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LATEINAMERIKA/2304: Evo Morales widerlegt prophezeites Scheitern (SB)


Regierungsgegner zersplittert - Bemerkenswertes Wirtschaftswachstum


Am 6. Dezember werden in Bolivien allgemeine Wahlen abgehalten, bei denen der Präsident, sein Stellvertreter sowie die Sitzverteilung in den beiden Kammern des Kongresses zu Abstimmung stehen. Aktuelle Umfragen bestätigen, was sich bereits seit Monaten abgezeichnet hat: Präsident Evo Morales und Vizepräsident ‘lvaro García Linera können mit einer klaren Bestätigung im Amt rechnen. Darüber hinaus bescheinigt man der regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS) gute Aussichten, erstmals eine absolute Mehrheit im Parlament zu erringen. Hingegen stellt sich das Lager der ehemals erbitterten Gegner der Regierung in Gestalt der sezessionistischen Bewegung in den Provinzen des östlichen Tieflands als gespalten und zersplittert dar, unfähig die eskalierenden Kontroversen einzudämmen und eine gemeinsame Front zu bilden. [1]

Diese Entwicklung ist um so bemerkenswerter, als die reaktionären Kräfte um Rubén Costas, dem Präfekten des Departamento Santa Cruz de la Sierra, das Bürgerkomitee Pro Santa Cruz und die einflußreiche Kammer für Industrie, Handel und Tourismus Santa Cruz (CAINCO) auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen einen Konflikt provozierten, der an den Rand einer Spaltung Boliviens, eines Bürgerkriegs und eines übergreifenden rassistischen Kreuzzugs gegen die erstarkenden indígenen Bewegungen der gesamten Region führte. Die Gründe für das vorläufige Scheitern dieser von den traditionellen Eliten in Politik und Wirtschaft forcierten Kampagne sind vielfältiger Natur, wobei die überzeugende und erfolgreiche Arbeit der Regierung wie auch die Unterstützung seitens der meisten anderen Länder Südamerikas an erster Stelle zu nennen sind. Fürs erste in die Schranken gewiesen ist auch der sabotierende Einfluß der USA, die mit den Regierungsgegnern konspirierten und ihre Doktrin verdeckter Putschstrategien zum Einsatz brachten.

Die Vorwurfslage, Evo Morales sei ein Populist und antiamerikanischer Verführer wie Fidel Castro und Hugo Chávez, der Bolivien über kurz oder lang zugrunde richten werde, hat sich selbst ad absurdum geführt. Die bolivianische Regierung hat der Doktrin eine Absage erteilt, Entwicklungsländer müßten ein freundliches Klima für ausländische Investoren schaffen, neoliberalen makroökonomischen Ratschlägen folgen und sich ins System des Schuldendiensts fügen, um das eigene Rating zu verbessern und somit ausländisches Kapital anzulocken. Diesen vom Olymp der Ökonomen verfügten Glaubenssätzen zuwiderzuhandeln, müßte folglich schnurstracks in die Hölle wirtschaftlichen Ruins führen.

Das Gegenteil ist Fall: Obzwar noch immer das ärmste Land Südamerikas, wird Bolivien in diesem Jahr aller Voraussicht nach das deutlichste Wirtschaftswachstum aller Staaten der Hemisphäre erreichen. Evo Morales, der 2005 zum Präsidenten gewählt wurde und sein Amt im Januar 2006 angetreten hat, kann gerade wegen seines tendenziellen Bruchs mit den ehernen Regeln perfektionierter Ausbeutung Erfolge vorweisen, die angesichts der weltweiten Systemkrise der kapitalistischen Wirtschaftsordnung um so erstaunlicher sind. Zuvor hatten zwei Jahrzehnte durchgängigen Regimes des IWF dazu geführt, daß das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen unter den Stand gesunken war, den das Land 27 Jahre früher erzielt hatte. [2]

Kaum drei Monate im Amt, trennte sich Evo Morales vom IWF, worauf die Nationalisierung der Öl- und Gasproduktion folgte. Im Mai 2007 zog sich Bolivien aus dem Schiedsgericht der Weltbank zurück, womit die bolivianische Führung Konsequenzen aus der Tendenz dieses Gremiums zog, zugunsten multinationaler Konzerne zu entscheiden. Diese Schritte brachten der Administration in La Paz heftige Anfeindungen ausländischer Regierungen und Unternehmen ein, die vor einer Rückkehr des Kommunismus nach Südamerika warnten und Morales einen baldigen Schiffbruch vorhersagten.

Die Nationalisierung vor allem der Erdgasproduktion bescherte dem Staatshaushalt dank erhöhter Abgaben der Förderkonzerne zusätzliche Einnahmen in Milliardenhöhe, was angesichts eines Bruttoinlandprodukts von nur 16,6 Milliarden Dollar von einer enormen Größenordnung für den Andenstaat mit seinen zehn Millionen Einwohnern ist. Diese Mehreinnahmen erlaubten es der Regierung, Entwicklungsprojekte in Angriff zu nehmen und die Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise zu mildern. Obgleich Bolivien unter dem Preisverfall seiner wichtigsten Exportprodukte Erdgas und Mineralien schwer zu leiden hatte, scheint der Aufschwung nachhaltiger als bei allen anderen Ländern Nord- und Südamerikas einzusetzen.

Die Bush-Regierung entzog Bolivien die Handelsvorteile, welche die USA unter der Maßgabe einer angemessenen Bekämpfung des Drogenhandels gewähren. Daß es sich grundsätzlich um ein Instrument der Erpressung handelt, liegt auf der Hand, und Washington machte davon Gebrauch, nachdem Bolivien den US-Botschafter wegen dessen Kumpanei mit Santa Cruz des Landes verwiesen hatte. Mit der Ausweisung der US-Drogenbehörde DEA im November 2008 und der Kündigung zweier Programme der US-Entwicklungsbehörde USAID im September 2009 unterstrich die bolivianische Führung ebenfalls, daß sie die verdeckte Einflußnahme Washingtons nicht mehr duldet. Bezeichnenderweise wirft auch die Obama-Regierung weltweit drei Staaten vor, sie hätten bei der Bekämpfung der Drogen nachweislich versagt, nämlich Bolivien, Venezuela und Myanmar. Wenngleich die USA gnädigerweise auf Sanktionen gegen die beiden südamerikanischen Länder verzichten und Programme zugunsten der Bevölkerung fortsetzen wollen, stellte Obama dieselben Regierungen an den Pranger wie zuvor sein Amtsvorgänger George W. Bush.

In Sicherheit wiegen können sich Evo Morales und alle ihn unterstützenden Kräfte des Landes also nicht, da ihre Feinde zwar die derzeit maßgeblichen Schlachten verloren, jedoch ihren Krieg damit keineswegs beendet haben. Sie setzen vielmehr zumindest in Teilen auf einen Strategiewechsel, der einerseits die opportunistische Anpassung an den derzeit erfolgreichsten Kurs, doch andererseits auch die kaum kaschierte Absicht erkennen läßt, auf lange Sicht mit modifizierten Mitteln das alte Ziel zu erreichen. Es geht wie immer um die Herrschaftssicherung, die untrennbar mit den Ausbeutungs- und Verfügungsverhältnissen verbunden ist. Auch wenn die dominierenden Klassen gegenwärtig nicht in der regierenden Administration präsent sind, heißt das nicht, daß ihre Macht damit gebrochen wäre.

Mangels einer Umwälzung der fundamentalen gesellschaftlichen Verhältnisse bleibt die Reformbewegung ungeachtet ihrer bemerkenswerten Errungenschaften dauerhaft gefährdet, von außen zerschlagen oder von innen zersetzt zu werden. Letzteres scheint das gegenwärtig favorisierte Mittel der Wahl einer wachsenden Fraktion vormals entschiedener Regierungsgegner zu sein, die nun um der eigenen Positionierung willen die Seiten wechseln. Mag es sich auch in wesentlichen Teilen um das Bestreben handeln, die eigenen Karrieren und Pfründe zu sichern, so kann sich daraus früher oder später ein neuer Schub entwickeln, den Konter aus dem Schleichgang in die Offensive zu überführen.

Wie es nun in Kreisen der Unternehmerschaft von Santa Cruz heißt, wolle man die Blockadepolitik beenden und sich konstruktiv am Prozeß des Wandels beteiligen, wie ihn Präsident Evo Morales proklamiert hat. Selbst der frühere Chefideologe der Präfektur, Jorge Aldunate, hat Rubén Costas die Gefolgschaft aufgekündigt und will sich eigenen Angaben zufolge um seine berufliche Zukunft kümmern. Schließlich sei die MAS bald stärkste Kraft im Departement. Vor der Auflösung steht die berüchtigte Jugendunion Santa Cruz (UJC), die beim gescheiterten Putschversuch im September 2008 Prügelorgien veranstaltet, Anhänger der Regierung offen drangsaliert und staatliche Einrichtungen in Brand gesteckt hatte.

Der Gegner habe sich der MAS ergeben, kommentiert Vizepräsident Linera das Phänomen prominenter Überläufer, welches das Regierungslager jedoch vor die Frage stellt, wie mit dieser Entwicklung umzugehen sei. Der Prozeß des Wandels sei offen für jeden, unterstreicht Evo Morales seine Absicht, der Konfrontation die Schärfe zu nehmen und ehemals feindliche Kräfte einzubinden. Wenngleich das Bestreben, gerade im Vorfeld der Wahlen auf einen durchschlagenden Erfolg beim Urnengang hinzuarbeiten, durchaus plausibel sein mag, fehlt es doch nicht an warnenden Stimmen, die vor einer Rückentwicklung der "Regierung der sozialen Bewegungen" zu einer politischen Partei traditionellen Zuschnitts warnen.

Zwar trägt die MAS den Sozialismus im Namen, doch bezeichnet sie sich explizit als Bewegung, die sich dieses Ziel auf die Fahnen geschrieben hat und folglich anstrebt. Als Regierungspartei unterliegt sie jedoch zwangsläufig der Gefahr, sich bei der Übernahme der Administration zugleich deren herrschaftsrelevanten Strukturen und Zwängen zu unterwerfen oder gar anzudienen, während die Gründung auf eine gesellschaftliche Bewegung auf der Strecke zu bleiben droht. Die historisch zu nennende Funktion der Sozialdemokratie, potentiell opponierende Fraktionen der Gesellschaft einzubinden und darüber zu einer bürgerlichen Partei mit staatstragender Ausrichtung zu degenerieren, die ihr traditionelles Klientel auf ganzer Linie verraten und gleichsam als widerständische Klasse eliminiert hat, hängt wie ein Damoklesschwert auch über dem Nacken der MAS.

Diese Warnung steht nicht im Widerspruch zu einer Absage an die zutiefst kontraproduktive Zerfleischung und Fraktionierung innerhalb der Linken, soweit diese über dem Gegner im eigenen Lager den eigentlichen Feind zu vergessen droht oder sich ihm sogar in die Arme wirft. Wer die vorgebliche Reinheit der eigenen Lehre über den kritischen Geist und fortgesetzten Streit um das nie preisgegebene Vorhaben stellt, steuert zielstrebig den Hafen vermeintlicher Sicherheit und Rechtschaffenheit an, wie ihn zwangsläufig nur jene Kräfte überzeugend suggerieren können, deren Verfügungsgewalt sich darin manifestiert.

Evo Morales und die MAS verdienen rückhaltlose Unterstützung gegen die reaktionären Kräfte im eigenen Land wie auch imperialistische Angriffe seitens der Hegemonialmacht USA oder deren Verbündeten. Alles andere hieße, sich im Gestrüpp der Widerspruchslagen zu verheddern und von der Entschiedenheit zu verabschieden, im jeweils konkreten Konflikt Partei für die schwächere Seite zu ergreifen. Gerade deswegen auch mit Blick auf die Regierung Boliviens vor dem Verlust fortgesetzter Rückbindung an die eigene Herkunft im gesellschaftlich umfassendsten Sinn einer unterdrückten, ausgebeuteten und ausgegrenzten Klasse zu warnen, ist unverzichtbar und kann unmöglich in einen Schulterschluß mit den traditionellen südamerikanischen Eliten oder der Übermacht in Washington münden.

Anmerkungen:

[1] Morales sieht sich gestärkt. Teile der bolivianischen Opposition laufen zur Regierung über (04.11.09)
Sozialistische Tageszeitung

[2] Ecuador and Bolivia Show How to Pursue Independent Economic Policies, Stand Up for Their Rights, and Win (29.10.09)
Counterpunch

4. November 2009