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MILITÄR/799: Indische Raketentests für den Westen kein Thema (SB)


Indische Raketentests für den Westen kein Thema

Allianz mit den USA hat für Neu-Delhi auch medientechnische Vorteile


Am 7. Februar hat Indien seine neue Mittelstreckenrakete vom Typ Agni-III zum viertenmal insgesamt und zum drittenmal erfolgreich getestet. Mit dieser Rakete, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden kann, gelangen die Metropolen der chinesischen Ostküste erstmals in die Reichweite der indischen Nuklearstreitkräfte. Um so erstaunlicher ist daher die Tatsache, daß es seitens der vom Westen propagierten "internationalen Gemeinschaft" niemanden - selbst auf der zu jenem Zeitpunkt stattfindenden Sicherheitskonferenz in München - gab, der Neu-Delhi Vorwürfe machte, mit dem Raketentest für Spannungen oder Instabilität im asiatischen Raum gesorgt oder die Bemühungen um internationale Abrüstung und Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen torpediert zu haben. Das Ignorieren der Machtdemonstration des indischen Militärs steht im krassen Gegensatz zu den mißbilligenden Reaktionen auf die am 2. Februar erfolgte Entsendung eines zivilen iranischen Forschungssatelliten ins All. Das Ereignis wurde von Medien und Politik des Westens als weiterer Beleg für das angebliche Streben des "Mullahregimes" in Teheran nach der Atombombe samt dazugehörigen Trägersystemen ausgelegt.

Der vierte Test der Agni-III seit 2006 erfolgte vom staatlichen Testgelände auf Wheeler Island vor der Küste des ostindischen Bundesstaates Orissa in der See von Bengalen. Agni ist der Name des indischen Gotts des Feuers. Die indischen Streitkräfte verfügen in ihrem Arsenal bereits über die Agni-I, Reichweite 700 bis 800 Kilometer, und die Agni-II, Reichweite 2000 Kilometer. Die zweistufige Agni-III ist 17 Meter lang und wiegt 50 Tonnen. Sie kann auf einer mobilen Startrampe, für den Transport entweder per Schiene oder Straße gebaut, montiert werden und eine Nutzlast, darunter auch eventuell einen atomaren Sprengkopf, von bis zu 1,5 Tonnen bis zu 3000 Kilometer weit befördern. Mit der Agni-III könnte Neu-Delhi im Notfall von den nordostindischen Bundesstaaten Arunachal Pradesh oder Assam die Millionenstädte der chinesischen Ostküste mit Atombomben belegen.

An der Grenze Arunachal Pradeshs zur Volksrepublik stehen sich die Streitkräfte Neu-Delhis und Pekings unversöhnlich gegenüber. Letztes Jahr haben sich gefährliche Spannungen zwischen den Möchtegern-Supermächten wegen Streitereien um den gemeinsamen Grenzverlauf am südöstlichen Fuße des Himalayas, um die Einmischung der Inder in die Tibet-Frage und die Einmischung der Chinesen in die Innenpolitik Nepals entwickelt. 1962 haben Indien und die Volksrepublik China bereits einmal einen Krieg um den richtigen Verlauf der Grenze Arunachal Pradeshs geführt. Presseberichten zufolge haben beide seit dem letzten Jahr und vor allem dank des provozierenden Besuchs des Dalai Lamas, des Anführers der Exil-Tibeter, im Dorf Tawang, das von China beansprucht wird und derzeit von Indien verwaltet wird, viele Soldaten und umfangreiches Rüstungsmaterial in der Grenzregion stationiert. Das sind alles Gründe, warum die "internationale Gemeinschaft", hätte sie es gewollt, den Indern sicherlich Vorhaltungen hätte machen können, durch den Test der Agni-III - eine atomwaffenfähige Mittelstreckenrakete - nicht gerade zur Entspannung und Deeskalation beizutragen.

Doch es gibt auch weitere Gründe. Seit 1989 geht Indien in dem von ihm besetzten Teil Jammus und Kaschmirs, wo die große Mehrheit der Bevölkerung muslimischen Glaubens ist und sich entweder den Anschluß an Pakistan oder die Unabhängigkeit wünscht, massiv gegen jede Art von Separatismus vor. Infolge des Kampfs dort zwischen den muslimischen Rebellen und dem indischen Staat sind in den letzten 20 Jahren schätzungsweise rund 70.000 Menschen ums Leben gekommen. Wegen der angeblichen Tötung von zwei Jugendlichen durch die Ordnungskräfte vor rund einer Woche befindet sich die Provinz im Aufruhr. Deswegen haben die Behörden eine nächtliche Ausgangsperre verhängt und alle öffentliche Kundgebungen verboten. Was sich die Inder an Repressalien gegen die Bevölkerung Kaschmirs erlauben, geht weit über das hinaus, was sich beispielsweise Jugoslawien 1998 beim Versuch, den Aufstand albanischer Nationalisten im Kosovo niederzuschlagen, hat zuschulden kommen lassen, um deshalb 1999 von der NATO mit Krieg überzogen zu werden.

Darüber hinaus befindet sich Indien seit seiner Gründung mit seinem westlichen Nachbar Pakistan in einer Art Dauerkonfrontation, die sich bisher in drei Kriegen entladen hat. Die Inder meinen hinter den Anschlägen von Radikalmoslems im eigenen Land stets den pakistanischen Geheimdienst Inter-Services Intelligence Directorate (ISI) zu erkennen, während sich die Regierung in Islamabad nach eigenen Angaben im Besitz handfester Beweise für die Unterstützung von Separatisten in Belutschistan durch den indischen Geheimdienst Research & Analysis Wing (RAW) befindet. Auch wenn alle potentiellen Ziele in Pakistan durch die Agni-I und Agni-II erreicht werden könnten, läßt der Test der Agni-III durch die Streitkräfte Neu-Delhis die Angst der Pakistaner vor dem übermächtigen Nachbarn im Osten nicht gerade kleiner werden.

Der Iran dagegen, der bis auf die Zurückschlagung der Invasion der Truppen des Iraks in den achtziger Jahren, als Saddam Hussein für die USA die Regierung um Ajatollah Ruhollah Khomeini stürzen sollte, seit Menschengedenken keinen Krieg geführt hat, gab am 4. Februar den Test einer zivilen Rakete bekannt, die eine Forschungskapsel, in der sich eine Ratte, zwei Schildkröten und eine Handvoll Würmer befanden, in die Erdumlauf brachte, und wurde dafür erneut zum völkerrechtlichen Amokläufer hochstilisiert. In einer offiziellen Stellungnahme bezeichnete Bill Burton, der Sprecher des Weißen Hauses, den Test der Kavoshgar-3-Rakete als einen "Akt der Provokation". Die Schlagzeile des entsprechenden Artikels der 4.-Februar-Ausgabe des in Beirut erscheinenden englisch-sprachigen Daily Star - "Iran launches satellite rocket, stokes Western fears", ("Iran schickt Satelliten ins All, schürt westliche Ängste") gibt den allgemeinen und aggressiven Ton der Berichterstattung wieder. Dem "Schurkenstaat" Iran werden immer böse Absichten unterstellt, während sich Indien, für das die USA 2009 extra die Regeln des Atomwaffensperrvertrages quasi außer Kraft setzten, um Neu-Delhi als Rüstungspartner und Verbündeten gegenüber Rußland und China zu gewinnen, offenbar alles erlauben kann.

9. Februar 2010