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MEDIEN/432: Obama's War - PBS-Film zur Af-Pak-Strategie der USA (SB)


"Obama's War" - PBS-Film zur Af-Pak-Strategie der USA

Eingebettet bei den Marines und Stanley McChrystal in Afghanistan


Acht Jahre nach dem NATO-Einmarsch in Afghanistan tobt in den USA eine aufgeregte Diskussion um das weitere Vorgehen im Krieg gegen die Taliban. Angesichts steigender Verluste auf der Seite der NATO und zunehmender Schlagkraft der Aufständischen treten die sogenannten Realisten um Vizepräsident Joseph Biden und den außenpolitischen Sprecher der Demokraten im Senat, John Kerry, für eine Reduzierung der ausländischen Truppenpräsenz, eine Einbindung "gemäßigter" Taliban in den politischen Prozeß und eine Absage an den "globalen Antiterrorkrieg" zugunsten gezielter Militärschläge und Polizeiaktionen gegen das Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Ladens, dessen Führung sich angeblich in Pakistan versteckt hält, ein. Das Militär dagegen, angeführt von dem CENTCOM-Chef General David Petraeus und dem ISAF-Oberbefehlshaber General Stanley McChrystal, will jene Eskalationssstrategie, mit der man den Irak 2007-2008 "befriedet" zu haben meint, am Hindukusch umsetzen und verlangt dafür zwischen 40.000 und 80.000 weitere Soldaten. Der neue US-Präsident Barack Obama läßt sich von den Generälen nicht unter Druck setzen, sondern führt die von ihm eingeleitete, interne Regierungsdebatte um die richtige Af-Pak-Strategie konsequent fort und will diese erst nach der Stichwahl um die afghanische Präsidentschaft zwischen dem Amtsinhaber Hamid Karsai und dem Ex-Außenminister Abdullah Abdullah am 7. November bekanntgeben. Wegen dieser überlegten Vorgehensweise werfen Amerikas Neokonservative und führende Mitglieder der Vorgängerregierung von George W. Bush, allen voran der Ex-Vizepräsident Dick Cheney und der Ex-UN-Botschafter John Bolton, Obama offen "Zaudern" und indirekt Feigheit vor dem Feind vor.

Die Lage des Oberkommandierenden der US-Streitkräfte ist alles andere als beneidenswert. Die Taliban kontrollieren praktisch alle ländlichen Gebiete und können in den Städten offenbar nach Belieben zuschlagen, wie der spektakuläre Überfall am 28. Oktober auf das Gästehaus Mekhtar in Kabul, der sechs ausländischen Wahlhelfern der Vereinten Nationen und drei afghanischen Polizisten das Leben kostete und von Raketenangriffen auf den Präsidentenpalast sowie auf das Serena, das einzige Fünf-Sterne-Hotel der Hauptstadt, begleitet war, eindrucksvoll demonstriert. Die Taliban und ihre Verbündeten sind eindeutig auf dem Vormarsch, wie zum Beispiel die von McChrystal Anfang Oktober nach einer Reihe heftiger Angriffe angeordnete Räumung mehrerer Außenposten der US-Armee in der Provinz Nuristan zeigt. Weitere Truppen würden zwar den Krieg eskalieren lassen, dafür könnte man sich vom derzeit erklärten Ziel, "die Herzen und Seelen" der afghanischen Zivilbevölkerung zu erobern, endgültig verabschieden.

Mit dem Dokumentarfilm "Obama's War", der am 13. Oktober vom US-Fernsehsender PBS ausgestrahlt wurde und im Internet angeschaut werden kann, bietet der Korrespondent Brian Smith dem Zuschauer einen umfassenden Überblick in die laufende Af-Pak-Debatte. Für die einstündige Dokumentation, die er im Sommer drehte, hat er Afghanistan und Pakistan besucht und Gespräche sowohl mit führenden Verfechtern der neuen Aufstandsbekämpfungstrategie des Pentagons als auch mit einigen ihrer wichtigsten Kritiker geführt. Zu denjenigen, die im Film zu Wort kommen, gehören neben einfachen Soldaten und afghanischen Zivilisten McChrystal, der Generalstabschef Admiral Michael Mullen, der Af-Pak-Sondergesandte Richard Holbrooke, der US-Botschafter in Kabul, Karl Eikenberry, sowie die Militärexperten Andrew Exum, David Kilcullen und Oberstleutnant John Nagl. Letztere drei stehen der konservativen Washingtoner Denkfabrik Center for a New American Security nahe. Im Film werden Ausschnitte einer Konferenz gezeigt, die dort im Sommer stattfand und auf der Petraeus die Botschaft von den "Full Spectrum Operations" predigte.

Unter diesem Begriff verbirgt sich die Einsicht, daß man bei der Aufstandsbekämpfung mit ausschließlich militärischen Mitteln niemals gewinnen kann. Deshalb sollen die US-Soldaten in Afghanistan verstärkt Kontakt zur Zivilbevölkerung suchen und sie auf ihre Seite ziehen. Um zu sehen, ob dies funktioniert, ließ sich der Korrespondent Smith und seine Kameracrew im Sommer rund eine Woche lang bei der Echo Company der US-Marineinfanterie im südlichen Teil der Provinz Helmand in Südafghanistan einbetten. Diese hatte gerade einen ehemaligen Stützpunkt der Taliban in einem bitterarmen Dorf erobert. Von dort aus wollen sie die Gegend befrieden und das Vertrauen der Menschen dort gewinnen. Das Ergebnis ist mehr als ernüchternd. Gleich bei der ersten Patrouille geraten die Männer der Echo Company in einem Hinterhalt. Zwar können sie sich den Weg freischießen, doch der 20jährige Charles Seth Sharp wird von einer feindlichen Kugel im Hals tödlich getroffen. Auch die Gespräche mit den Einheimischen laufen schlecht. Keiner der Soldaten spricht etwas anderes als Englisch. Sie können sich nur schwer mit dem Dolmetscher verständigen, da dessen Englisch nicht besonders gut ist, und er kann als Vermittler zu den Einheimischen nur bedingt agieren, da er den lokalen Dialekt auch nicht beherrscht. Die Soldaten sind schnell frustriert. "Wir sind hier, um die Taliban zu vertreiben. Warum helft ihr uns nicht?" erklärt ein Offizier. Ein anderer wird deutlicher: Wer nicht mit den Besatzern kooperiert, wird als Taliban-Sympathisant betrachtet. Während die Soldaten Sonntags auf dem Vorposten die christliche Messe feiern und um ihren toten Kameraden trauern, fragen sie sich, warum praktisch keiner von den Leuten den Markt nebenan mehr benutzt, sondern alle ihre Geschäfte in einem von den Taliban kontrollierten Gebiet abwickeln. Liegt es wirklich nur daran, daß sie von den Taliban bedroht werden, wie die Soldaten zu glauben scheinen? Wohl kaum, zumal, wie Smith richtig anmerkt, im Sommer der Taliban-Chef Mullah Muhammed Omar persönlich ein rund 30seitiges Handbuch herausgegeben hat, wie seine Männer mit der Zivilbevölkerung umzugehen und sie mit Respekt sowie gerecht zu behandeln hätten.

Bei einem Abstecher in Kabul besuchen Smith und seine Crew getrennte Wahlkampfverstaltungen von Karsai und Abdullah. Ersterer wird als korrupter Handlanger blutrünstiger Warlords und Drogenbarone, letzterer als Anti-Korruptionskandidat und Hoffnungsträger dargestellt. In Afghanistan gilt Abdullah als führender Vertreter jener Nordallianz, die sich in den neunziger Jahren im Bürgerkrieg mindestens so viele Greueltaten hat zuschulden kommen lassen wie die Taliban, doch dem westlichen Publikum ist er relativ unbekannt, weshalb die Befürwörter der Afghanistan-Besatzung offenbar glauben, mit ihm als neuer Marionette "frischen Wind" und eine Wende zum Besseren suggerieren zu können. Daß Smith auf diesen Hütchenspielertrick hereinfällt, zeugt nur von seinem eigenen Opportunismus.

In der zweiten Hälfte des Films richtet sich der Blick nach Pakistan, dem angeblich eigentlichen Hort des Bösen. Die Lage dort wirkt nicht zuletzt bedrohlich, weil Smith ausgerechnet an dem Tag in Peshawar, Hauptstadt der Nordwestfrontierprovinz (NWFP), drehte, als dort eine aufgebrachte Menschenmenge gegen die Ermordung von Baitullah Mehsud, dem Chef der pakistanischen Taliban, durch einen per Drohne durchgeführten Raketenangriff der CIA am 5. August, demonstrierte. Smith fährt die Vorwürfe von McChrystal, Mullen und anderen auf, wonach sich die Al-Kaida-Spitze in Nord- und Südwasiristan und die Führung der afghanischen Taliban um Mullah Omar in Quetta, der Hauptstadt Belutschistans, aufhalten. Beiden Behauptungen wird vom pakistanischen Innenminister Rehman Malik und Generalmajor Athar Abbas, Sprecher der pakistanischen Armee, aufs heftigste widersprochen, die ihrerseits - und das nicht zum erstenmal - nach handfesten Beweisen fragen. Nichtsdestotrotz schwenkt Smith voll auf die neokonservative These von Pakistan als "eigentlicher Bedrohung" ein und merkt resigniert an, daß die US-Streitkräfte dort nicht aktiv "Antiterrorkampf" betreiben dürfen. Wenn man sich vor Augen führt, welche Probleme die pakistanische Armee dieser Tage selbst in Südwasiristan hat, kann man sich kaum vorstellen, wie der Einsatz der Amerikaner dort für eine Besserung sorgen sollte.

Immerhin läßt Smith namhafte Leute wie den Reporter Steven Coll, der 2004 für das Enthüllungsbuch "Ghost Wars - The Secret History of the CIA, Bin Laden and Afghanistan" den Pulitzerpreis erhielt, Celeste Ward, die einst als Staatssekretärin im US-Verteidigungsministerium für Spezialoperationen und Konflikte niedriger Intensität zuständig war, und den Ex-Armeeoffizier Andrew Bacevich, der als Professor Geschichte an der Universität von Boston lehrt und vor kurzem das vielbeachtete Buch "The Limits of Power - The Ende of American Exceptionalism" veröffentlicht hat, auf die Vergeblichkeit des von Petraeus, McChrystal und Konsorten geplanten "langen Kriegs" gegen den militanten Islam in Afghanistan, Pakistan und anderswo hinweisen. Auffällig ist im Film, daß McChrystal den Krieg in "Af-Pak" für "ambitioniert" und "wichtig" erklärt, doch für seine kategorische Feststellung, daß es dazu "keine Alternative" gibt, liefert er keinerlei Begründung. Offenbar soll diese selbstverständlich sein. Trotz des Titels ist von Obama im Film nichts zu sehen. Von ihm jedoch zu hören ist ein Ausschnitt aus einer Rede, in der er im März erklärt hatte, die US-Bevölkerung habe eine "direkte Antwort" verdient, warum ihre Soldaten und Soldatinnen in Afghanistan "kämpfen und sterben". Auf diese Antwort wartet man - trotz des sehr informativen PBS-Films - bis heute vergeblich.

- "Obama's War" kann man auf der PBS-Website unter folgendem Url ansehen:

http://www.pbs.org/wgbh/pages/frontline/obamaswar/

30. Oktober 2009