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JUSTIZ/659: Greuel Guantánamo als universale Drohung unverzichtbar (SB)


Koch nicht für die Taliban! - US-Gericht weitet unbegrenzte Haft aus


Im Lager Guantánamo manifestiert sich die auf ihre legalistische Spitze getriebene Brutalität und Schrankenlosigkeit der Verfügungsgewalt, die allen Menschen signalisiert, daß sie jederzeit überfallen, verschleppt, gefoltert, ohne Wiederkehr gefangengehalten oder umgebracht werden können. Wenngleich solche Greuel vielerorts und beständig verübt werden, kommt dem Lager auf dem US-Militärstützpunkt in Kuba doch eine außerordentliche Bedeutung zu, weil es vor aller Augen demonstriert, was man Menschen im Namen von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ungestraft antun kann. Um keinen Preis will die US-Administration auf den einmal erreichten Stand universaler Drohung verzichten, weshalb Guantánamo natürlich nicht geschlossen und die absolute Ausgeliefertheit seiner Insassen niemals zurückgenommen werden soll.

Daß die US-Regierung mit dieser Auffassung nicht allein steht, dokumentiert die aktuelle Entscheidung eines Berufungsgerichts in Washington, das die Kriterien für eine unbegrenzte Inhaftierung von "Terrorverdächtigen" ausgeweitet hat und damit die unbefristete Gefangenschaft erleichtert. Zugleich schränkt das Urteil die Möglichkeiten der Gefangenen in dem umstrittenen Lager Guantánamo ein, ihre Inhaftierung anzufechten. [1]

Im Juni 2008 hatte der Oberste Gerichtshof unter Bezug auf die sogenannten Habeas-Corpus-Verfassungsrechte den Insassen des Lagers Guantánamo das Recht zugestanden, ihre Inhaftierung vor ordentlichen Zivilgerichten in den USA anzufechten. Was damals wie ein Dammbruch anmuten mochte, der die Mauern Guantánamos zum Einsturz bringen würde, erweist sich im Licht des jüngsten Gerichtsurteils, das erstmals wieder zu den Rechten inhaftierter "Terrorverdächtiger" oder besser gesagt deren Nichtvorhandensein Stellung nimmt, als ein bloßes Täuschungsmanöver zur Beschwichtigung der um sich greifenden Kritik an dem Folterlager.

Die US-Regierung besteht nach wie vor darauf, daß nur eigens eingerichtete Militärtribunale für diese Gefangenen zuständig seien, in denen Angeklagte und Verteidigung weniger Rechte haben als vor ordentlichen Gerichten. Die meisten US-Bundesrichter haben bislang in derartigen Fällen geprüft, ob den Angeklagten eine "substantielle Unterstützung" nachzuweisen ist, wobei in aller Regel berücksichtigt wurde, wenn der Angeklagte nicht aktiv gekämpft hatte. [2]

Verhandelt wurde in Washington der Fall des aus Jemen stammenden Ghaleb Nasser Al-Bihani, der nach Überzeugung des Gerichts eine Kampfbrigade der Taliban in Afghanistan begleitet, ihre Waffen getragen und für sie gekocht hat. Wie das Gericht nun befand, sei die "Unterstützung", die Bihani der Gruppe gewährt habe, ein hinreichender Grund für seine Festnahme und Inhaftierung. [3]

Ein Richter, der seinerzeit noch vom ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan ernannt worden war, führte zur Begründung des Urteils an, dafür sei Bihanis Geständnis ausreichend, daß er für ausländische Kämpfer Essen gekocht habe. Besagte Kämpfer hatten sich im Jahr 2001 den Taliban angeschlossen. Nachdem die US-Streitkräfte im Oktober 2001 ihren völkerrechtswidrigen Angriffkrieg auf Afghanistan eröffnet hatten, zog sich diese Einheit zurück und ergab sich schließlich der Okkupationsarmee. Ghaleb Nasser Al-Bihani wurde im darauffolgenden Jahr nach Guantánamo gebracht. [4]

Ohne den Sachverhalt überzuinterpretieren, darf man doch annehmen, daß die jemenitische Herkunft des Gefangenen ebenso bedeutsam wie seine erstens nur mutmaßliche und zweitens ausgesprochen periphere Beteiligung am Kampf des afghanischen Widerstands bei der Bewertung durch die Washingtoner Richter war. Die Behörden der USA hatten zuletzt wenige Tage vor Heiligabend sechs Guantánamo-Häftlinge zurück in den Jemen geschickt. Am ersten Weihnachtstag versuchte der 23jährige Nigerianer Umar Farouk Abdulmutallab unmittelbar vor der Landung in Detroit, einen Sprengsatz zu zünden. Er soll von Al Qaida im Jemen ausgebildet worden sein.

Nach dem vereitelten Anschlag auf das Passagierflugzeug werden vorerst keine weiteren Häftlinge aus dem Jemen zurück in ihre Heimat überstellt. Wie Präsidialamtssprecher Robert Gibbs dazu erklärte, sei jeder weitere Transfer keine gute Idee. Dessen ungeachtet halte die US-Regierung an der Schließung des umstrittenen Gefangenenlagers fest.

Diese Entscheidung der Regierung, die Rückführung jemenitischer Guantanamo-Häftlinge in ihre Heimat bis auf weiteres auszusetzen, wurde von US-amerikanischen Menschenrechtsorganisationen kritisiert. So bezeichnete es Ben Wizner von der American Civil Liberties Union als "nicht weise und ungerecht", Menschen, die eigentlich freigelassen werden sollten, weiter in Haft zu halten, nur weil sie aus einem bestimmten Land stammen. Zudem verbessere diese Vorgehensweise nicht im mindesten die Sicherheit der USA. Vielmehr verlängere die Aussetzung der Rückführung von Guantánamo-Gefangenen ein "schändliches Kapitel der amerikanischen Geschichte".

Die aktuelle Debatte um die Eröffnung einer dritten Front des "Antiterrorkriegs" im Jemen und der vor Widersprüchen strotzende vereitelte Flugzeuganschlag von Detroit zielen nicht zuletzt darauf ab, die Inhaftierung jemenitischer Gefangener in Guantánamo zu rechtfertigen und auf diesem Wege die Kontroverse um das unsägliche Symbol der Willkür auf die Schiene der Akzeptanz als notwendiger und selbstverständlicher Standard der Sonderjustiz im Kampf gegen den "internationalen Terrorismus", sprich die tatsächlichen oder potentiellen Feinde der USA und ihrer Verbündeten, umzulenken.

Anmerkungen:

[1] Gerichtsentscheidung. Guantánamo-Insassen können kaum auf Justiz hoffen (06.01.10)
http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-01/guantanamo-berufungsgericht- talian-koch

[2] USA. Unbegrenzte Inhaftierung Terrorverdächtiger erleichtert (06.01.10)
http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/usa-unbegrenzte- inhaftierung-terrorverdaechtiger-erleichtert_aid_468277.html

[3] Mehr Möglichkeiten im Kamf gegen Terror (06.01.10)
http://news.search.ch/ausland/2010-01-06/mehr-moeglichkeiten-im-kamf- gegen-terror

[4] Neues Urteil. US-Regierung erleichtert unbegrenzte Inhaftierung von Terrorhelfern (06.01.10)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,670403,00.html

6. Januar 2010