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HISTORIE/325: CIA-Destabilisierung Afghanistans wirkt bis heute nach (SB)


CIA-Destabilisierung Afghanistans wirkt bis heute nach

Afghanistan-Veteranen führen Dschihad in der ganzen arabischen Welt



Operation Cyclone, mit der die CIA zwischen 1979 und 1988 Zehntausende afghanische Mudschaheddin und arabische Freiwillige im Kampf gegen die kommunistische Regierung in Kabul und die sowjetische Armee ausbildete, finanzierte und ausrüstete, gilt als die längste und teuerste - Kostenpunkt mehr als eine Milliarde Dollar - Aktion in der Geschichte des US-Auslandsgeheimdienstes. Sie hat verheerende Spätfolgen gezeitigt, von denen die Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Arlington nur das prominenteste Beispiel sind. Heute, 45 Jahre nach Jimmy Carters Unterzeichnung des ursprünglichen Exekutivbefehls für die CIA und 13 Jahre nach 9/11 sind die Auswirkungen von Operation Cyclone weiterhin spürbar, wie die katastrophale Lage im Nahen Osten und Nord- und Westafrika, genauer im Irak, Syrien, im Jemen sowie Libyen, Mali, Tschad und in Norden Nigerias zeigt.

Zwei Artikel der letzten Tage von zwei angesehenen britischen Kriegskorrespondenten, Carlotta Gall und Robert Fisk, verdeutlichen dies. In einem am 6. August erschienenen NYT-Beitrag mit der Überschrift "Tunisia Fears Attacks by Citizens Flocking to Jihad" berichtet Gall von den Befürchtungen der Regierung in Tunis, daß aus Syrien heimkehrende Dschihadisten Tunesien destabilisieren und es zu einem "gescheiterten Staat" à la Libyen der Post-Gaddhafi-Ära machen könnten. Die Sorge ist nicht unbegründet. Von den rund 12.000 Ausländern, die in Syrien bei verschiedenen islamistischen Gruppen gegen die Truppen Baschar Al Assads kämpfen, soll das mit etwa 3.000 Männern größte Einzelkontingent aus Tunesien, einem Land mit nur 11 Millionen Einwohnern, stammen. Aus Ägypten, dem mit 80 Millionen Menschen bevölkerungsreichsten arabischen Land, kommen nicht annähernd so viele Syrien-Kämpfer.

Um die Stärke der islamistischen Bewegung in Tunesien zu veranschaulichen, geht Gall ausführlich auf den Fall eines der führenden Vertreter, Seifallah Ben Hussein, auch Abu Ijadh genannt, ein. Der Veteran des Afghanistan-Krieges wurde nach dem Abzug der Sowjets zum engen Kampfgefährten Osama Bin Ladens. Er soll derjenige gewesen sein, der zwei tunesische Al-Kaida-Selbstmordattentäter beauftragt hat, am 9. September 2001, zwei Tage vor 9/11, den Taliban-Gegner und militärischen Anführer der afghanischen Nordallianz, Ahmed Schah Massud, und sich selbst in die Luft zu sprengen. Im Dezember 2001 soll Abu Ijadh in der afghanischen Bergregion Tora Bora an der Seite Bin Ladens gegen amerikanische Truppen gekämpft haben, bevor beide Männer die Flucht nach Pakistan antraten. Von dort schlug er sich bis zur Türkei durch, wo er 2003 verhaftet wurde. Kurz darauf hat ihn die Regierung in Ankara an Tunesien ausgeliefert.

Nach dem Sturz des langjährigen Diktators Zine el-Abidine Ben Ali infolge massiver Straßenproteste Anfang 2011 kam Abu Ijadh mit allen anderen politischen Gefangenen in den Genuß einer Begnadigung. Gleich nach der Freilassung hat er eine Gruppe namens Ansar Al Scharia ins Leben gerufen, die sich die Gründung eines islamischen Staates zum Ziel gemacht hat. Innerhalb eines Jahres hatte die tunesische Ansar Al Scharia zwischen 30.000 und 40.000 meist jugendliche Anhänger. Schon bald sollte sich Abu Ijadhs "Ablehnung der Demokratie und sein Glauben an die Gewalt als Taktik" manifestieren, so Gall. Drei Tage nach dem Überfall der libyschen Ansar Al Scharia am 11. September 2012 auf das US-Konsulat in Benghazi, der Botschafter Christopher Stephens und drei seiner Mitarbeiter das Leben kostete, griffen Abu Ijadh und seine Jünger die US-Botschaft in Tunis an, setzten 100 Autos auf dem Parkplatz in Brand und verwüsteten die nahegelegene amerikanische Schule. Dazu Gall: "Nachdem zwei linksgerichtete Politiker von Abu Ijadhs Anhängern ermordet wurden, hat man die Ansar Al Scharia zu einer terroristischen Organisation erklärt. Das war im August 2013. Seitdem befindet sich Abu Ijadh auf der Flucht. Laut Polizeiangaben soll er sich in Libyen aufhalten."

Aus dem unfreiwilligen Exil hat Tunesiens profiliertester Afghanistan-Krieger damit gedroht, den Dschihad, der derzeit in Libyen, Syrien und im Irak tobt, in sein Heimatland zu tragen. Die Drohung ist ernst zu nehmen. Schließlich befeuern riesige Mengen Waffen aus den früheren Beständen Gaddhafis sämtliche Konflikte im Nahen Osten und Nordafrika. Hinzu kommt, daß Abu Ijadh zur libyschen Ansar al Scharia, die derzeit einen blutigen Bürgerkrieg mit der Armee des CIA-Vertrauten Khalifa Hifter, beste Verbindungen unterhält. Am 16. Juli haben schwerbewaffnete islamistische Rebellen in der Bergregion Chambi zwei Kontrollpunkte der tunesischen Armee überfallen, 14 Soldaten getötet und weitere 25 verletzt. Daraufhin hat die demokratisch gewählte Ennahda-Regierung in Tunis alle Moscheen und Radiosender, die nicht unter staatlicher Kontrolle stehen und deren Betreiber möglicherweise mit der islamistischen Bewegung sympathisieren, geschlossen.

In seinem am 5. August beim Independent erschienenen Beitrag, "Isis Brings Its War To Lebanon - And It Could Be Key To A Masterplan", hebt Robert Fisk, der seit Jahrzehnten in Beirut lebt, die strategische Bedeutung des erstmaligen Einfalls von Kämpfern des Kalifats Islamischer Staat in den Libanon hervor. Am 2. August waren Milizionäre der früheren Gruppe Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS) in die in der Nähe der Grenze zu Syrien im libanesischen Bekaatal liegende Kleinstadt Arsal einmarschiert. Dort werden sie seitdem von den libanesischen Streitkräften belagert. Die sunnitischen Dschihadisten sollen 10 libanesische Soldaten und 17 Polizisten in ihrer Gewalt haben. Mindestens 17 Soldaten, 12 Zivilisten, darunter fünf Kinder, und eine unbekannte Anzahl von Militanten sind der Gewalt in Arsal bislang zum Opfer gefallen.

Fisk sieht in der Aktion den Versuch des IS, die Nachschublinie für die Rebellen in Syrien, die lange Zeit über die nordlibanesische Hafenstadt Tripolis, der Hochburg der Salafisten im Zedernstaat, und das Bekaatal verlief, zu reaktivieren. Darüber hinaus vermutet Fisk, daß der IS im Libanon Vergeltung üben wolle für den Einsatz der schiitischen Hisb Allah an der Seite von Assads Streitkräften in Syrien. Er bezeichnet den nun vollends ausgebrochenen Konflikt zwischen dem Sicherheitsapparat in Beirut und den sunnitischen Assad- Gegnern, die seit Jahren Bombenanschläge auf schiitische Ziele im Libanon durchführen, als "praktisch unvermeidbar". Dazu schreibt er:

Vor weniger als zwei Wochen haben die libanesischen Spezialstreitkräfte Mounzer el-Hassan, einen sunnitisch-"dschihadistischen" Logistikoffizier getötet, der die Attentäter, die Anschläge in den schiitischen Vierteln des südlichen Beiruts und auf die iranische Botschaft in der Hauptstadt durchgeführt hatten, mit Sprengsstoffgürteln ausgerüstet haben soll. Diejenigen, die bei dem Feuergefecht anwesend waren, berichten, daß el-Hassan islamische Musik von Band abspielte, als er schließlich starb. Eine Handgranate, vermutlich aus seinen eigenen Beständen, ist ihm beim Hantieren explodiert.
Kurz nach seinem Tod erfolgte die Festnahme von Hussam Sabbagh, einem salafistischen Militanten, der zuletzt sunnitische Milizionäre bei Kämpfen gegen alewitische Schiiten in Tripolis angeführt hatte. Sabbagh, der in Afghanistan, in Tschetschenien und im Irak gegen US-Streitkräfte gekämpft hatte, gehörte zu den wenigen Milizenführern in Tripolis, die sich geweigert hatten, am Sicherheitsplan der Regierung für die Stadt mitzuwirken.

In einem am 27. Februar dieses Jahres von der libanesischen Zeitung Al-Akhbar veröffentlichten Profil wurde Hussam Sabbagh als "Al Kaidas Emir von Tripolis, der Freiwillige für den Krieg in Syrien rekrutiert, Oberkommandierender der bewaffneten salafistischen Gruppen Nordlibanons und Chefplaner mehrerer Autobombenanschläge" bezeichnet. Die Beispiele aller drei Afghanistan-Veteranen lassen erkennen, mit welcher Virulenz Operation Cyclone heute noch ihr gesellschaftliches Zerstörungswerk fortsetzt. In den kommenden Jahren dürfte die Wiedereingliederung brutalisierter und traumatisierter Veteranen der heutigen Dschihade im Nahen Osten und Nordafrika in ein halbwegs normales Leben ebenso schwerfallen wie die der sogenannten Afghan Arabs.

7. August 2014