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JUSTIZ/666: Berufungsprozeß im Fall Abu Omar - CIA in Mailand erneut am Pranger (SB)


Staatsanwalt fordert höheres Strafmaß und Aufhebung der Immunität


Am 17. Februar 2003 war Osama Mustafa Hassan, bekannt als Abu Omar, der ägyptische Imam einer Mailänder Moschee, in einer zwischen dem italienischen Geheimdienst SISMI und der CIA abgestimmten Aktion entführt und nach Ägypten verschleppt worden. Auf dem Flug vom US-Luftwaffenstützpunkt Aviano in Norditalien, der unter strenger Geheimhaltung durchgeführt wurde, soll auch ein Zwischenstopp auf dem US-Stützpunkt Ramstein in Deutschland eingelegt worden sein. Nach Angaben der Anwälte Abu Omars wurde ihr Mandant in einem ägyptischen Hochsicherheitsgefängnis vier Jahre lang festgehalten und gefoltert. Erst am 11. Februar 2007 wurde er wieder freigelassen.

Bei der unter der Bezeichnung "Rendition" bekannten Praxis der Entführung sogenannter Terrorverdächtiger handelt es sich um eine Komponente des weltweiten Willkürregimes, dessen sich die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten im Zuge ihrer Herrschaftssicherung bedienen. Wenngleich man von einer Initiative und Führerschaft der USA ausgehen kann, sind die europäischen Regierungen und Geheimdienste ebenso beteiligt wie die Führung jener Länder, in deren Geheimgefängnisse und Folterstätten man die Opfer verschleppt. Dies belegt auch der Fall Abu Omar zweifelsfrei.

Im Juni 2007 begann vor einem Mailänder Gericht der erste Prozeß in Europa wegen einer Verschleppung von "Terrorverdächtigen" durch die CIA. Die Anwälte des Predigers Abu Omar forderten im Namen ihres Mandanten vollständige Aufklärung sowie eine Entschädigung in Höhe von zehn Millionen Euro. Nachdem im November 2009 in erster Instanz Haftstrafen gegen eine Reihe beteiligter Personen verhängt worden waren, hat nun die Staatsanwaltschaft in einem Berufungsprozeß schwerere Strafen für die Verantwortlichen gefordert. Der Mailänder Staatsanwalt Piero De Petris sprach sich dafür aus, die Haftstrafen in Höhe von fünf bis acht Jahren auf acht bis zwölf Jahre zu erhöhen.

Von noch größerer Tragweite ist der Umstand, daß der Staatsanwalt zudem für die frühere Nummer eins der CIA in Italien, Jeffrey Castelli, sowie die zwei früheren US-Agenten Betnie Madero und Ralph Russomando jeweils zwölf Jahre Haft fordert. Diese drei Männer waren in erster Instanz von einer Verurteilung ausgenommen worden, weil sie "diplomatische Immunität" genössen. Des weiteren fordert der Staatsanwalt für den früheren Chef des italienischen Militärgeheimdienstes SISMI, Nicola Pollari, ebenfalls zwölf Jahre und für dessen früheren Stellvertreter Marco Mancini zehn Jahre Gefängnis. Die beiden waren ursprünglich mit der Begründung verschont worden, sie seien durch das "Staatsgeheimnis" geschützt. [1]

Wenngleich sich die Kette der Tatbeteiligten, Auftraggeber, Mitwisser und Verantwortlichen bis in höchste Regierungskreise fortsetzen ließe und diese Verstrickung mit Sicherheit nie mehr als ansatzweise juristisch aufgerollt wird, ist doch zu begrüßen, daß die Mailänder Staatsanwaltschaft den Versuch unternimmt, die notorischen Schutzwälle diplomatischer Immunität und Geheimnisträgerschaft aufzubrechen. Gegen die US-amerikanischen Täter in Kreisen der CIA wurde in Abwesenheit verhandelt und geurteilt. Sie sind per internationalem Haftbefehl in der EU zur Fahndung ausgeschrieben und müssen sich zumindest davor hüten, bei einer Auslandsreise festgenommen zu werden. Um ihre Auslieferung an die italienische Justiz zu fordern, bedürfte es der Kooperation der Regierung in Rom, die diese in Kumpanei mit der US-Administration bislang verweigert hat.

Die Entführung Abu Omars war insofern selbst für eine Verschleppung dieser Art ungewöhnlich und riskant, als sich die CIA in einem europäischen Land eigenhändig an der Entführung beteiligte, statt das Opfer zunächst von den einheimischen Sicherheitskräften festnehmen und danach überstellen zu lassen. Wie es bei Prozeßbeginn im Frühsommer 2007 hieß, habe der damalige CIA-Chef in Rom versucht, endlich einmal einen bedeutenden Erfolg zu erzielen. Die Ermittlungen zogen weite Kreise, zumal auch die Schweiz wegen der Durchquerung ihres Luftraums bei Flügen nach Ramstein eine Untersuchung einleitete, während die Staatsanwaltschaft in München erst kurz zuvor Haftbefehle gegen dreizehn CIA-Agenten ausgestellt hatte, denen die Verschleppung des aus dem Libanon stammenden Deutschen Khaled el Masri vorgeworfen wurde. [2]

Vor dem ersten Mailänder Prozeß im Fall Abu Omar hatte Staatsanwalt Armando Spataro die Anklage mit einer akribischen Recherche so hieb- und stichfest untermauert, daß die Anklage nicht verhindert werden konnte. Er ermittelte die Namen der CIA-Agenten, Zeitpunkt und Ort ihre Einreise nach Italien, Gesprächspartner ihrer Anrufe vor der Entführung Omars, ja selbst ihre bevorzugten Luxushotels und begehrten Vielflieger-Meilen waren ihm bekannt. Von einer verdeckten Operation konnte bei Prozeßbeginn keine Rede mehr sein, da die Klarnamen der US-Agenten in der Anklageschrift standen. Verhandelt wurde gegen 25 mutmaßliche CIA-Agenten, unter ihnen die ehemaligen Verantwortlichen der CIA in Italien, Jeff Castelli und Robert Seldon Lady, sowie einen Offizier der US-Luftwaffe.

Der ebenfalls angeklagte ehemalige Leiter des italienischen Militärgeheimdienstes, Nicolo Pollari, verweigerte lange die Aussage und bestritt zunächst jede Beteiligung an der Entführung. Später drohte er mit einer "spontanen Einlassung", für die nach Auffassung seines Anwalts aber auch Silvio Berlusconi und Romano Prodi vor Gericht erscheinen müßten. Pollaris Rechnung, sich der Rückendeckung von höchster Stelle zu versichern, ging zunächst auf, da er in erster Instanz unter Verweis auf das "Staatsgeheimnis" geschützt wurde.

Staatsanwalt Armando Spataro, dessen fünf Jahre währende Recherchen den Prozeß möglich gemacht hatten, mußte sich gegen erhebliche Behinderungen und Bedrohungen durchsetzen. Der italienische Geheimdienst ließ ihn beobachten, die Regierung versuchte mehrfach, ihn ruhigzustellen, und man ermittelte sogar wegen Geheimnisverrats gegen ihn. Auf Betreiben der Regierung Silvio Berlusconis entschied das italienische Verfassungsgericht im März 2009, daß alle Unterlagen über die Beziehungen zwischen den Diensten dem Staatsgeheimnis unterliegen. Daraufhin durfte die Staatsanwaltschaft viele Beweise der Beteiligung italienischer Agenten an der Operation nicht mehr verwenden.

Die Staatsanwaltschaft bot Robert Lady, dem verantwortliche CIA-Mann in Mailand, strafmildernde Umstände an, sofern er als Kronzeuge gegen die CIA aussagen würde. Doch obgleich ihn die CIA fallen ließ und ihm einen Anwalt verweigerte, hatte er wohl seine Gründe, sich nicht auf den Handel einzulassen. Statt dessen beteuerte er seine Unschuld und vertrat die Auffassung, Abu Omars Entführung sei keine kriminelle Operation, sondern eine Staatsangelegenheit gewesen, die im Namen des "Kriegs gegen den Terror" entschieden und ausgeführt worden sei. Er sei in diesem Krieg nur ein Soldat gewesen. Seine italienische Pflichtverteidigerin forderte einen Freispruch, da es sich bei ihm und den anderen elf US-Agenten, die sie vertrat, um Befehlsempfänger handle. Wolle man sie verurteilen, müsse man von einem politischen Prozeß sprechen. Schließlich habe man es nicht mit einer Banditenbande zu tun, die einen Araber entführt hat, sondern mit Leuten, die auf Anweisung gehandelt haben. [3]

Die Verteidiger warfen dem Staatsanwalt vor, seine Beweisführung sei unzureichend und basiere auf einer permanenten Verletzung des Staatsgeheimnisses. Dazu erklärte er in seinem Schlußplädoyer, Staatsgeheimnisse dürften in einer Demokratie nicht als Vorwand benutzt werden, um eine kriminelle Handlung zu verschleiern. Wie er vor der Urteilsverkündung geäußert hatte, werde dieser Prozeß zeigen, ob die politische Macht in Italien inzwischen in der Lage sei, unabhängige Ermittlungen zu beeinflussen und ob ein Staatsanwalt eine Straftat noch immer als solche verfolgen darf.

Im November 2009 wurden schließlich 23 CIA-Agenten wegen der Entführung des muslimischen Geistlichen in Abwesenheit zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Allerdings blieb Richter Oscar Magi beim Strafmaß weit hinter den Forderungen des Staatsanwalts zurück. Für den damaligen Chef des Mailänder CIA-Büros, Robert Seldom Lady, wurde eine achtjährige Freiheitsstrafe verkündet, für die übrigen US-Agenten gilt ein Strafmaß von jeweils fünf Jahren. Gegen zwei italienische Helfer der Entführung wurden jeweils drei Jahre Gefängnis verhängt. Zudem sollen die Verurteilten insgesamt eine Million Euro an Abu Omar und 500.000 Euro an seine Frau zahlen. [4]

CIA-Sprecher George Little lehnte eine Stellungnahme zu den Urteilen mit der Begründung ab, die US-Geheimdienstbehörde äußere sich grundsätzlich nicht zu diesem Fall. Prozeßbeobachter von Menschenrechtsorganisationen begrüßten das Urteil, weil darin die Zusammenarbeit der italienischen Regierung mit der CIA nachgewiesen worden sei. Der Richterspruch sende ein starkes Signal, daß "die Verbrechen der CIA in Europa" nicht geduldet würden, erklärte Human Rights Watch allzu optimistisch und unter Ausblendung der europäischen Beteiligung. Nach dem ergangenen Urteil verlieh Staatsanwalt Spataro der Hoffnung Ausdruck, daß Mitglieder der Regierung Barack Obamas dieses Urteil zum Anlaß nähmen, die Vorgänge um die geheimen CIA-Verschleppungen aufzuklären und offenzulegen - auch dies eine Rechnung ohne den Wirt, wie sich längst herausgestellt hat.

Anmerkungen:

[1] Berufungsprozess zu Entführung von ägyptischen Imam. Den früheren CIA-Agenten in Italien drohen hohe Haftstrafen (28.10.10)
NZZ Online

[2] CIA-Entführungen. Italienische Justiz klagt US-Agenten an (16.02.07)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,466826,00.html

[3] Urteil im Fall Abu Omar. Italiens Justiz rechnet mit CIA-Kidnappern ab (04.11.09)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,659337,00.html

[4] Entführung von Imam - 23 CIA-Agenten verurteilt (04.11.09)
http://www.welt.de/politik/ausland/article5087926/Entfuehrung-von-Imam-23-CIA-Agenten-verurteilt.html

29. Oktober 2010