Frage, da die Anbringung eines Maschinengewehrs aus Platzgründen "unzweckmäßig" sei. "Der mittlere Transporthelikopter NH-90 und der Kampfhubschrauber Eurocopter Tiger sind bestellt, aber leider noch nicht einsatzfähig", räumt Staatssekretär Christian Schmidt (CSU) ein. [3]

In diesem Ruf nach besseren Waffen für den deutschen Fronteinsatz tauchen Afghanen, obgleich fortwährend von ihrer effektiveren Eliminierung die Rede ist, nur selten und dann natürlich als "Taliban" auf: "Was helfen uns mehr Kampfhubschrauber, wenn sich die Taliban in Häusern mit Familien und Kindern verschanzen?", klagt Staatssekretär Schmidt, der die Doktrin des Antiguerillakriegs leicht verdaulich präsentiert: Tötet man Afghanen, kann es sich nur um "Taliban" handeln, und wird ausnahmsweise doch der Nachweis geführt, daß dabei Zivilisten umgebracht wurden, versucht man dies den Aufständischen anzulasten, die angeblich menschliche Schutzschilde verwenden. Tückisch sind die "Taliban" allemal, da sie sich hinter Mauern verstecken, durch die man nicht schießen kann, in kleinen Trupps operieren, gegen die schwere Panzer und Haubitzen nutzlos sind, oder plötzlich in großer Zahl angreifen, worauf die bisherige Ausbildung der Bundeswehr nicht ausgerichtet ist, wie sich Königshaus über die Unberechenbarkeit des Feindes beschwert, mit dem man nicht vernünftig Krieg führen kann.

Daß der frühere Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) nie von einem Krieg in Afghanistan sprach, mutet inzwischen beinahe schon anachronistisch an. Grundsätzlich werde vieles noch zu sehr unter dem Aspekt einer Friedensmission und damit zu bürokratisch gehandhabt, kritisieren die Militärs und setzen auf Guttenberg, der den Laden kräftig in Schwung bringen soll. Mit der Verwaltung des Mangels müsse es ein Ende haben, verlangt der stellvertretende Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Wolfgang Schmelzer, dem zufolge es nicht nur am Geld, sondern sondern auch am Willen fehlt, die Truppen ordentlich aufzurüsten. Das gelte nicht nur für die Soldaten im Auslandseinsatz, sondern auch die Rekruten im Inland, für deren Ausbildung genügend Fahrzeuge und Gerät zur Verfügung stehen müßten. Verbandssprecher Wilfried Stolze will gar einen Mangel an "Fachkräften für den Infanteriekampf" ausgemacht haben, als säße er im Büro der Arbeitsagentur. "Die Infanterie ist im Moment die Achillesferse des Afghanistaneinsatzes", sagt Stolze, was die Frage aufwirft, worin denn die derzeitige Stärke der Bundeswehr am Hindukusch bestehen soll, wenn man vom Aufenthalt im Feldlager und dem Umherfahren in zu wenigen gepanzerten Fahrzeugen absieht.

Kampftruppen und moderne Ausrüstung müssen her, meint auch der Chef der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, der andernfalls die Sicherheit in der Region Kundus gefährdet sieht. "Ohne hinreichenden militärischen Schutz steht die deutsche Polizeimission in Afghanistan aber vor dem Scheitern", schließlich dürften Polizeiausbilder in Bürgerkriegsgebieten nicht ihr Leben riskieren müssen. Ähnlich sieht es auch der stellvertretende Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Bernd Carstensen, der in Afghanistan keine sicheren Distrikte erkennen kann, in die man deutsche Polizisten guten Gewissens als Patrouillenbegleiter schicken könne. Daher müsse man sich auf die Ausbildung afghanischer Polizeiführer in militärisch gesicherten Camps beschränken oder notfalls sogar abziehen.

Abziehen? "Wenn wir jetzt Hals über Kopf abziehen würden, wäre das Land in ganz kurzer Zeit wieder Rückzugsgebiet des Weltterrorismus. Dann würde die Anschlagsgefahr auch in Europa erheblich größer", betätigt sich Außenminister Guido Westerwelle als Wiederkäuer abgestandener Propagandaformeln. Jetzt heißt es erst einmal kräftig aufrüsten, schließt die Bundesregierung eine Nachbesserung nicht aus. Man unternehme alles, damit die Ausrüstung bestmöglich sei, unterstreicht Westerwelle. Sollten hier neue Fragen auftauchen, "werden Bundeswehr und Bundesregierung dem unverzüglich nachgehen".

Ganz ohne Abzugsperspektive mag man die Bundesbürger aber doch nicht lassen, die andernfalls des Krieges sofort überdrüssig werden könnten. Vor wenigen Wochen sei "eine neue Afghanistan-Strategie mit einer klaren Abzugsperspektive beschlossen" worden, behauptet Westerwelle. Die Bundesregierung wolle im kommenden Jahr mit dem Truppenabzug beginnen und "möglichst 2013 die Sicherheitsverantwortung an die Afghanen übergeben". Nimmt man diese Ankündigung unter die Lupe, so erweist sie sich als bloße Absichtserklärung, die keinerlei Festlegung beinhaltet.

Anmerkungen:

[1] Bundeswehr in Afghanistan. Kugeln und Geschütze ohne Kraft (07.04.10)
http://www.n-tv.de/politik/Kugeln-und-Geschuetze-ohne-Kraft-article811661.html

[2] Krieg in Afghanistan. Geheimbericht der Bundeswehr offenbart Ausrüstungsmängel (07.04.10)
http://www.bild.de/BILD/politik/2010/04/07/afghanistan-krieg-bundeswehr/so-schlecht-sind-unsere-soldaten-ausgeruestet-geheimbericht.html

[3] Afghanistan-Einsatz. "Es fehlt nicht nur am Geld, sondern auch am Willen". In Afghanistan fehlen der Bundeswehr ausreichend gepanzerte Fahrzeuge (07.04.10)
http://www.faz.net/s/Rub594835B672714A1DB1A121534F010EE1/Doc~EB57DC9B614B64011A51AAF8042A9D1BC~ATpl~Ecommon~Scontent.html

8. April 2010