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LATEINAMERIKA/2276: Auch Mexiko leidet unter einer schweren Dürre (SB)


Verheerende Folgen des Klimawandels treffen Lateinamerika mit Wucht


Ganz Lateinamerika wird in zunehmendem Maße von Naturkatastrophen bedroht, die das ökologische und ökonomische Gefüge erschüttern. Die Folgen des Klimawandels verstärken verhängnisvolle Wetterphänome wie La Niña, das die Wassertemperatur im Pazifik verändert und langersehnte Niederschläge ausbleiben läßt. Hinzu kommt eine deutliche Zunahme schwerer tropischer Wirbelstürme, die insbesondere die Karibik und die mittelamerikanischen Länder heimsuchen. Gravierende Fehlentwicklungen wie Abholzungen, Monokulturen und unterlassene Vorsorge, die in hohem Maße ein Produkt gesellschaftlicher Verhältnisse und neokolonialer Ausbeutung sind, verschärfen die Lage aufs äußerste.

Seit Frühlingsbeginn im letzten Oktober waren in Argentinien, Uruguay, Paraguay und Teilen Südbrasiliens die Niederschläge monatelang ausgeblieben, worauf vor allem die Argentinier unter der schwersten Dürre seit einem halben Jahrhundert zu leiden hatten. Die bedeutendsten Sourcen des Landes in Gestalt seiner Ernteerträge und riesigen Viehherden wurden schwer in Mitleidenschaft gezogen, was neben der Wetterlage auch darauf zurückzuführen war, daß durch die Rodung großer Teile des früheren Waldbestands zur Gewinnung von Weideland die Speicherung und Freigabe größerer Mengen Wasser, wie sie Wälder gewährleisten, verlorengegangen ist. Die Pampas haben sich aus einem endlosen Meer fruchtbarer Getreidefelder und grünender Weiden für riesige Rinderherden in eine braune, vertrocknende Ödnis verwandelt, in der kaum noch etwas wachsen will und das Vieh verhungert.

Nach Angaben der Agrarverbände sind seit letztem September rund drei Millionen Rinder gestorben oder notgeschlachtet worden. Aber auch bei Getreide sind die Auswirkungen katastrophal, wobei die Regierung mit Ausfällen zwischen 15 und 20 Millionen Tonnen rechnet. Die Produktion von Weizen ist 2009 auf den tiefsten Stand der letzten hundert Jahre gesunken, so daß aller Voraussicht nach nicht einmal der heimische Bedarf gedeckt werden kann. Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner rief den Notstand für die Landwirtschaft aus und stellte dem Agrarsektor per Dekret weitreichende Subventionen in Aussicht.

Aktuelle Katastrophenmeldungen treffen derzeit vor allem aus Mittelamerika ein, das ebenfalls unter einer schweren Dürre zu leiden hat. In Guatemala müßte eigentlich Regenzeit herrschen, doch sind dort seit Wochen kaum noch Niederschläge gefallen. Dies hat dazu geführt, daß über die Hälfte der Ernte vertrocknet ist, worunter insbesondere die armen und zumeist indígenen Bevölkerungsschichten leiden. Präsident Alvaro Colom sprach von einer "Tragödie historischen Ausmaßes", da der grassierenden Hungersnot bereits über 460 Menschen zum Opfer gefallen sind. Vor allem in ärmeren ländlichen Gemeinden mit überwiegender Subsistenzwirtschaft ist die Lage katastrophal. Dort geht die Regierung von 54.000 akut betroffenen Familien aus, deren Zahl bis Jahresende um weitere 400.000 steigen könnte.

Die Kleinbauern machen für die Hungersnot vor allem die politische Führung des Landes verantwortlich, weil diese den Anbau von Palmöl und Zuckerrohr in Großplantagen für die Gewinnung von Biosprit gefördert hat. Präsident Colom verwies auf den hohen Anteil armer, notleidender und hungernder Menschen im Land und bezeichnete schreiende Ungleichheit als den eigentlichen Grund der Nahrungsmittelkrise. Lebensmittel seien durchaus vorhanden, doch fehle es über der Hälfte der Bevölkerung an Geld, um sie zu kaufen.

Unterdessen ist die nächste Hiobsbotschaft aus Mexiko eingetroffen, das von der schwersten Dürre seit sechzig Jahren heimgesucht wird. Dort haben erst gegen Ende der für gewöhnlich vier Monate währenden Regenzeit die Niederschläge eingesetzt, doch kommen sie viel zu spät und überdies am falschen Ort, um die verdorrte Ernte zu retten und den akuten Mangel an Trinkwasser vor allem in der Hauptstadt zu beheben. Um die Reservoire zu füllen, aus denen Mexiko-Stadt versorgt wird, hätte der Regen im westlichen Bergland fallen müssen. Da er jedoch vor allem im Stadtgebiet niederging, floß er zum größten Teil ungenutzt durch die Kanalisation davon. Davon abgesehen hätten wenige Regenwochen ohnehin nicht ausgereicht, um die vorangegangenen Monate anhaltender Trockenheit zu kompensieren. [1]

Bislang begann die Regenzeit in Mexiko für gewöhnlich im Juni und sorgte mit beständigen Niederschlägen in den meisten Landesteilen dafür, daß die Ernte halbwegs gedieh und die Reservoire zumindest teilweise aufgefüllt wurden. In diesem Jahr blieb der Regen jedoch drei Monate lang aus, wodurch nach Angaben der Regierung fast 40 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden, was zu Knappheit bei Mais, Bohnen, Weizen und anderen Erzeugnissen geführt hat. Mit Nothilfen von über 100 Millionen Dollar sollen die Folgen der akuten Krise abgewendet werden.

Für die schätzungsweise 20 Millionen Bewohner der Hauptstadt wird das Wasser rationiert, was soziale Spannungen heraufbeschwört und in ärmeren Vierteln bereits zu Überfällen auf Tankwagen mit Wasser geführt hat. Die weltweit einsetzende Hunger- und Durstrevolte ist in Ländern wie Mexiko längst Realität, da es wie bei der Tortillakrise im Gefolge dramatisch steigender Preise für das Grundnahrungsmittel Maismehl oder derzeit angesichts des akuten Wassermangels für zahllose Menschen aus den ärmeren Schichten der Bevölkerung buchstäblich zu einer Überlebensfrage geworden ist, sich die dringend benötigten Sourcen ihrer Existenz zu beschaffen.

Von der Rationierung sind vor allem die ärmeren Stadtteile betroffen, deren Bewohner stundenlang Schlange stehen müssen, um die notdürftigsten Mengen abzubekommen, wenn Tankwagen mit Wasser eintreffen. Hingegen künden im wohlhabenden Westteil der Metropole gepflegte Rasenflächen von einem überproportionalen Verbrauch, der die Klassenwidersprüche auf die Frage des Überlebens zuspitzt. Diesbezügliche Studien haben zu dem Ergebnis geführt, daß reiche Haushalte die vier- bis fünffache Wassermenge verbrauchen wie jene im armen Ostteil der Hauptstadt. Grundsätzlich wird Wasser massiv subventioniert, wobei die Bürger im Schnitt nur 15 Prozent der tatsächlichen Kosten ihrer Versorgung tragen müssen. Inzwischen wird ein Ende dieser Subventionen für Haushalte mit höheren Einkünften erwogen, doch bleibt vorerst ungewiß, ob sich diese Maßnahme politisch durchsetzen läßt. Grundsätzlich verbergen sich hinter derartigen Durchschnittswerten eklatante Unterschiede in der Versorgung, die bezeichnenderweise in den ärmeren Vierteln stets zuerst zusammenbricht oder ausgesetzt wird.

Empfehlungen der Stadtverwaltung, Wasser durch Reparaturen leckender Rohre oder die Verwendung geeigneter Duschköpfe zu sparen, sind buchstäblich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, da man davon ausgeht, daß nicht weniger als ein Drittel des zur Verfügung stehenden Trinkwassers an undichten Stellen ungenutzt im Boden versickert. Die Wasserversorgung der Hauptstadt mit ihrer ständig wachsenden Bevölkerung ist akut gefährdet, da 70 Prozent der Wassermenge aus Tiefbrunnen stammen, die mehr als doppelt so schnell geleert werden, wie Niederschläge für einen Auffüllen des Grundwassers sorgen. Die restlichen 30 Prozent kommen aus Reservoiren im Westen, die weit über hundert Kilometer und noch dazu bergauf in die Metropole gepumpt werden müssen. Bleiben die Regenfälle in den dort gelegen Bergen wie in diesem Jahr aus, bricht der Nachschub aus dieser Richtung zusammen.

Mexiko, das auf denselben Breitengraden wie die Sahara liegt, leidet grundsätzlich unter chronischem Wassermangel. Die Hälfte seines Staatsgebiets ist knochentrocken, wobei das Land über weniger Trinkwasser pro Kopf als Ägypten und 60 Prozent weniger als noch vor 50 Jahren verfügt. Landwirtschaftliche Nutzflächen können nicht ausreichend bewässert werden, Ernten verdorren, durch fortschreitende Bodenerosion verschwinden riesige Agrarflächen. Heute sind mehr als 80 Prozent des Staatsgebiets von Erosion und Wüstenbildung betroffen, wobei das vormals fruchtbare Land mit der zweitgrößten Artenvielfalt der Welt immer weiter zu versteppen droht.

Mehr als 90 Prozent aller Flüsse und Bäche des Landes gelten als mehr oder weniger verseucht, wobei Experten davon ausgehen, daß über 75 Prozent des gesamten Grund- und Oberflächenwassers kontaminiert und eine Gefahr für die Gesundheit sind. Millionen Mexikaner haben keinen angemessenen Zugang zu Trinkwasser, wobei zahllose Menschen die Preise der Tankwagen nicht aufbringen können und daher trinken müssen, was immer sie finden können. Die zwangsläufige Folge sind Krankheiten und Todesfälle durch verschmutztes Trinkwasser. So droht vor allem in Armutsregionen stets die Gefahr, daß das Wasser Giftstoffe enthält, wenn beispielsweise Kläranlagen oder Müllkippen im Einzugsgebiet der Pumpstation liegen. Da es im ganzen Land bestenfalls ein oder zwei Städte gibt, wo man das Leitungswasser unbesorgt trinken kann, muß man es abkochen, um Krankheitskeime abzutöten. Die Frage der Brennstoffpreise ist daher wie fast überall in Lateinamerika von existenzieller Bedeutung.

Unterdessen verschlingt der Moloch Mexiko-Stadt die unterirdischen Wasservorräte in rasender Geschwindigkeit und läßt dadurch den Grundwasserspiegel um mehrere Meter im Jahr sinken. Dies führt auch dazu, daß etliche der berühmtesten Bauwerke der Hauptstadt wie die größte und älteste Kathedrale Lateinamerikas ungleichmäßig absacken und sich dabei immer mehr wie in einem Zerrspiegel verwinden. Einige Aquädukte der mexikanischen Hauptstadt stammen noch aus der Zeit der Azteken vor fünfhundert Jahren, und wollte man das uralte Leitungssystem unter den Straßen erneuern, würde dies wohl Jahrzehnte in Anspruch nehmen und immense Summen verschlingen. Zudem geht auf dem langen Weg der Zuleitung aus den westlichen Reservoiren gut die Hälfte verloren.

Der seit vielen Jahren von Wissenschaftlern und Umweltschützern angeprangerte Mangel kann durch keine wie auch immer geartete Verteilung behoben werden, da bei weitem nicht genug Wasser für alle vorhanden ist und die Vorräte weiter dramatisch schwinden. Bis in die jüngste Vergangenheit wurden die großen Agrarunternehmen, Viehzüchter und Minengesellschaften kostenlos mit Wasser versorgt, wobei auf sie 70 Prozent des landesweiten Verbrauchs entfielen und ihrer Verschwendung keine Grenzen gesetzt waren. Die Günstlingswirtschaft früherer Tage eskaliert heute in einen Verteilungskrieg um das lebensnotwendige Wasser, da sich Mexiko binnen weniger Jahre in ein weitgehend verödetes Land zu verwandeln droht, das von verheerenden Hungersnöten heimgesucht wird.

Anmerkungen:

[1] Mexico Now Enduring Worst Drought in Years (13.09.09)
New York Times

14. September 2009