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LATEINAMERIKA/2285: Spiele für Rio - Brot für die Reichen (SB)


Brasilianer feiern voreilig die erfolgreiche Olympiabewerbung


"Heute ist der emotionalste Tag meines Lebens, der aufregendste Tag meines Lebens", triumphierte Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. "Nie war ich stolzer auf Brasilien. Jetzt werden wir der Welt zeigen, daß wir ein großes Land sein können. Wir sind nicht die Vereinigten Staaten, aber wir werden dahin kommen." [1] Daß man die USA nicht lieben muß und deren kleine Niederlagen spontan feiern kann, liegt auf der Hand. Sich in der Weise mit ihnen zu messen, daß man so werden will wie sie, wirft allerdings ein bedenkliches Licht auf den Kurs, auf den der allseits hofierte Staatschef Brasiliens sein Land bringen will.

Die Vergabe der Olympischen Sommerspiele 2016 an Rio de Janeiro durch das Internationale Olympische Komitee hat die Stadt in einen Freudentaumel versetzt, dem der Sieg über den kläglich gescheiterten Rivalen Chicago, für dessen Kandidatur sich mit Barack Obama erstmals ein US-Präsident persönlich stark gemacht hatte, besondere Würze verlieh. Die Fahne Rios trug neben dem brasilianischen Staatschef auch das Fußballidol Pele in die Schlacht, der sich zu diesem Zweck Obamas Wahlkampfphrase "yes we can" geborgt hatte. Prominente Unterstützung erhielten auch Madrid in Gestalt der spanischen Königsfamilie und Tokio durch den japanischen Premierminister Yukio Hatoyama, was die politische Bedeutung dieses unverhohlenen Prestigekampfs unterstrich. [2]

Wie IOC-Präsident Jacques Rogge in Kopenhagen hervorhob, habe letztlich der Umstand den Ausschlag gegeben, daß die Olympischen Spiele noch nie in Südamerika ausgetragen wurden. Von der Antarktis abgesehen bleibt damit Afrika der einzige Kontinent, der diesbezüglich wie in so vielen anderen Belangen weiter leer ausgeht. Brasilien, das zudem die Fußballweltmeisterschaft 2014 ausrichtet, hat im Kampf um internationale Anerkennung und Aufwertung einen großen Sprung nach vorn gemacht. Präsident da Silva erklärte denn auch voller Stolz, sein Land habe damit den zweitklassigen Status endgültig zurückgelassen und sei zu einem Staat der ersten Welt aufgestiegen. Rio de Janeiro habe in seiner langen und bunten Geschichte viel verloren, darunter auch seinen Rang als brasilianische Hauptstadt. Jahrelang habe es abseits gestanden und seine Rolle gesucht. Nun sei sein Ruf erhört worden.

Ob sich die Brasilianer über die erfolgreiche Olympiabewerbung freuen können, steht allerdings auf einem anderen Blatt. "Ihr werdet es nicht bereuen", versprach der Präsident seinen Landsleuten, der sich in seinem Feldzug um die Schärfung des ökonomischen, politischen und diplomatischen Profils der größten Volkswirtschaft Südamerikas einen weiteren Sieg ans Revers heften kann. Brasilien ist und bleibt jedoch eine kapitalistische Klassengesellschaft, in der die Kluft zwischen Armut und Reichtum so tief wie in kaum einem anderen Land der Welt ist. Damit steht bereits vom Grundsatz her fest, wer gegebenenfalls vom Ertrag des olympischen Abenteuers profitieren wird und wer auf jeden Fall dafür bezahlen muß.

Wie gewaltig die Wucht dieses Propagandacoups für die brasilianische Innenpolitik ist, zeigte die Ekstase einer in die Zehntausende gehenden Menschenmenge, die an der Copacabana zusammengeströmt war, um tanzend und singend den Sieg zu feiern. Karneval war angesagt, wozu die staatlichen und städtischen Behörden beigetragen hatten, die ihren Beschäftigten an diesem Tag freigaben. Auf riesigen Videowänden wurden die Wahlgänge aus Kopenhagen übertragen, wo der vermeintliche Mitfavorit Chicago bereits in der ersten Runde ausschied. Als dann auch Madrid und Tokio scheiterten, kannte der Jubel keine Grenzen mehr. Menschen fielen auf die Knie und weinten, Sambagruppen begannen ohrenbetäubend zu spielen und auf einer riesigen Flagge stand zu lesen "Rio liebt euch". [3]

Die Kosten dieses ambitionierten Vorhabens vermag niemand zu schätzen. Alte Sportstätten müssen renoviert und neue gebaut werden, die städtische Infrastruktur bedarf einer grundlegenden Erneuerung und für die erhofften Touristenströme gilt es Hotels zu errichten und andere komfortable Einrichtungen zu schaffen. Die brasilianische Regierung beziffert die zu erwartenden Kosten auf gut 14 Milliarden Dollar, was zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt nichts besagen will. Nicht minder Schall und Rauch ist das Versprechen der Stadtverwaltung von Rio, für jeden ausgegebenen Real würden durch die Ankurbelung des Tourismus und andere Investitionen drei zurückkommen. In der Vergangenheit hatte die Stadt jedenfalls allergrößte Probleme, die Kosten für bedeutende Sportveranstaltungen nicht explodieren zu lassen. Zwar spülten die Panamerikanischen Spiele 2007 den Organisatoren das Sechsfache ihres Budgets in die Kassen, doch blieb das Manöver unter dem Strich eine gigantische Umverteilung von Steuergeldern in die Hände weniger Profiteure.

Montreal mußte für die Spiele 1978 so tief in die Tasche greifen, daß die Finanzlücke im Haushalt erst 2005 geschlossen werden konnte. Die Spiele 2004 in Athen sollten ursprünglich 1,5 Milliarden Dollar kosten und verschlangen am Ende 16 Milliarden. Auch Peking versprach, es mit unter 2 Milliarden billig zu machen, und mußte schließlich geschätzte 30 Milliarden Dollar aufwenden. Daraus haben nicht wenige Experten den ernüchternden Schluß gezogen, daß von einem wirtschaftlichen Impuls Olympischer Spiele für die Stadt oder Region kaum die Rede sein könne.

Das IOC hatte die Bewerbung Rio de Janeiros gelobt, doch zugleich Bedenken hinsichtlich der Unterbringungsmöglichkeiten und insbesondere der Sicherheitslage geltend gemacht. Zwar seien der Stadt Fortschritte bei der Verbrechensbekämpfung zu attestieren, doch bleibe sie mit Abstand die gefährlichste Metropole unter den vier Kandidaten. Für Administration und Sicherheitskräfte stellen Fußballweltmeisterschaft und Olympiade zweifellos ein Experimentierfeld und eine vorzügliche Vorwandslage dar, auf dem Feld der inneren Sicherheit gewaltig aufzurüsten und innovative Schritte einzuleiten. Dies könnte sich als der eigentliche Ertrag der erfolgreichen Bewerbung Rio de Janeiros für Brasilien erweisen: Wenn das Brot knapp wird und selbst die Spiele das hungernde Volk nicht mehr befrieden, sollen die an der olympischen Inszenierung geschärften Waffen der Repression die Revolte in die Knie zwingen.

Anmerkungen:

[1] Rio Wins 2016 Olympics in a First for South America (03.10.09)
New York Times

[2] Rio de Janeiro wins out as host of 2016 Olympics (03.10.09)
http://www.csmonitor.com/2009/1002/p06s16-woam.html

[3] Rio wins 2016 Olympics: Samba and joyous spontaneity hint at what's in store (03.10.09)
http://www.csmonitor.com/2009/1002/p06s23-woam.html

3. Oktober 2009