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LATEINAMERIKA/2296: Putschregime versucht den Staatsstreich auszusitzen (SB)


Greifbar nahe Verhandlungslösung erneut blockiert


Wenngleich der Staatsstreich in Honduras international verurteilt wurde und Sanktionen nach sich gezogen hat, klammern sich die Putschisten nach wie vor an die widersprüchlichen Signale aus Washington, wo man sie in offiziellen Verlautbarungen tadelt und milde abstraft, jedoch zugleich als Speerspitze gegen den "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" gewähren läßt. Die Hoffnung der Machthaber, den gestürzten Präsidenten Manuel Zelaya und die Bewegung des Widerstands durch eine Verzögerungstaktik ins Leere laufen zu lassen, ist unter diesen Voraussetzungen weder irrational noch zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Der daraus resultierende Schlingerkurs, auf dem verschärfte Repression und nachfolgende Lockerung derselben, Blockadehaltung und Verhandlungsbereitschaft einander die Klinke in die Hand geben, als sei das Regime in Tegucigalpa endgültig der geistigen Umnachtung verfallen, entspricht voll und ganz der gespaltenen Positionierung der Hegemonialmacht, deren schützender Hand die Eliten des mittelamerikanischen Landes ihre Herrschaft verdanken.

Das unter Vermittlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verfaßte Kompromißabkommen ist schon seit Tagen unterschriftsreif, ohne daß es gebilligt worden wäre. Das Papier sieht vor, die Wahlen wie vorgesehen am 29. November abzuhalten und anschließend unabhängig vom Ergebnis eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, die das Land bis zur Amtseinführung des neuen Präsidenten Ende Januar 2010 führt. [1] Da diese Einheitsregierung von den Gegnern Zelayas kontrolliert würde, wären diesem in den wenigen verbleibenden Wochen weitgehend die Hände gebunden. Von einer verfassunggebenden Versammlung soll endgültig Abstand genommen werden, womit eine zentrale Forderung des Widerstands, der zwar Zelaya unterstützt, jedoch in seinen entschiedensten Fraktionen längst die künftige Entwicklung ins Auge faßt, abgewiesen wäre. Zudem sollen die politischen Vergehen vor und nach dem Putsch mit Hilfe einer Amnestie der Strafverfolgung entzogen werden, was darauf hinausläuft, die Morde, Verhaftungen und zahlreichen anderen Drangsalierungen seitens der Machthaber zu legalisieren. All diese Vereinbarungen gehen so sehr zu Lasten Zelayas und des Widerstands, daß sie eigentlich nicht mehr als Kompromiß bezeichnet werden können.

Selbst über den vordringlichsten Punkt, nämlich die Rückkehr Zelayas in sein Amt, bestand zwischen den Verhandlungsdelegationen im Prinzip Einigkeit. Strittig war zuletzt lediglich, ob die Nationalversammlung oder der Oberste Gerichtshof die Wiedereinsetzung beschließen sollte. Während die Putschisten eine gerichtliche Entscheidung favorisierten, bestand Zelaya auf einer Entscheidung des Parlaments, da dieses ihn ja schließlich am 28. Juni für abgesetzt erklärt hatte. Trotz dieser Vereinbarungen, die für das Regime noch günstiger als das unter Vermittlung des costaricanischen Präsidenten Oscar Arias ausgehandelte Abkommen von San José ausfielen, unterzeichneten die Putschisten nicht. Daher wurde die Einigung auf Anfang dieser Woche vertagt, wofür Zelaya sein Ultimatum verlängerte.

Die Machthaber lockerten als vorgebliches Zeichen des guten Willens das Versammlungsverbot und die Einschränkung der Presse. Oppositionelle Radio- und Fernsehsender konnten nach dreiwöchiger Unterbrechung wieder ihre Programme ausstrahlen, so daß insbesondere Radio Globo und Channel 36 ungehindert zu empfangen waren. Präsident Zelaya traf sogar persönlich mit einem Vertreter der sogenannten Interimsregierung Roberto Michelettis zusammen, wobei es sich nach Angaben von Arturo Corrales aus der Verhandlungsdelegation des Regimes um eine inoffizielle Unterredung zur Klärung offener Fragen gehandelt hat. [2]

Obgleich die allseits beschworene Verhandlungslösung in greifbare Nähe gerückt schien, warteten die Vertreter Michelettis plötzlich mit einer neuen Forderung auf, die offensichtlich auf eine weitere Blockade der Gespräche hinauslief. Nun soll der Beschluß über die Wiedereinsetzung Zelayas plötzlich vom Verhandlungsteam ausgehen, das jedoch zuvor die Rechtsmeinungen von Parlament und Justiz einholen, diese prüfen und bewerten müsse. Diesen Vorschlag anzunehmen, hieße jedoch anzuerkennen, daß der Sturz des Präsidenten rechtens gewesen sei.

Folglich konnte Zelayas Verhandlungsführer Víctor Meza diese Forderung unmöglich akzeptieren, wobei er trotz dieses neuerlichen Affronts den Dialog nicht völlig abbrach. "Dieser Vorschlag ist beleidigend, denn er verlangt von uns zu erklären, daß es keinen Staatsstreich gegeben habe, und danach soll alles, was dann geschieht, vom Willen der Putschisten abhängen", kritisierte er. Er sprach von einer offenkundigen Verzögerungstaktik des Regimes und erklärte, man werde erst dann wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren, wenn ein "ernsthafter, konstruktiver und von echtem politischen Willen getragener Vorschlag" zu beraten ist. [3]

Inzwischen ist auch eine dreiköpfige Delegation der OAS in Tegucigalpa eingetroffen, die Menschenrechtsverletzungen seit dem Staatsstreich Ende Juni untersuchen will. Nach Angaben der Putschregierung starben seither vier Menschen, das "Komitee Vermißter Häftlinge" spricht hingegen von zwölf Todesopfern und andere Quellen gehen von rund zwanzig Getöteten aus. So berichtete Radio Globo kurz nach Wiederaufnahme seines Sendebetriebs von dem Tod eines weiteren Aktivisten der Widerstandsbewegung. In Santa Bárbara war der Lehrer Eliseo Hernández durch Schüsse regelrecht hingerichtet worden.

In der Bewegung des Widerstands gegen den Putsch beraten derzeit die beteiligten Fraktionen, ob sie sich an den für den 29. November geplanten Wahlen beteiligen oder zu deren Boykott aufrufen. Einigkeit scheint darüber zu herrschen, daß der Urnengang ohne vorherige Rückkehr Zelayas ins Amt illegitim sei. So hat die Linkspartei "Demokratische Vereinigung" (UD) bereits eine Wahlbeteiligung unter diesen Umständen definitiv ausgeschlossen. Wahlen unter Kontrolle der Putschisten seien verfassungswidrig, es gäbe "keine Garantien für einen freien, transparenten und demokratischen Wahlverlauf". Einen Rücktritt von der Kandidatur berät auch der unabhängige Kandidat Carlos H. Reyes mit seinen Unterstützern.

Das Land ist im Gefolge des Staatsstreichs inzwischen so tief in zwei Lager gespalten, daß manche Honduraner eine Aussöhnung zu ihren Lebzeiten bezweifeln. Organisationen der katholischen Kirche wie die Caritas und Repräsentanten der Evangelikalen in Honduras beklagen die Polarisierung der Gesellschaft und bieten ihre Dienste als Vermittler im Versöhnungsprozeß an, der nach den Wahlen beginnen müsse. Daß die beiden Kirchen das Vertrauen beider Konfliktparteien genießen, darf jedoch bezweifelt werden, da sie den Sturz Zelayas ebenso unterstützt haben wie die meisten Medien des Landes. [4]

Die Beschwörung von Demokratie, Pluralität, Toleranz und anderen Werten trägt allenfalls zur Verschleierung bei, da sie von den Herrschaftsverhältnissen abstrahiert und eine friedliche Koexistenz von Reichen und Armen, Herren und Knechten, Ausbeutern und Ausgebeuteten postuliert. Der Putsch in Honduras hat auf zugespitzte Weise deutlich gemacht, daß es sich bei den gesellschaftlichen Widersprüchen um kein Mißverständnis oder Vorurteil handelt, das sich durch eine Versöhnungskommission aus der Welt schaffen ließe.

Anmerkungen:

[1] Honduras: Hinterhältiges Spiel der Putschisten (20.10.09)
http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/516378/index.do?_vl_backlink=/home/politik/index.do

[2] Honduras' Oppositionsrundfunk wieder auf Sendung (21.10.09)
http://tagesschau.sf.tv/nachrichten/archiv/2009/10/21/international/honduras_oppositionsrundfunk_wieder_auf_sendung

[3] Am toten Punkt. Bei den Verhandlungen in Honduras spielen die Putschisten auf Zeit (21.10.09)
junge Welt

[4] Honduras crisis rips open public divides (20.10.09)
http://www.csmonitor.com/2009/1020/p06s19-woam.html

21. Oktober 2009