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JUSTIZ/705: Guantánamo - Rechtsstaatfarce ... (SB)


Guantánamo - Rechtsstaatfarce ...


Für die Abwendung der USA von Recht und Gesetz hin zur Willkürjustiz und Gewaltherrschaft steht das Sonderinternierungslager, das die Regierung George W. Bushs im Januar 2002 auf dem Gelände des amerikanischen Marinestützpunktes Guantánamo Bay auf Kuba für gefangene Kombattanten des "globalen Antiterrorkrieges" eingerichtet hat, als Schreckenssymbol schlechthin da. Dort wird Justitia nicht zu Tode gefoltert, denn die Phase ist schon lange vorbei. Heute betreibt man mit ihr Leichenfledderei, und zwar aus einer brutalen Stupidität heraus, für die sich vermutlich selbst unsere höhlenbewohnenden Vorfahren zutiefst geschämt hätten.

Als der Demokrat Barack Obama 2008 zum Nachfolger des Republikaners Bush junior gewählt wurde, ging das unter anderem mit dem ethisch begründeten Versprechen einher, den Schandfleck in Guantánamo zu tilgen. Doch die republikanische Fraktion im Kongreß hat die Anordnung des Weißen Hauses mit dem ebenso geistlosen wie vordergründigen Argument, die Überführung der Guantánamo-"Terroristen" auf das amerikanische Festland zum Zwecke von Strafrechtsprozessen vor zivilen Gerichten wäre eine dem amerikanischen Volk nicht zuzumutende Bedrohung der nationalen Sicherheit, acht Jahre lang erfolgreich blockiert. Donald Trump, der 2016 als offener Folterbefürworter Hillary Clinton bei der Präsidentenwahl bezwang, hat im Januar 2018 die frühere Anordnung Obamas in ihr Gegenteil verkehrt und seitdem einer Erweiterung der berüchtigten Anstalt, um gefangengenommene Mitglieder der "Terrormiliz" Islamischer Staat dort unterbringen zu können, das Wort geredet.

Befanden sich 2008, zum Ende der zweiten Amtszeit von Bush junior, noch 280 Insassen in Guantánamo, so sind es heute lediglich 40. Nur einer von ihnen gilt als verurteilt. Fünf sind von 2006 eingerichteten Militärtribunalen bereits vor fünf Jahren für unschuldig erklärt worden und warten aus unerfindlichen Gründen bis heute auf die Freilassung. Gegen 26 weitere Personen liegt keine Anklage vor, weswegen sie als die "Ewigkeitsgefangenen" bezeichnet werden. Gegen sieben Terrorverdächtige - darunter fünf mutmaßliche Teilnehmer des 9/11-Komplotts - laufen bereits Prozesse, die jedoch wegen Verfahrenstreitigkeiten seit mehr als elf Jahren nicht über das Stadium der Vorverhandlungen hinausgetreten sind. Um letztere Verfahren rankt sich ein Skandal nach dem anderen.

2017 kam es zu einem ungeheuren Streit, als die Pflichtverteidigung von Al Rahim Al Nashiri, dem Hauptbeschuldigten in Verbindung mit dem Bombenanschlag 1998 im Hafen von Aden auf den Lenkwaffenzerstörer U.S.S. Cole, aus Protest gegen das heimliche Abhören von Gesprächen mit ihrem Mandanten zurücktraten. Damals droht der Richter beim Cole-Prozeß, Luftwaffenoberst Vance Spath, dem im Pentagon zuständigen Leiter der Militärtribunale, Harvey Rishikof, mit Verhaftung und Verschleppung nach Guantánamo, allein weil dieser dem Antrag der Verteidiger auf Entlassung stattgegeben hatte. 2018 wurde Rishikof kurzerhand entlassen, weil er mit den Anwälten der fünf 9/11-Angeklagten über einen Deal, der auf Geständnis gegen Verzicht auf die Todesstrafe hinauslief, verhandelt hatte. Doch der Deal, der den Dauerprozeß doch noch einem Ende erheblich näher gebracht hätte, war für die nach Rache und Vergeltung schreiende Regierung und Wählerbasis Trumps inakzeptabel, weswegen Rishikof seinen Hut nehmen mußte.

Am 23. Februar dieses Jahres berichtete der Londoner Guardian, die Anwälte von Ammar Al Baluchi, einer der vermeintlichen 9/11-Komplotteilnehmer, seien entsetzt darüber, daß genaue Details der Folter ihres Mandanten, die ihnen aus "Sicherheitsgründen" vorenthalten worden wären, Eingang in den Kinoschinken "Zero Dark Thirty" von Kathryn Bigelow gefunden hätten, der 2016 mit dem Oscar für den besten Film ausgezeichnet worden war. Bei den Dreharbeiten zu dem hyperpatriotischen Propagandastreifen stand Bigelow kein geringerer als Ex-CIA-Vizechef Michael Morrell als Geheimdienstexperte beratend zur Seite. Am 26. März wartete Carol Rosenberg, die seit mehr als zehn Jahren für den Miami Herald und die New York Times ausführlich über die denkwürdigen Vorgänge in Guantánamo Bay berichtet, mit dem nächsten Skandal von dort auf. Demnach hat 2016 die Anklagevertretung der Verteidigung beim 9/11-Prozeß Protokolle und Übersetzung vermeintlicher Telefongespräche der Komplottbeteiligten aus dem Jahr 2001 übergeben. Woher die Protokolle kommen? Diese Frage ist nicht erlaubt - wegen des Schutzes der nationalen Sicherheit, versteht sich.

In der NYT-Times-Ausgabe vom 27. März erschien ein wütender Brief von Lorie Van Auken, die am 11. September 2001 ihren Mann verloren hat und die danach mit drei weiteren Witwen dieses Tages - die sogenannten "Jersey Girls" - soviel öffentlichen Druck machte, daß sich Bush jun. Ende 2002 zur Einberufung einer "unabhängigen" Untersuchungskommission genötigt fühlte. In ihrem NYT-Brief fragte Van Auken, warum diese Abhörprotokolle nicht damals der 9/11-Kommission vorgelegt wurden. Dafür gibt es eine einfache Antwort: Vertuschung. In seinem 2008 erschienenen Buch "The Shadow Factory - The Ultra Secret NSA from 9/11 to the Eavesdropping on America" enthüllte Geheimdienstkoryphae James Bamford, Amerikas Abhördienst habe mehrere der Attentäter des 11. Septembers noch vor der Einreise in den USA 2000 und 2001 auf dem Radar gehabt und bis zum "Tag, der die Welt veränderte", ihre Telefongespräche belauscht. Damals haben die großen Konzernmedien die spektakuläre Enthüllung Bamfords schlicht ignoriert. Möglicherweise handelt es sich bei den nun "aufgetauchten" Abhörprotokollen um die Übersetzungen nämlicher Gespräche. Oder auch nicht. Schließlich hat man es in Sachen 9/11 in der Regel selten mit verläßlichen Information zu tun, meistens sogar mit Irreführungen.

30. März 2019


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