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JUSTIZ/686: Wikileaks-Informant Manning schuldig gesprochen (SB)


Wikileaks-Informant Manning schuldig gesprochen

Von Fort Meade gehen für die Menschheit die falschen Signale aus



Nach monatelangen Verhandlungen wurde im Prozeß gegen den Gefreiten Bradley Manning am 30. Juli in Fort Meade, Maryland, das Urteil gefällt. Die Richterin des Militärtribunals, Oberst Denise Lind, erklärte Manning in 17 von 22 Anklagepunkten für schuldig, vertrauliche Regierungsinformationen widerrechtlich an Dritte weitergegeben und damit bewußt für ihre öffentliche Verbreitung gesorgt zu haben. Den schwersten Anklagepunkt, Unterstützung des Feindes, der bei einem Schuldspruch die Todesstrafe hätte bedeuten können, sah sie dagegen als nicht erwiesen an. Nichtsdestotrotz drohen dem 25jährigen Manning nun 136 Jahre Gefängnis.

Eine wirkliche Überraschung war der Prozeßausgang nicht. Schon zum Verfahrensbeginn hatte sich Manning, was den ungesetzlichen Umgang mit vertraulichem Material des Staates betrifft, in zehn von 22 Anklagepunkten schuldig bekannt. Die Möglichkeit eines Freispruchs hat Richterin Lind zudem ausgeschlossen, als sie dem frühen Antrag der Verteidigung, die Motive des Angeklagten für sein Handeln darzulegen, nicht stattgab. Damit war Manning von vornherein der Versuch genommen worden, seine Verstöße gegen das Militärrecht als notwendig und gerechtfertigt im Sinne der Nürnberger Prinzipien geltend zu machen.

Tatsächlich haben ihn die Erlebnisse nach seiner Verlegung 2009 als Militärgeheimdienstler in den Irak dazu veranlaßt, das Vorgehen der US-Streitkräfte im Zweistromland in Frage zu stellen. Entscheidend soll eine Episode gewesen sein, bei der Manning die Verhaftung mehrerer friedlicher Kritiker der Regierung von Nuri Al Maliki in Bagdad als "mutmaßliche Terroristen" durch die irakischen Sicherheitsbehörden miterlebte. Aus berechtigter Sorge, die Männer könnten im Gewahrsam gefoltert und umgebracht werden, wandte sich Manning an seinen Vorgesetzten, der mit einem rassistischen, abweisenden Spruch zu erkennen gab, daß er nichts für die Verhafteten zu tun gedenke. Dies empfand Manning als Mißachtung und Nicht-Einhaltung geltender US-Militärgesetze und des internationalen Rechts. Um den menschenverachtenden Umgang von Teilen der amerikanischen Streitkräfte mit der irakischen Bevölkerung anzuprangern, hat Manning Anfang 2010 die Videoaufnahme eines drei Jahre zuvor von der Besatzung eines US-Kampfhubschraubers verübten Massakers an einer Gruppe Zivilisten, unter ihnen zwei Reporter der Nachrichtenagentur Reuters, am Rande eines Feuergefechts in Bagdad an Wikileaks überspielt. Die 39minütige Bildersequenz mit dem Titel "Collateral Murder" hat nach ihrer Veröffentlichung im Sommer 2010 weltweit für Entsetzen gesorgt.

Im Verlauf seiner Arbeit hatte Manning auch Zugang zu Depeschen des Washingtoner Außenministeriums, die ihm Einblicke in die rücksichtslose Art von Diplomatie gewährten, welche die USA hinter den Kulissen betreibt. Zahlreiche solcher Depeschen hat Manning zusammen mit Lageberichten des US-Militärgeheimdienstes aus dem Irak und Afghanistan - insgesamt 700.000 Einzeldokumente - WikiLeaks auf elektronischem Wege zur Verfügung gestellt. Das Publikwerden geheimer Absprachen zwischen Washington und zahlreichen ausländischen Regierungen hat das State Department unter seiner damaligen Chefin Hillary Clinton bloßgestellt. Die Empörung über die Enthüllungen sollen zum Ausbruch des sogenannten "Arabischen Frühlings" Anfang 2011, einschließlich des Sturzes der langjährigen Despoten Ben Ali in Tunesien und Hosni Mubarak in Ägypten, beigetragen haben.

Zwischen der Motivlage Mannings und dem Urteil Linds klafft ein unüberwindbarer Widerspruch. Aus den Gesprächen, die Manning vor seiner Verhaftung im Sommer 2010 im Internet mit Mitgliedern der Hackergemeinde führte, geht ganz klar hervor, daß er mit den Enthüllungen den USA dienen wollte, indem er ganz im demokratischen Sinne eine Debatte unter seinen eigenen Landsleuten über die neo- imperialistische Außen- und Militärpolitik Washingtons auslöste. Dies ist ihm sehr wohl gelungen. Ganz anders sah die Militärrichterin die Sache. In ihrem Urteil stellte Lind fest, Manning hätte dem Ansehen der USA schwer geschadet. Bedenkt man, in welchem Ausmaß das den Regierungen von George W. Bush und Barack Obama bereits gelungen war - durch das Sonderinternierungslager Guantánamo Bay, den völkerrechtlich illegalen Einmarsch in den Irak, Folterflüge und Geheimgefängnisse, den Überfall auf die Rebellenhochburg Falludscha, die Bilder aus dem Skandalgefängnis Abu Ghraib, die Verseuchung weiter Teile des Zweistromlands mit DU-Munition, Drohnenangriffe auf Ziele in Pakistan und im Jemen, die zahlreichen Zivilisten das Leben kosten, u. v. m. - kann man über das Manning-Urteil nur den Kopf schütteln. In den USA des 21. Jahrhunderts ist es offenbar weniger ein Verbrechen, Greueltaten zu verüben, als sie zu melden oder publik zu machen.

31. Juli 2013