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MILITÄR/791: Ist Obamas atomwaffenfreie Welt eine Fata Morgana? (SB)


Ist Obamas atomwaffenfreie Welt eine Fata Morgana?

Washingtons Politelite hält an der Nuklearabschreckung fest


Für eine große Überraschung sorgte am 9. Oktober das norwegische Nobelkomitee, als es Barack Obama nach wenig mehr als einem halben Jahr als US-Präsident zum diesjährigen Friedensnobelpreisträger ernannte. Zur Begründung wurde die von dem einstigen demokratischen Senator aus Illinois eingeleitete Abkehr der USA vom Unilateralismus der republikanischen Vorgängerregierung George W. Bushs und hin zur diplomatischen, multilateralen Behandlung der anstehenden Probleme der Welt gepriesen. Besonders hob man Obamas "Vision einer Welt ohne Atomwaffen" und seine Bemühungen um deren Verwirklichung hervor. Mit der Verleihung des Friedensnobelpreises an Obama wollten die Norweger die Position des US-Präsidenten im Vorfeld der Prüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag im kommenden Jahr stärken, denn daheim schießen sich die Hardliner auf ihren neuen Oberkommandierenden ein, weil dieser zum Beispiel im "Atomstreit" mit dem Iran der Regierung in Teheran angeblich zu sehr entgegenkommt. Leider steht zu befürchten, daß es diesen militaristischen Kreisen langfristig gelingen wird, Obamas Vision von der weltweiten Abschaffung aller Nuklearwaffen zum Scheitern zu bringen.

Während Amerikas reaktionäre Rechte die diesjährige Entscheidung des norwegischen Nobelkomitees als unzulässige Einmischung in die inneren Angelenheiten der USA empört zurückwies, gab es auch auf linker Seite nicht wenige Kommentatoren, welche die Eignung Obamas für den prestigeträchtigsten Friedenspreis der Welt in Frage stellten, erstens weil er in seinen ersten acht Monaten im Amt zu wenig Positives geleistet habe und zweitens weil er unter anderem durch eine drastische Erhöhung der Drohnenangriffe der CIA auf Taliban-Ziele am Hindukusch dabei ist, den scheinbar niemals endenden Krieg der NATO in Afghanistan auf Pakistan auszuweiten.

Entgegen den allgemeinen Eindruck hat Obama in der Frage der nuklearen Bewaffnung jedenfalls mehr gemacht, als nur bei einer historischen Rede in Prag anläßlich seiner ersten Europa-Reise Anfang April "Amerikas Verpflichtung zum Streben nach Frieden und Sicherheit einer Welt ohne Atomwaffen klar und mit Überzeugung" zu verkünden und bei einem Besuch in Moskau im Juli mit dem Amtskollegen Dmitri Medwedew eine Reduzierung der Anzahl der unmittelbar einsatzbereiten, strategischen Atomwaffen Rußlands - 2780 - und der USA - 2200 - um ein Drittel auf rund 1500 zu vereinbaren. Wie die britische Tageszeitung Guardian am 21. September berichtete, hat Obama den ersten Entwurf der neuen, für die nächsten fünf Jahre gültigen Nuclear Posture Review (NPR) als "zu zaghaft" an das Pentagon zurückgeschickt und die Verantwortlichen dort aufgefordert, ihm "radikalere Optionen", die sich mit dem langfristigen Ziel der Abschaffung aller Atomwaffen decken, vorzulegen.

Wenn es nach Obama geht, der sich während seines Studiums der politischen Wissenschaft Anfang der achtziger Jahre an der New Yorker Universität Columbia auf das Thema der damaligen nuklearen Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion spezialisiert hatte, sollte die neue NPR, die das Weiße Haus vor Ende diese Jahres absegnen will, folgende Optionen enthalten: Amerikas Atomwaffenarsenal dermaßen drastisch zu rekonfigurieren, daß es lediglich aus Hunderten und nicht mehr aus Tausenden von einsatzbereiten Atomsprengköpfen besteht; die Bandbreite der Szenarien, in denen Atomwaffen zum Einsatz kämen, zu verringern - was eventuell eine Absage an die bisherige Erstschlagsdoktrin mit sich brächte; und Wege aufzuzeigen, auf denen man künftig die Zuverlässigkeit der zunächst im Arsenal verbliebenen US-Atomsprengköpfe garantieren könne, ohne eine neue Generation davon testen oder produzieren zu müssen.

Um seinem Anliegen weitere Bedeutung zu verleihen, hat Obama am 24. September als erster US-Präsident den Vorsitz einer Sitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen übernommen, bei der eine Resolution Washingtons zur Wiederbelebung der internationalen Bemühungen um Nicht-Verbreitung und Abrüstung von Atomwaffen zur Diskussion stand. Als geladene Gäste Obamas nahmen mit Henry Kissinger, Sam Nunn, George Schultz und William Perry an der Sitzung jene vier älteren amerikanischen Staatsmänner teil, die sich seit 2007 durch Zeitungskommentare, Vorträge und Besuche bei ausländischen Regierungen für das Ziel einer Welt ohne Atomwaffen stark machen. Die Resolution, in der alle Staaten zu intensiveren Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) aufgefordert werden, wurde einstimmig verabschiedet.

Über den vielversprechenden Ansatz Obamas geht die Expertenmeinung auseinander. Einige Rüstungsspezialisten kaufen Obama, Kissinger et al. ihren Einsatz für eine atomwaffenfreie Welt ab, führen ihn jedoch darauf zurück, daß die USA gegenüber allen anderen Staaten einen dermaßen großen militär-technologischen Vorsprung haben, daß der Nutzen von Kernwaffen lediglich auf der Seite der Gegner bestünde. Demnach bräuchte das US-Militär mit all seinen Tarnflugzeugen, Marschflugkörpern, Flugzeugträgern, bunkerknackenden Bomben usw. auf Atomwaffen nicht mehr zurückzugreifen, könnte dafür jedoch von einem gegnerischen Staat, der über solche Mittel verfügt, allein durch den Abschreckungseffekt an einer eventuellen Intervention gehindert werden. Andere Beobachter sehen vor allem den Nutzen der Forderung nach einer Welt ohne Atomwaffen für Washington, um sogenannte "Schurkenstaaten" wie Nordkorea oder den Iran an den Pranger zu stellen, und glauben gleichzeitig nicht, daß sich die USA wie auch die anderen vier offiziellen Nuklearmächte China, Frankreich, Großbritannien und Rußland jemals von ihren kompletten Kernwaffenarsenalen trennen werden.

Für letzteren Verdacht sprechen die Angaben, die Walter Pincus am 17. Oktober in der Washington Post unter der Überschrift "Conferees Approve Study of Nuclear Bomb" gemacht hat. Demnach hat vor wenigen Tagen eine Konferenz des US-Kongresses, bestehend aus Mitgliedern des Repräsentantenhauses und des Senats, empfohlen, 32,5 Millionen Dollar in eine Studie bezüglich der Erneuerbarkeit der B61-Atombombe zu investieren. Man geht davon aus, daß beide Häuser des Kongresses einen entsprechenden Passus diesbezüglich dem Haushalt des Energieministeriums für das Jahr 2010 zufügen werden. Die B61 gilt als die im Arsenal der US-Streitkräfte am weitesten verbreitete Atomwaffe überhaupt. Deswegen bezeichnet Pincus die Empfehlung der Kongreß-Konferenz - die als Vermittlungsausschuß von Repräsentantenhaus und Senat fungiert - als einen "ersten Schritt hin zum Wiederaufbau einer taktischen Atomwaffe der Nation, damit diese bis weit ins 21. Jahrhundert ihren Platz in den Lagerbeständen findet". Das klingt nicht gerade, als würden die USA jemals auf die Atombombe verzichten. Das gleiche gilt für jene Zusatzinformation aus dem Artikel Pincus', wonach die Teilnehmer der Kongreß-Konferenz sage und schreibe 9,9 Milliarden Dollar "für den nächstjährigen Betrieb der National Nuclear Security Administration, die innerhalb des Energieministeriums für das Atomwaffenprogramm verantwortlich ist, bewilligt haben".

22. Oktober 2009