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LATEINAMERIKA/2243: Perus Präsidentschaft zieht am neoliberalen Strang (SB)


Ungebrochene Linie von Fujimori über Toledo zu García


Der frühere peruanische Präsident Alberto Fujimori ist vor wenigen Tagen in Lima zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Das Sondertribunal sah es als erwiesen an, daß der ehemalige Staatschef Ende 2000 kurz vor seiner Flucht nach Japan mehr als 15 Millionen Dollar aus der Staatskasse an seinen Geheimdienstchef Vladimiro Montesinos transferiert hat. Da dies bereits die dritte Verurteilung Fujimoris ist, muß der 71jährige aller Voraussicht nach den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen.

Verhindern könnte dies seine Tochter Keiko, die gegenwärtig die populärste Politikerin des Landes ist und durchaus Aussichten hat, bei der Präsidentschaftswahl 2011 ein entscheidendes Wort mitzureden. Unermüdlich preist sie das Regime ihres Vaters als Rettung Perus und hat bereits versprochen, im Falle ihrer Wahl ins höchste Staatsamt eine Begnadigung zu erwirken. War Alberto Fujimori am Ende seiner Regentschaft ein gestürzter Machthaber, der sich nicht mehr auf der Straße sehen lassen durfte und im Zuge einer vorgetäuschten regulären Auslandsreise ins Land seiner Väter absetzte, um der Festnahme und Verurteilung zu entgehen, so sieht heute ein beträchtlicher Teil der Wählerschaft seine Regierungszeit wieder in einem positiven Licht und unterstützt die Ambitionen seiner Tochter.

Zur tendentiellen Rehabilitation dieser reaktionären politischen Strömung trugen die verheerenden Amtszeiten der Nachfolger Alejandro Toledo und derzeit Alan García bei, die Fujimoris Umtriebe offenbar für viele Peruaner im Rückblick aufwerten. Die Menschen haben wenig aus der Geschichte gelernt, was ihre tiefe Beteiligung und damit Beherrschbarkeit dokumentiert. Sie sind jedoch auch einem politischen System unterworfen, das ihre Möglichkeiten, eigenen Interessen zur Durchsetzung zu verhelfen, auf ein Minimum reduziert.

Alberto Fujimori hatte das Land von 1990 bis 2000 mit eiserner Hand regiert. Was er seinen Landsleuten angetan hat, läßt sich zwangsläufig mit Kategorien wie Recht und Unrecht kaum angemessen bewerten, geschweige denn sühnen oder wiedergutmachen. Die gegen ihn erwirkten Urteile repräsentieren den Versuch, juristischen Zugriff auf gewisse Aspekte seines Regimes zu entfalten. Er war bereits wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 25 Jahren Haft verurteilt worden, da man ihm den Auftrag zur Ermordung von Oppositionellen nachweisen konnte. Die Sicherheitskräfte ließen 1992 neun Studenten und einen Professor der Cantuta-Universität in Lima verschwinden und exekutierten im Stadtteil Barrios Altos fünfzehn weitere Menschen. In einem weiteren Verfahren wurde Fujimori zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt, weil er das Haus von Montesinos' Frau widerrechtlich durchsuchen ließ. Zusammen mit der soeben erfolgten dritten Verurteilung summieren sich die Haftzeiten auf fast vierzig Jahre, wobei noch weitere Verfahren wegen illegaler Telefonüberwachung und Bestechung von Politikern der Opposition anstehen.

Da Fujimori, dessen Eltern nach Peru ausgewandert waren, neben der peruanischen auch die japanische Staatsbürgerschaft besitzt, saß er seit seiner Flucht in einem sicheren und komfortablen Exil. Er stand in konservativ-nationalistischen Kreisen in hohem Ansehen, da er es als Japaner im Ausland zu einer bedeutenden Funktion gebracht und dabei enorme Durchsetzungsfähigkeit an den Tag gelegt hatte. Welche Folgen das für die Mehrheit der peruanischen Bevölkerung zeitigte, interessierte die japanische Öffentlichkeit kaum. Lima stellte zwar einen Auslieferungsantrag, doch da kein entsprechendes Abkommen zwischen beiden Ländern bestand, konnte Fujimori allenfalls ein Verfahren wegen Menschenrechtsverletzungen zum Verhängnis werden.

Warum er den sicheren Hort freiwillig verließ und nach Peru zurückkehrte, ist nicht restlos geklärt. Daß die japanische Regierung dabei insgeheim nachgeholfen hat, ist zwar nicht auszuschließen, aber eher unwahrscheinlich. Naheliegender wäre schon die These, daß er sich von der Renaissance seiner peruanischen Anhänger und der steigenden Popularität seiner Tochter blenden ließ und in den Präsidentschaftswahlkampf eingreifen wollte. Zumindest schloß er in damaligen Interviews nicht aus, sich erneut für das höchste Staatsamt zu bewerben. Offenbar trieben ihn seine Ambitionen dazu, die Rehabilitation seines Lebenswerks nicht mit Vorträgen und Schriften im japanischen Exil für eine Minderheit zu betreiben, sondern in einer triumphalen Rückkehr an die Spitze des peruanischen Staates vor aller Welt durchzusetzen.

Wie sehr er sich in mehr als einer Hinsicht verschätzt hatte, zeigte die Verhaftung bei seiner Landung in Chile, von wo aus er die Lage zunächst sondieren wollte. Problematisch war der Flug ohnehin, da ihm bei Zwischenlandungen die Festnahme aufgrund des gegen ihn ausgestellten internationalen Haftbefehls drohte. Hatte Chile in der Vergangenheit politische Straftäter wie Kriegsverbrecher, Diktatoren und Juntageneräle so gut wie nie ausgeliefert, änderte sich das nach zähem Ringen im September 2007 mit der Überstellung Fujimoris an die peruanischen Behörden. Statt wie erhofft kontrolliert und triumphal zurückzukehren, landete der ehemalige Präsident sofort hinter Gittern und muß seither eine Prozeßniederlage nach der andern über sich ergehen lassen.

Nach Schätzungen von Transparency International hat Alberto Fujimori während seiner zehnjährigen Regierungszeit sein Privatvermögen um 600 Millionen Dollar vermehrt. Damit erfüllt er auch in dieser Hinsicht das klassische Muster eines lateinamerikanischen Machthabers der Diktaturzeit, auch wenn Peru nach offizieller Lesart in den 1990er Jahren eine repräsentative Demokratie war. Fujimori und Montesinos - der eine als Staatschef im Rampenlicht, der andere als Schattenmann hinter den Kulissen -, etablierten ein Regime, das die Funktionen einer Diktatur in verschleierter Form erfüllte. Wie Fujimori aus dem politischen Nichts mit Hilfe des damals auf der CIA-Gehaltsliste stehenden Montesinos ins Präsidentenamt katapultiert wurde, ist bis heute rätselhaft und bleibt weithin ausgeblendet, da zu keinem Zeitpunkt erhellende Fakten publik wurden. Bekannt ist lediglich, daß Montesinos im Wahlkampf dafür sorgte, daß nachteilige Themen unter den Tisch gekehrt wurden.

Wie alle diktatorischen Machthaber in Lateinamerika machte sich auch Fujimori die Niederwerfung der Guerilla und die Durchsetzung der neoliberalen Doktrin zur Aufgabe. Er schaltete mit dem "Leuchtenden Pfad" eine der radikalsten und erfolgreichsten Rebellengruppen des Kontinents weitgehend aus. Der Anführer des maoistischen "Sendero Luminoso", Abimael Guzmán, wurde 1992 gefangengenommen und die kleinere Gruppierung Túpac Amaru nach der Geiselnahme in der japanischen Botschaft 1997 zerschlagen. Das autokratische Gespann an der Spitze Perus rottete die Kokakulturen aus, setzte eine neoliberale Wirtschaftspolitik durch, sorgte für hohe Überschuldung, den Abbau sozialer Leistungen und dementsprechender Subventionen, die Einschüchterung und Ausschaltung der Gewerkschaften und der Opposition. Die Folge waren eine Konsolidierung der Eliten, gute Wirtschaftsdaten, wachsender Wohlstand für eine Minderheit und massive Verelendung der Bevölkerungsmehrheit, die zunehmend ausgegrenzt wurde und in der vorgeblichen Erfolgsbilanz nicht mehr repräsentiert war. Dieser harte Kurs erforderte eine rigide Sicherheitspolitik, die Montesinos mit einem Netz aus Überwachung, Einschüchterung und Korruption geradezu virtuos bediente. Diese Politik richtete das Land für die einheimischen Eliten und weltadministrativen Kräfte auf eine Weise zu, wie es eine offene Diktatur nicht besser hätte leisten können.

Hatte sich Fujimori lange Jahre der offenen und insgeheimen Unterstützung der USA und ihrer Geheimdienste erfreut, so ließ ihn Washington fallen wie eine heiße Kartoffel, nachdem er sein Werk verrichtet und als willfähriges Werkzeug ausgedient hatte. Da er in den 1990er Jahren wie im Zeitraffer und unter dem Deckmantel einer formalen Demokratie für Peru nachholte, was andernorts mit dem Ende der Juntazeit bereits abgeschlossen war, holte ihn zuletzt die eigene anachronistische Existenz als verkappter Diktator in einer Zeit, da eine solche Herrschaftsform nicht mehr salonfähig war, ein.

Die Peruaner hatten Fujimori zugejubelt, weil sie seine gnadenlose Führerschaft mit ihrer persönlichen Wohlfahrt verwechselten und vor der Unvereinbarkeit der beiden Seiten die Augen verschlossen. Am Ende hätten sie ihn vermutlich auf offener Straße totgeschlagen, wären sie seiner habhaft geworden. Nicht anders verhielt es sich im Spiegel internationaler Politik und Medien, wo das hohe Lob für Führungsstärke und Erfolg des peruanischen Präsidenten zuletzt heftiger Verurteilung des Machthabers gewichen war. So ließ sich der große Bogen strategischer Herrschaftssicherung, in dem Fujimori ein Zwischenglied war, vortrefflich ausblenden und die Nachfolge als fundamentale Wende und Rückkehr zur Demokratie feiern.

Fujimori hatte dem neoliberalen Ansturm Tür und Tor geöffnet, der nun ungehindert zugreifen konnte. Der Roßtäuscher Alejandro Toledo, ein indígener Aufsteiger, der es bis in die Führungsetagen der Weltbank gebracht hatte, übernahm das Ruder, erfreute mit hohem Wirtschaftswachstum die Reichen und die ausländischen Investoren, während wachsende Teile der schon unter Fujimori verarmten Bevölkerung weiter ins Elend getrieben wurden. Nachdem die anfängliche Euphorie verraucht war und sich der Blick auf Toledos Kurs klärte, sank dessen Popularität derart in den Keller, daß er zuletzt mit einer Zustimmungsrate im einstelligen Bereich als unbeliebtester Staatschef Lateinamerikas galt.

Das Desaster setzt sich nun in der Präsidentschaft Alan Garcías fort, der Ende der 1980er Jahre schon einmal Staatschef des Landes gewesen war und jenes Chaos hinterlassen hatte, das Fujimori den Sprung an die Macht möglich machte. García mußte damals ins Exil flüchten, da man ihm wegen Korruption den Prozeß machen wollte. Später handelte er jedoch seine Rückkehr aus, gab sich geläutert von früheren linksgerichteten Jugendsünden und bot sich insbesondere als Alternative zu Olanta Humala an, der sich dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez verbunden fühlt und zusehends an Einfluß gewann. So kehrte García in den Präsidentenpalast zurück, um jenen Prozeß voranzutreiben, den seine Amtsvorgänger auf den Weg gebracht hatten.

Mehr denn je zeichnet sich Peru durch extrem ausgeprägte gesellschaftliche Widersprüche aus, da nur eine kleine Elite von der Öffnung für ausländische Investoren profitiert, während die Mehrheit der Menschen in Armut lebt, von der zunehmende Teile der abbröckelnden Mittelschicht betroffen sind. Wie Präsident García anläßlich einer jüngst vorgenommenen Kabinettsumbildung dreist erklärte, habe sein erstes Kabinett für Wirtschaftswachstum und Sparsamkeit gesorgt, das zweite Korruption und Armut bekämpft, während das dritte soziale Ordnung herbeiführen werde. Wie er weiter behauptete, sei Peru das Ziel einer großangelegten internationalen Verschwörung zum Sturz seiner Regierung, was die wachsende soziale Unruhe im Land erkläre. [1]

Diese demagogische Leugnung aller konkreten Gründe der peruanischen Bevölkerung, sich gegen seine Staatsführung aufzulehnen, und die Bezichtigung ausländischer Mächte, die er in Venezuela, Bolivien und deren Verbündeten verortet, sie arbeiteten auf einen Umsturz in Peru hin, ist die Diktion eines zunehmend repressiven Regimes des Staatschefs und seiner Partei APRA, das Zwangsmaßnahmen zur Eindämmung aller Widerstände ergreift. Im Juni setzte die Staatsgewalt den verhängten Ausnahmezustand mit der gewaltsamen Räumung einer Straßenblockade nahe der Stadt Bagua durch, bei der indígenen Angaben zufolge über hundert Menschen getötet wurden. Die Regierung hat die Kontrolle über die Andenregion und das Amazonasgebiet weitgehend verloren und sieht sich zu einer Taktik der Beschwichtigung gezwungen, ohne von ihrem eingeschlagenen Kurs abzuweichen.

Nachdem sich die von der Regierung mißachtete, ausgegrenzte und in ihrem Widerstandspotential maßlos unterschätzte indígene Bevölkerungsmehrheit gegen die politische Führung des Landes gewendet hat, stößt García auch in den städtischen Mittelschichten auf eine wachsende Front der Ablehnung. Mit seiner Vorgehensweise, die Vereinbarungen des Handelsabkommens mit den USA per Dekret und ohne Einbeziehung der Betroffenen durchzusetzen, hat er Gegenkräfte wachgerufen, die das gesamte Konzept der Ausplünderung und Unterdrückung in Frage stellen. Seit dem Massaker bei Bagua ist es zu zahlreichen Protestaktionen indígener Organisationen sowohl im Amazonasgebiet, als auch im dichter besiedelten Hochland gekommen. Die kampferprobten Minenarbeiter sind zu Tausenden auf die Straße gegangen, andere Berufsgruppen wie Lehrer, staatliche Angestellte, Händler, Taxifahrer und Bauarbeiter griffen zu Maßnahmen wie Streiks, Blockaden und Demonstrationen, worin sie von Gewerkschaften, Linksparteien und Studenten unterstützt werden.

Während die Regierung oppositionelle Sender und Zeitungen mundtot zu machen versucht und regimehörige Medien Gründe, Ausmaß und Zielsetzung des um sich greifenden Protests herunterspielen, läuft Präsident García in zunehmendem Maße Gefahr, von den Eliten des Landes nicht länger als funktionaler Sachwalter ihrer strategischen Interessen eingeschätzt zu werden. Er reagiert auf seine bedrängte Lage mit den charakteristischen Instrumenten eines wankenden Machthabers, der seinen repressiven Impetus immer weniger im Zaum halten kann und will.

Peru zählt zu den wenigen verbliebenen Verbündeten Washingtons in Südamerika und darf nach den Maßgaben der US-Administration um keinen Preis an das Lager jener Kräfte verlorengehen, die sich die Emanzipation von der Hegemonialmacht und eine eigenständige Entwicklung auf Grundlage einer regionalen Bündnispolitik auf die Fahnen geschrieben haben. Alan García treibt wie seine Vorgänger Alejandro Toledo und Alberto Fujimori die gesellschaftliche Transformation zugunsten forcierter Ausbeutung und Verfügungsgewalt voran, doch bleibt er als präsidiale Führungsfigur ein Werkzeug fundamentalerer Mächte und langfristiger Entwürfe, die sich seiner befristet bedienen. Konzentriert sich die Wut und Wucht des Widerstands aus verständlichen Gründen auf seine Amtsführung, so wäre es nicht anders als im Falle Fujimoris und Toledos verhängnisvoll, seine letztendliche Ablösung mit dem Scheitern jener Interessen gleichzusetzen, als deren Gallionsfigur er in Erscheinung tritt.

Anmerkungen:

[1] Peruvian President Garcia swears in new cabinet to "restore order"
World Socialist Web Site (15.07.09)

27. Juli 2009