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LATEINAMERIKA/2298: Wahl in Uruguay - Mujica verfehlt knapp die absolute Mehrheit (SB)


In der Stichwahl gegen den konservativen Luis Alberto Lacalle


Bei der Präsidentenwahl in Uruguay hat der frühere Guerillakämpfer José Mujica im ersten Durchgang nur knapp die absolute Mehrheit verfehlt. In der Stichwahl am 29. November trifft der 74jährige auf den konservativen Ex-Präsidenten Luis Alberto Lacalle. Hochrechnungen zufolge kam der Kandidat des regierenden Linksbündnisses Frente Amplio (Breite Front) auf etwa 48 Prozent der Stimmen. Der frühere Tupamaro sprach von einem "hoffnungsvollen Ausgangspunkt" und erklärte: "Die Uruguayer haben uns eine weitere Anstrengung auferlegt." Lacalle von der Nationalen Partei, der Uruguay von 1990 und 1995 regiert hatte, landete abgeschlagen bei etwa 30 Prozent. Mit etwa 17 Prozent schnitt Pedro Bordaberry von der rechtsgerichteten Colorado-Partei, die Lacalle in der Stichwahl unterstützen will, überraschend gut ab. [1] Nach Angaben des Wahlgerichtshofs lag die hohe Beteiligung am Urnengang zwischen 88 und 89 Prozent der 2,5 Millionen Wahlberechtigten.

Auf den Straßen der Hauptstadt Montevideo feierten Anhänger des Regierungslagers das Wahlergebnis. Für die Stichwahl haben Meinungsforscher einen Sieg Mujicas als wahrscheinlich vorhergesagt, der die moderate, reformorientierte Politik seines populären Vorgängers Tabaré Vázquez fortsetzen würde, der nach der Verfassung nicht wieder kandidieren durfte. Mujica hatte seinen Wählern aber auch angekündigt, er wolle einen dauerhaften Sozialismus schaffen. Fernsehkommentatoren bemängelten, daß es ihm nicht gelungen sei, das hohe Ansehen von Amtsinhaber Vázquez für seine eigene Kandidatur wirksam werden zu lassen. Sein politischer Gegner Lacalle hatte sich für Steuersenkungen und einen Abbau des staatlichen Einflusses in dem 3,4 Millionen Einwohner zählenden südamerikanischen Land eingesetzt. [2]

José Mujica ist derzeit der populärste Politiker Uruguays. Der ehemalige Tupamaro, Mitbegründer der Stadtguerilla in den sechziger Jahren, verbrachte vor und während der uruguayischen Militärdiktatur insgesamt vierzehn Jahre im Gefängnis, die Hälfte dieser Zeit in Einzelhaft. Nach dem Ende der Diktatur wurde er amnestiert und war maßgeblich daran beteiligt, die frühere Guerilla in eine politische Bewegung zu verwandeln. Unter dem scheidenden Präsidenten Tabaré Vázquez war er Landwirtschaftsminister, doch legte er dieses Amt im vergangenen Jahr nieder, um sich auf die Kandidatur für die Präsidentschaft zu konzentrieren. Vázquez' Wahl hatte vor fünf Jahren die langjährige Vorherrschaft von Mitte-Rechts-Regierungen beendet. [3]

Mujica bezeichnet sich zwar selbst als Anarchist und gehört eher dem linken Flügel des Parteibündnisses an, doch lassen seine bislang mehr angedeuteten als konkretisierten Vorhaben keinen Linksruck erwarten. Sein designierter Vizepräsident ist der ehemalige Wirtschafts- und Finanzminister Danilo Astori, der für eine sozialdemokratische Politik steht. Astori warb im Wahlkampf vor allem um die Mittelschicht und wird den Kurs der künftigen Regierung maßgeblich mitbestimmen. Mujica selbst hat bereits versichert, daß er das System nicht grundlegend verändern will. Trotz günstiger ökonomischen Daten, Lohnzuwächsen und Sozialprogrammen hat die Polarisierung der Gesellschaft in den letzten fünf Jahren zugenommen.

Wenn Mujica daher von einer Erfolgsbilanz der ersten Linksregierung in der Geschichte des Landes spricht, so gilt das unter der genannten Einschränkung, daß eine Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht vorgesehen ist. Die Reformpolitik kann jedoch auf markante Errungenschaften verweisen, weil Uruguay unter der Administration der Colorado-Partei einen ausgeprägt neoliberalen Kurs angelegt hatte, der einer kleinen Elite die Taschen füllte und ausländische Investoren bediente. Hingegen ist in den letzten vier Jahren das Bruttoinlandsprodukt um 35 Prozent gestiegen, während das jährliche Wachstum acht Prozent betrug. Der Reallohn stieg um 30 Prozent, der Mindestlohn verdoppelte sich auf rund 140 Euro. Die Arbeitslosigkeit sank von 16 Prozent im Jahr 2004 auf sieben Prozent Anfang 2009. Hatten 2004 noch 32 Prozent der Uruguayer in Armut gelebt, so war diese Quote 2008 auf 20 Prozent gesunken. Auch wurde für die bis dahin völlig rechtlosen Landarbeiter der Achtstundentag durchgesetzt. [4]

Das Linksbündnis Frente Amplio stärkte die Rechte der Gewerkschaften und brachte eine Steuerreform auf den Weg, welche die unteren Einkommen entlastete. Der Bildungsetat wurde erhöht, und die Regierung richtete erstmals in der Geschichte des Landes ein Sozialministerium ein. Dieses rief unter anderem einen Notstandsplan ins Leben, von dem Hunderttausende profitierten. Vielbeachtet, aber auch umstritten war der Plan Ceibal, in dessen Rahmen mehr als 360.000 Grundschüler einen Laptop erhielten. Will man die Politik des Regierungsbündnisses auf einen Begriff bringen, so handelt es sich um einen durchaus wirtschaftsfreundlichen Kurs, der allerdings eine stärkere Belastung der wohlhabenderen Gesellschaftsschichten zur Finanzierung der Reformen vorsieht, die tendentiell den armen und ausgegrenzten Bevölkerungsteilen zugute kommen.

Politisches Vorbild dürfte vor allem der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bleiben, während Mujica im Kontext einer zunehmenden Integration Südamerikas auch die Beziehungen zu Hugo Chávez und Evo Morales ausbauen wird, ohne sich ihnen jedoch als Bündnispartner anzuschließen. Den seit über drei Jahren nicht beigelegten Streit mit Argentinien, der sich an der Ansiedlung einer Zellstoffabrik auf der uruguayischen Seite des gemeinsamen Grenzflusses entzündet hatte, wird Mujica wohl in absehbarer Zeit beilegen.

Über die künftige Zusammensetzung beider Kammern des Parlaments, deren Mitglieder ebenfalls neu gewählt wurden, lagen zunächst noch keine klaren Angaben vor. Gescheitert sind zwei parallel abgehaltene Referenden zur Aufhebung einer Amnestie für Menschenrechtsverbrechen von Militärs und Polizisten vor und während der Militärdiktatur (1973 bis 1985) und für die Einführung des Briefwahlrechts für Uruguayer, die im Ausland leben. Lacalle, der aus einer jener einflußreichen Familien stammt, die mit ihrer Partei, den Blancos, das Land über Jahrzehnte politisch geprägt haben, hatte sich für die Beibehaltung der Amnestie als Kernelement im Übergang des Landes zur Demokratie ausgesprochen. Andere verlangten dagegen, daß sich Uruguay seiner Vergangenheit stellt, auch wenn dabei alte Wunden aufgerissen werden sollten. Vertreter von Menschenrechtsgruppen bedauerten diesen Mißerfolg, betonten aber zugleich, daß sie weiter für die Bestrafung der Täter kämpfen würden. Nach 1989 war es bereits das zweite Referendum zur Aufhebung der Amnestie, dem der Erfolg versagt blieb. Damals wurde die Angst vor einem erneuten Militärputsch geschürt, was zu einem knappen Scheitern der Annullierung führte.

Die von Präsident Julio María Sanguinetti 1986 erlassene Amnestie für die Verbrechen während der Militärdiktatur untersagt die Verfolgung selbst schwerster Straftaten wie Entführung und Mord, womit sie in Widerspruch zu internationalen Menschenrechtsabkommen steht. Das Gesetz läßt der Regierung allerdings die Option offen, einzelne Fälle juristisch verfolgen zu lassen. Experten gehen davon aus, daß unter dem Regime mehr als 200 Menschen verschleppt und ermordet wurden. Offiziell bestätigt sind jedoch nur 172 Fälle von "Verschwundenen". Wenngleich es zu einigen aufsehenerregenden Verurteilungen kam, steht eine grundsätzliche Konfrontation mit der Diktaturzeit noch aus.

Wenige Tage vor der Wahl hatte der Oberste Gerichtshof das Amnestiegesetz für verfassungswidrig erklärt, wobei sich diese Entscheidung jedoch nur auf einen bestimmten Fall bezog. Kurz darauf wurde allerdings der frühere Militärdiktator Gregorio Alvarez wegen Menschenrechtsverbrechen zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Der heute 83jährige war in den siebziger Jahren Armeechef und von etwa 1980 an als Chef der Militärregierung der amtierende Diktator bis kurz vor Wiederherstellung der Demokratie 1985. Alvarez war 2007 unter dem Vorwurf festgenommen worden, an den Entführungen und Tötungen linker Dissidenten im Rahmen der "Operation Condor" beteiligt gewesen zu sein. Er bestritt dies vor Gericht und erklärte, er habe von den Entführungen nichts gewußt. Staatsanwalt Oscar Lopez Goldaracena sprach von einem sehr wichtigen Schritt bei der Aufarbeitung der uruguayischen Vergangenheit. [5] Soll der Straflosigkeit jedoch grundsätzlich ein Ende gesetzt werden, bedarf es einer Aufhebung der Amnestie.

Anmerkungen:

[1] Ex-Guerillero Mujica gewinnt erste Wahlrunde (26.10.09)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,657285,00.html

[2] Uruguays Linksregierung vor Zitterpartie (26.10.09)
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4825447,00.html

[3] Ex-Guerillakämpfer Mujica bei Präsidentenwahl in Führung (26.10.09)
http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/uruguay-ex- guerillakaempfer-mujica-bei-praesidentenwahl-in- fuehrung_aid_448158.html

[4] Gute Chancen für einen Wahlsieg der Linken. Bei der Frente Amplio wächst von Tag zu Tag der Optimismus (24.10.09)
Neues Deutschland

[5] Letzter uruguayischer Diktator zu 25 Jahren Haft verurteilt (23.10.09)
NZZ Online

26. Oktober 2009