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LATEINAMERIKA/2164: Ex-Gefangene der FARC waschen schmutzige Wäsche (SB)


Ehemalige Mitgefangene erheben Vorwürfe gegen Ingrid Betancourt


Daß sich Gefangene nicht nur offen oder insgeheim gegen ihre Wächter, sondern auch gegeneinander wenden, ist weithin bekannt und trifft für die Geiseln zu, die mehrere Jahre in Händen der kolumbianischen Guerilla verbracht haben. Auch kann man es ihnen nicht verdenken, daß sie aus ihrem Schicksal Kapital schlagen und nach der Befreiung eine Biographie auf den Markt bringen, in der sie die Zeit im Dschungel aus ihrer Sicht schildern. Daß sie dabei durch unverhoffte Wendungen oder gar skandalträchtige Versionen Werbung in eigener Sache machen, zählt ebenfalls zu den mißlichen Gepflogenheiten, wie man sie in solchen Zusammenhängen immer wieder serviert bekommt.

Wenngleich man kaum auseinanderdividieren kann, was angemessene Wiedergabe des Erlebten und was zweckdienliche Erfindung ist, zeichnen die jüngst erschienenen Memoiren der drei US-amerikanischen Mitarbeiter des Militärdienstleisters Northrop Grumman doch ein wenig schmeichelhaftes Bild ihrer inzwischen mit Ehrungen überhäuften ehemaligen Mitgefangenen Ingrid Betancourt, die bis dahin ganz allein die Ernte der Gefangenschaft und wundersamen Befreiung einzufahren schien.

Die Ausgangslage war wenig geeignet, die Geiseln im Lager der Rebellen zusammenzuschweißen. Während sich die Aufmerksamkeit der Welt draußen fast ausschließlich auf die französisch-kolumbianische Politikern bester gesellschaftlicher Herkunft konzentrierte, mußten sich die übrigen Gefangenen verraten und vergessen vorkommen. Zwar hielt der höchst aktive Unterstützerkreis unter Führung von Betancourts Mutter vor, daß ihr Engagement letztlich allen Geiseln zugute komme, doch blieb das stets eine zwiespältige Angelegenheit. Zu deutlich war der unterschiedliche Wert der Gefangenen nicht nur für die Guerilleros, sondern auch die Regierungen und Bürokratien, auf die die Geiseln zumeist vergeblich hofften.

Daß manche Mitgefangene Ingrid Betancourt wenig gewogen waren, könnte sich also allein schon aus dieser Konstellation erklären. Dennoch sind die nun gegen sie erhobenen Vorwürfe so schwer, daß man sie nicht ohne weiteres als alleiniges Resultat der mißlichen Ungleichheit und des daraus erwachsenden Neids auffassen mag. Der ehemalige Marineinfantrist und Mitautor der Memoiren "Out of Captivity", Keith Stansell, läßt jedenfalls kein gutes Haar am Verhalten der früheren Mitgefangenen. Wie die New York Times (27.02.09) berichtete, habe er genug von Betancourt und müsse erst einmal Abstand von diesen unerfreulichen Erlebnissen gewinnen. Die Mitverfasser Thomas Howes und Marc Gonsalves gehen auf jeweils unterschiedliche Weise in ihrer Kritik zwar nicht so weit, doch entwerfen die drei zusammen ein Bild, daß gewaltig an der zum Heldenmythos verklärten Gefangenschaft Betancourts kratzt.

Wie die drei behaupten, habe Betancourt aktiv versucht, sich an die Spitze der Hierarchie unter den Gefangenen zu setzen, indem sie beispielsweise gebrauchte Kleidung gehortet, Badepläne festgelegt oder Informationen zurückgehalten habe, die sie in ihrem Transistorradio empfing. Dies ging angeblich so weit, daß die Mitgefangenen drohten, den Wächtern von dem versteckten Radio zu erzählen, wenn sie nicht an den aufgefangenen Meldungen und Botschaften von draußen teilhaben dürften.

Am mildesten urteilt noch Marc Gonsalves, der von einer herzlichen Freundschaft mit Ingrid Betancourt berichtet, bei der eine noch engere Beziehung nicht ausgeschlossen gewesen sei. Wenngleich man sich schließlich über Briefe zerstritten habe, die sie von ihm wiederhaben wollte, stehe er nach wie vor in Kontakt mit ihr. Er räumt aber ein, daß seine beiden Landsleute ein wesentlich schlechteres Verhältnis zu ihr gehabt hätten, was insbesondere für Stansell gegolten habe.

Keith Stansell, der inzwischen wieder bei seinem früheren Arbeitgeber Northrop Grumman beschäftigt ist, bezeichnet Betancourt als arrogante Prinzessin, die der Ansicht gewesen sei, alles drehe sich nur um sie. Einige der von ihm erhobenen Vorwürfe konnten nicht verifiziert werden. Angeblich hatte ihm einer der Rebellen eröffnet, sie habe in einem Schreiben an ihre Wächter behauptet, die drei Amerikaner seien CIA-Agenten und müßten deshalb getrennt von ihr untergebracht werden. Wie er gegenüber der New York Times betonte, nehme er keine seine Aussagen in dem Buch zurück. Er könne Ingrid Betancourt vergeben und sein Leben weiterführen, doch Respekt empfinde er für sie nicht.

Daß es unter den Gefangenen nicht zum Besten stand, hatte man schon früher vermutet. So ist das Verhältnis zwischen Betancourt und ihrer früheren Assistentin Clara Rojas, die 2002 zusammen mit ihr entführt worden war und unter Vermittlung des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez freikam, offenbar angespannt. Rojas wurde während der Gefangenschaft schwanger und bekam ein Kind von einem der Rebellen, was offenbar maßgeblich zur Entfremdung beigetragen hat. Clara Rojas schreibt ebenfalls ein Buch über ihre Erlebnisse, so daß man auf eine weitere Perspektive gespannt sein darf.

Bereits im letzten Jahr hatte der frühere Gefangene Luis Eladio Pérez eine Biographie herausgebracht, der Betancourt nahestand und von Spannungen unter den Geiseln berichtete. Er führte dieses Problem in erster Linie auf die Herkunft Ingrid Betancourts zurück, die als Tochter eines hochstehenden Diplomaten und ehemalige Schönheitskönigin gesellschaftlich über den anderen stand und deshalb beneidet wurde. Wie der frühere Abgeordnete in seinem Buch schrieb, drehten sich neunzig Prozent aller Medienberichte über Entführungen um sie, als existierten die übrigen Gefangenen überhaupt nicht.

Während die prominenten unter den ehemaligen Geiseln aus ihrer vergleichsweise privilegierten Situation Kapital schlagen und ihr Druckerzeugnis herausputzen, indem sie schmutzige Wäsche waschen, klingt dabei doch manches an, das von der üblichen Darstellung der Verhältnisse und Ereignisse erheblich abweicht. Daß Stansell der früheren Mitgefangenen vorwirft, sie habe ihn fälschlich als Mitarbeiter der CIA angeschwärzt, läßt zwar vermuten, daß er womöglich doch nicht für diesen speziellen Dienst tätig war. Es bleibt allerdings nach wie vor die Frage offen, welchem Zweck der damalige Flug der drei US-Amerikaner über dem von der FARC kontrollierten Gebiet diente. Die Rebellen erklärten nach dem Absturz der Maschine, sie hätten Spione gefangen, und man kann wohl kaum von der Hand weisen, daß die Luftaufklärung des Militärdienstleisters mindestens im Nebenlauf dazu diente, getarnte Lager der FARC im Dschungel auszukundschaften.

Ingrid Betancourt wurde seinerzeit entführt, als sie Warnungen in den Wind schlug und als Präsidentschaftkandidatin Wahlkampf in einer Region machte, die dem Einflußbereich der Guerilla zugerechnet wurde. Man rechnete ihr das in der medialen Verarbeitung letzten Endes nicht als Naivität oder Leichtsinn, sondern mutigen Einsatz für die parlamentarische Demokratie an. Vielleicht glaubte sie sich sogar geschützt, weil sie bis dahin durchaus gewisse Sympathien für die Rebellen zum Ausdruck gebracht hatte. Von einem derartigen Verständnis für das Anliegen der FARC ist heute bei Betancourt nichts mehr zu spüren. Das ist nach Jahren der Gefangenschaft menschlich durchaus verständlich, geht aber in seinem bürgerlichen Bedeutungswahn doch weit über eine bloße Verkettung mißlicher Umstände hinaus.

Als Angehörige der kolumbianischen Oberschicht verkörpert Ingrid Betancourt einen Menschenschlag, der sich einerseits für unberührbar hält und liberale Attitüden leistet, die jedoch in tiefen Abscheu und Haß umschlagen, wenn er mit unmittelbarer Gewalt, Schmutz und Entbehrungen konfrontiert wird. In ihrer Schilderung der Beschwernisse des Lebens im Urwald trifft man Entsetzen, schwindende Hoffnung auf Rettung und Sorge um das eigene Überleben, jedoch nach all den Jahren in mehr oder minder engem Kontakt mit den Rebellen so gut wie keine Hinweise auf eine Auseinandersetzung mit deren Leben und Kampf im Dschungel. Wenn sich Ingrid Betancourt heute in aller Welt als Heldin und Vorkämpferin für die Befreiung der Gefangenen aus den Händen der "Terroristen" feiern und auszeichnen läßt, hat sie ihr persönliches Schicksal zu einem Lebenswerk umgemünzt, wie es der Konformität und Beteiligung an der Herrschaftssicherung auf dem Niveau ihrer gesellschaftlichen Stellung nicht besser entsprechen könnte.

3. März 2009