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LATEINAMERIKA/2188: Obama und Calderón wälzen Interventionspläne (SB)


Tragweite des ersten Lateinamerikabesuchs des neuen US-Präsidenten


US-Präsident Barack Obama hat zum Auftakt seiner ersten Reise nach Lateinamerika Station im Nachbarland Mexiko gemacht und sogar in dessen Hauptstadt übernachtet. Während sein Vorgänger George W. Bush die Metropole in seinen beiden Amtszeiten nie besucht hatte, demonstrierte der neue Herr im Weißen Haus und bestbewachte Staatschef der Welt, daß er das mexikanische Chaos keineswegs fürchtet und jedenfalls offiziell die Auffassung nicht teilt, man habe es dort mit einem so gut wie gescheiterten Staat zu tun.

Nach schätzungsweise 12.000 Toten im Krieg der Kartelle seit Amtsantritt des Präsidenten Felipe Calderón im September 2006, der mit seiner Politik der harten Hand und Militarisierung des Konflikts maßgeblich zu dieser Eskalation beigetragen hat, ist die mexikanische Gesellschaft weichgeklopft für ein neues Kapitel staatlicher Repression und nicht zuletzt US-amerikanischer Intervention. Folglich hatten die beiden Staatschefs eine Menge zu besprechen, das über die offiziellen Verlautbarungen hinausgeht und den strategischen Bogen einer verstärkten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Geheimdienste, Sicherheitsbehörden und Militärs spannt, den man der aus leidvoller Erfahrung mißtrauischen mexikanischen Öffentlichkeit allenfalls scheibchenweise servieren kann.

Natürlich ist Mexiko keineswegs ein fast schon gescheiterter Staat, wie dies die Studie des Pentagon nahelegte, die das Land auf eine Stufe mit Pakistan stellte, doch einer, dem dieses Schicksal blühen könnte, wenn die Talfahrt ungebremst weitergeht - so jedenfalls lautet die lancierte Doktrin, an der beide Staatsführungen mitgewirkt haben. Für die mexikanische Regierung ist der Krieg der Kartelle insofern das Pendant zum "Kampf gegen den Terror", als er massive Umwälzungen auf dem Feld der inneren Sicherheit möglich macht und die Kooperation mit den Behörden und Diensten der USA geradezu erzwingt.

Wie nicht anders zu erwarten, stand die Hilfe Washingtons im Kampf gegen den Drogenhandel im Mittelpunkt der Unterredung im Präsidentenpalast Los Pinos. Obama, der bezeichnenderweise von der Ministerin für innere Sicherheit, Janet Napolitano, begleitet wurde, sagte verstärkte Anstrengungen zu, um den Zustrom von Waffen und Geld aus den USA an die Drogenbanden im Nachbarland einzudämmen. Es gehe nicht nur um Maßnahmen gegen den Drogenhandel in Richtung Norden, sondern auch die Mitwirkung in umgekehrter Richtung, hatte er bereits am Vortag im spanischen Programm des Fernsehsenders CNN unterstrichen. (NZZ Online 17. April 2009)

Zwangsläufig drängte dieser alles beherrschende Komplex andere Themen wie etwa die Einwanderung oder die Spannungen im bilateralen Handel in den Hintergrund. Wenngleich die katastrophale Sicherheitslage in vielen Städten Nordmexikos nicht selten einem Kriegszustand gleicht, werden darüber doch gesellschaftliche Entwicklungen und politische Tendenzen ausgeblendet oder sogar transportiert, die auf lange Sicht die mexikanische Bevölkerung wesentlich stärker verändern und beeinträchtigen als die aktuellen Bandenkriege.

Die Diplomatin Jeanne Kirkpatrick aus der Reagan-Administration befürwortete im Jahr 1994 den Hilfsplan Präsident Clintons im Zuge der Währungskrise Mexikos mit den seither vielzitierten Worten, wenn das Nachbarhaus brenne, helfe man selbstverständlich beim Löschen - nicht weil man den Nachbarn liebe, sondern weil man verhindern wolle, daß das eigene Haus auch noch niederbrennt. Dieser zynische Realismus dürfte auch die aktuelle US-Regierung motivieren, etwas zur Unterstützung Mexikos zu unternehmen, bevor die Drogenkriege vollends ins eigene Land herüberschlagen. Das berührt jedoch nur die tagespolitische Seite dieses Problems und dessen Übersetzung für die eigene Bevölkerung. In strategischer Hinsicht stellt sich der Konflikt als Kriegsschauplatz überstaatlicher Zugriffsentwicklung und damit als instrumentalisierte Gemengelage dar, die hinsichtlich ihrer Genese und Verwertung durchaus den Charakter einer Offensive hat, deren Ziel nur vordergründig die Zerschlagung der Kartelle ist.

17. April 2009