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MEDIEN/477: Internet-Giganten gehen zur Gedankenkontrolle über (SB)


Internet-Giganten gehen zur Gedankenkontrolle über

In den USA macht sich der neue McCarthyismus zunehmend bemerkbar


Wie vor rund einem Jahr vom Schattenblick prognostiziert [1], wird das Märchen von der russischen Manipulation der letztjährigen Präsidentenwahl in den USA zugunsten des Republikaners Donald Trump und zuungunsten der Demokratin Hillary Clinton als Vorwand benutzt, um kritische Stimmen in den sozialen Medien zum Verstummen zu bringen und die Meinungshoheit der staatstragenden Konzernmedien wiederherzustellen. Die Reporter-Legende Robert Parry, die in den 1980er Jahren im Auftrag von Associated Press und Newsweek wesentlich zur Aufdeckung des Iran-Contra-Skandals beitrug und seitdem mit seinem Onlineportal Consortiumnews.com das imperialistische "Group Think" Washingtons in Frage stellt, spricht bereits vom einem gefährlichen "Establishment-McCarthyismus", der die Welt in Gut und Böse unterteilt und einen modus vivendi zwischen den USA und ihren Verbündeten auf der einen Seite, Rußland, China, Nordkorea und Iran auf der anderen unmöglich macht.

Kaum, daß die haushohe Favoritin Clinton am 8. November 2016 die Präsidentenwahl verloren hatte, war die Suche nach dem Schuldigen bereits erledigt. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin am 17. November beschwerten sich der scheidende US-Präsident Barack Obama und Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel über "aktive Desinformation" im Internet, speziell in den sozialen Medien, die den Sieg des unerträglichen Prahlhanses Trump angeblich herbeigeführt hätte. Etwa zur gleichen Zeit hat das EU-Parlament in Straßburg die Berichterstattung des russischen Nachrichtensenders Russia Today (RT) und der englisch-sprachigen russischen Onlinezeitung Sputnik auf dieselbe Stufe wie die Enthauptungsvideos der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) bei YouTube gestellt, während die Washington Post fast die gesamte linksradikale und rechtslibertäre Alternativpresse der USA - von Antiwar.com über Black Agenda Report, Consortiumnews.com, Counterpunch, David Stockman's Contra Corner, LewRockwell.com, das Ron Paul Institute, Naked Capitalism, Truthdig, Truth-out, die World Socialist Web Site bis hin zu Zero Hedge - zu den "nützlichen Idioten" des Kremls erklärte.

Um Weihnachten herum hat das Weiße Haus eine Expertise ausgesuchter Geheimdienstexperten der CIA und der NSA veröffentlicht, die den Schluß nahelegte, daß Wladimir Putin direkt oder indirekt den Ausgang der Präsidentenwahl beeinflußt hätte. Als wichtigstes Indiz wurden die Veröffentlichungen von Wikileaks über korrupte Machenschaften bei den Demokraten sowie im Umfeld von Bill und Hillary Clinton angeführt, ungeachtet der Tatsachen, daß erstens der "Hack" der Server der demokratischen Parteizentrale unbewiesen war und zweitens, daß die Enthüllungen Julian Assanges gar keine Propaganda darstellten, sondern handfeste Beweise für illegale Machenschaften beim Democratic National Committee (DNC) und bei der Clinton Foundation enthielten. Trotzdem hat Obama quasi als letzte Amtshandlung im Januar Sanktionen gegen Rußland verhängt. Seitdem behandeln die großen Medien die bis heute unbewiesen gebliebene These von den russischen Umtrieben im US-Wahlkampf wie einen unumstößlichen Fakt.

Dieser Umstand hat zu schweren Folgen geführt, die eine ernsthafte Gefahr für die bisherige Meinungs- und Pressefreiheit in den westlichen Industrienationen manifestieren. Nachdem im April und März Google den "Verschwörungstheoretikern" und "verstörendem Inhalt" im Internet den Kampf angesagt hat, meldete am 5. August die World Socialist Web Site einen massiven Einbruch bei der Anzahl der Such-Anfragen bei sich und zahlreichen anderen linksalternativen Webseiten. Obwohl die WSWS weltweit eines der größten Archive zum Thema Sozialismus, Marxismus-Leninismus und Trotzkismus überhaupt betreibt, findet der Internet-Surfer heute kaum noch zu ihrer Webseite, wenn er einen dieser Begriffe bei der Google-Suchmaschine eingibt. Laut Andre Damon hat Google "seine Algorithmen dahingehend manipuliert, daß die WSWS bei 145 von 150 Suchbegriffen, die sie noch im April mit ihren Lesern verband, nicht mehr erscheint". Der von Google zur WSWS geleitete Besucherverkehr ist folglich um mehr als 70 Prozent zurückgegangen. Viele andere Websites, die sich fundamentaler oder vielleicht nur leiser Kritik am kapitalistischen System sowie an der militaristischen Außenpolitik der USA befleißigen, erleben ähnliches. Für die Veränderungen hat die selbstherrliche Google-Leitung keine Erklärung präsentiert. Auch den Protesten gegenüber zeigt sie sich taub.

Am 24. Oktober haben sowohl die New York Times als auch das Wall Street Journal Leitartikel veröffentlicht, in denen sie eine strengere Zensur auf der YouTube-Plattform forderten. Stein des Anstoßes war die YouTube-Präsenz von Russia Today und Sputnik, die angeblich westliche Bürger mit einem falschen Bild unter anderem des Bürgerkrieges in der Ukraine und des Konflikts in Syrien versorgen würden. Die beiden großen US-Zeitungen beriefen sich hierbei auf die Angaben von Mark Warner, dem demokratischen Senator aus Virginia, der als Vorsitzender des Geheimdienstausschusses im Oberhaus des US-Kongresses die Hexenjagd in Sachen "Russiagate" anführt. Bezeichnenderweise hat Facebook-Gründer Mark Zuckerberg nach einem Privatbesuch von Warner vor einigen Wochen sein ursprüngliches Urteil von Ende vergangenen Jahres, wonach die These einer russischen Manipulation der US-Präsidentenwahl "Blödsinn" sei, revidiert und sich dafür sogar öffentlich entschuldigt.

Am 26. Oktober hat Twitter, das ähnlich wie Google und Facebook seit Monaten mit dem FBI und dem Kongreß bei der Aufklärung (sic!) in Sachen "Russiagate" zusammenarbeit, auf dem eigenen Internetdienst Werbung von oder für Russia Today und Sputnik verboten. Zur Begründung verwies das in San Francisco sitzende Unternehmen auf "die Schlußfolgerung der US-Geheimdienstgemeinde, daß sowohl RT als auch Sputnik versucht haben, im Auftrag der russischen Regierung in die Wahl einzugreifen". Über diesen Nonsens könnte man lachen, würde er nicht die Spannungen zwischen Moskau und Washington verschärfen und die Gefahr eines Atomkrieges erhöhen. Zum einen waren es nicht alle 16 US-Geheimdienste, welche zur besagten Schlußfolgerung kamen, sondern lediglich eine Handvoll ausgesuchter Analytiker. Zum anderen befanden sich in deren "Hinweisen" auf eine etwaige unzulässige Einmischung Moskaus in die hochheilige Demokratie Amerikas unter anderen solche Lappalien wie RTs Durchführung einer Fernsehdebatte für die Drittkandidaten Jill Stein von den US-Grünen und Gary Johnson von der Libertären Partei, nachdem diese aus dem Duell Clinton-Trump von den großen US-Fernsehsendern ausgeschlossen worden waren.

Am 27. Oktober berichtete die britische Tageszeitung Guardian von einem weiteren großen Schritt in Richtung Internetzensur. Demnach betreibt Facebook in den Ländern Bolivien, Guatemala, Kambodscha, Serbien, Sri Lanka und Slowakei ein Experiment mit weitreichenden Folgen. Dort können die FB-Nutzer seit dem 19. Oktober nicht mehr wie bisher Medieninhalte genauso wie Kurznachrichten oder persönliche Fotos untereinander austauschen. Statt dessen werden Nachrichtenartikel und -berichte auf ein separates Feed verbannt, das man extra aufrufen muß. Auf der eigenen Timeline des FB-Nutzers erscheinen nur noch persönliche Posts und - selbstverständlich - bezahlte Werbung. Wegen der Umstellung, die bald auch in der restlichen Welt Einzug halten dürfte, haben kleine Verlage und Medienbetriebe in den genannten Ländern einen Rückgang des Besucherverkehrs auf ihren Webseiten um mehr als 60 Prozent erfahren. Vielen dieser Kleinunternehmen droht nun das Aus, weil die Veränderung sie für die Werbeindustrie uninteressant macht. Und so geht alles seinen kapitalistischen Gang. Nur sollte hier niemand von einer "freien" Marktwirtschaft reden.

Anmerkungen:

1. Hysterie um 'Fake News' kündigt Internet-Zensur an
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/redakt/mden-474.html

27. Oktober 2017


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