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EUROTREFF/008: Michael Youlton warnt - Militarisierte EU (SB)


Michael Youlton warnt - Militarisierte EU

Führungmitglied der irischen Friedensbewegung im Gespräch


Der ursprünglich aus Griechenland stammende Michael Youlton zählt zu den Veteranen der Anti-Atom- und Friedensbewegungen in Irland. Heute gehört er als Stellvertretender Vorsitzender dem Irish Anti-War Movement an, das dieser Tage seine sämtlichen Bemühungen auf den Kampf gegen die Ratifizierung des EU-Reformvertrages durch das irische Volk am 2. Oktober verlegt. Über die Militisarierung der EU und die Chancen eines erneuten Sieges der irischen Gegner des Lissabon-Vertrages sprach am 30. Juli der Schattenblick mit Michael Youlton im Dubliner Hotel Wynn's.

Ein Vertreter des SCHATTENBLICK zusammen mit Michael Youlton

Ein Vertreter des SCHATTENBLICK zusammen mit Michael Youlton

SB: Herr Youlton, was waren die Motive für Ihre Teilnahme am Anti-NATO-Gipfel im April in Strasbourg? Puristen bezüglich der Frage der militärischen Neutralität könnten meinen, daß Bürger der Republik Irland mit einer solchen Veranstaltung nichts zu tun haben sollten, weil sie dadurch in gewisser Weise anerkennen, daß die NATO für die Angelegenheiten ihres Landes von Belang ist.

MY: Auch wenn ich mit einem solchen Standpunkt sympathisiere, können wir in Irland die Bedeutung der NATO nicht negieren oder ignorieren. Alle unsere Nachbarn sind Mitglieder. Als Land sind wir von ihr umgeben. Die NATO bildet die treibende Kraft hinter der Militarisierung Europas und ist das Mittel, mit dem sich die US-Außenpolitik über ganz Europa hinweg ausbreitet und weiter bis an Orte wie Afghanistan etc. Obwohl die Republik Irland gegenwärtig nicht Teil der NATO ist, nimmt sie doch an NATO-Aktivitäten teil. Irische Soldaten werden gemeinsam mit ihren NATO-Kollegen ausgebildet. Kürzlich haben wir erfahren, daß 400 dieser Soldaten in Schweden als Teil der EU-Kampfgruppen trainiert werden, die mit der NATO zusammenarbeiten. Im Moment sind irische Offiziere in verschiedenen Hauptstädten Europas mit Koordinierungsaktivitäten befaßt. Und natürlich sind irische Soldaten derzeit als Teil einer humanitären EU-Mission unter französischem Kommando im Tschad stationiert.

SB: Es gibt sogar ein paar irische Soldaten in Afghanistan.

MY: Das ist korrekt. Sieben Offiziere und fünf Soldaten der irischen Verteidigungskräfte dienen zur Zeit im Rahmen der ISAF in Kabul. Wir haben den irischen Verteidigungsminister Willie O'Dea gebeten, uns zu erklären, was sie dort tun, und wissen Sie, wie die Antwort lautete?

SB: Nein, aber ich bin sicher, daß Sie es mir erzählen werden.

MY: Die Antwort lautete, daß wir - gemeint sind die irischen Behörden - zur Zeit der Aufstände, des Krieges in den Six Counties [Nordirland] mit der IRA und den anderen Organisationen, Informationen darüber an den MI5 und die CIA weitergegeben haben, wie aufständische Revolutionäre kämpfen. Anscheinend läuft die Sache jetzt andersherum, und unsere Soldaten und unsere Offiziere sind in Afghanistan, um vom MI6 und der CIA zu lernen, wie die Taliban und andere Aufständische dort kämpfen. Das ist laut Minister O'Dea der offizielle Grund, warum sie sich dort aufhalten.

SB: Aber von welchem Nutzen ist die Kenntnis von Taliban- oder "islamistischen" Aufstandsmethoden für die Streitkräfte eines neutralen, von befreundeten Nationen umgebenen Inselstaates an der Westküste Europas?

MY: Von keinem Nutzen, den wir sehen können. Aber wer weiß das schon? Jedenfalls ist die Zusammenarbeit der irischen Regierung und der irischen Verteidigungskräfte mit der NATO der Grund dafür, daß ungefähr 25 von uns vom Irish Anti-War Movement und von der Kampagne gegen Lissabon im Frühjahr nach Strasbourg gereist sind. Wir wollten uns mit der Aussage, daß die NATO aus unserer Sicht eine negative Kraft darstellt und deshalb aufgelöst werden sollte, solidarisch mit unseren europäischen Freunden erklären. Wir sehen nichts Positives von der NATO kommen, deshalb waren wir dort.

SB. Wie wichtig ist die europäische Unterstützung für die Nein-zu-Lissabon-Kampagne?

MY: Lassen Sie mich diese Frage aus zwei Perspektiven beantworten. Sehen wir zuerst einmal, was auf dem Weg zum ersten Referendum geschehen ist. Wir waren sehr überrascht und absolut erfreut, daß Leute aus ganz Europa, aus Frankreich, aus Deutschland, aus Österreich, aus Schweden, aus Holland etc. gekommen sind, um uns hier zu unterstützen, die uns physisch geholfen haben, mit uns Flugblätter verteilt, Stände besetzt, die uns Unterstützung und Solidarität gezeigt haben. Wir fanden das fantastisch, weil eine der Gefahren, die letztesmal drohte, darin bestand, daß wir uns als isoliert und marginalisiert fühlen würden.

SB: Oder daß es der Ja-Kampagne gelingen würde, Sie so darzustellen.

MY: Genau. Die Tatsache also, daß wir Freunde aus Europa hier hatten, war für uns absolut wichtig, nicht allein in praktischer Hinsicht, sondern auch in bezug auf unsere Selbstwahrnehmung. Nachdem die Nein-Seite mit einem Widerhall von 54,7 Prozent der Stimmen wirklich gewonnen hatte, überflutete uns eine Welle von Glückwünschen aus Britannien und vom Kontinent. Ich war - und bin es auch diesmal - ein führendes Mitglied der Nein-Kampagne und erhielt in den ersten Tagen nach der Abstimmung am 12. Juni stellvertretend die Glückwünsche von rund 32 Journalisten aus verschiedenen Ländern, die überhaupt verstehen wollten, was da geschehen war. Denn dem normalen Verständnis von Wahlen nach verlangt es nach einer Erklärung, wenn alle Mitglieder des Parlaments, abgesehen von vier Sinn Fein-Abgeordneten, die Katholische Kirche, alle Mainstream-Medien und die Arbeitgeberorganisationen auf der Ja-Seite stehen und dann immer noch 55 Prozent der Menschen mit Nein stimmen - und das war es, was die Journalisten von uns wollten. Ich meine, ich habe sogar Anekdoten von Leuten gehört, die in den Tagen nach der Abstimmung Ferien auf Santorin machten und dort Poster mit dem Kommentar entdeckten: "Ein Hoch auf die Iren!". Es gab also viele Leute auf dem Kontinent, die sich über das Ergebnis freuten, nicht zuletzt die französischen und niederländischen Wähler, die 2005 die ursprüngliche EU-Verfassung abgelehnt haben.

Ich muß sagen: Wenn ich das letzte Mal überrascht und erfreut war, bin ich diesmal absolut sprachlos über die Rückendeckung, die es in diesem Jahr gibt. Das Ausmaß an Unterstützung ist phänomenal. Privatpersonen sowie verschiedene Organisationen in Italien, Spanien, Griechenland, Frankreich, Deutschland, Österreich, Schweden, Finnland, Norwegen, den Niederlanden, Polen und Rumänien haben Botschaften geschickt und konkrete Hilfsangebote gemacht. Vertreter von Attac und der Partei Die Linke aus Deutschland, von der Sozialistischen Partei in Holland, der Partie de Gauche und der NAP in Frankreich, von Sinas Psi Mos und Siresa in Griechenland und der Kommunistischen Partei Portugals zum Beispiel sind mit uns in Kontakt getreten und haben uns gefragt, auf welche Weise sie am besten zur Nein-Kampagne beitragen können. Beim letzten Mal haben, glaube ich, zwischen 60 und 70 Nicht-Iren mit uns auf unterschiedliche Weise zusammengearbeitet; diesmal, ohne überoptimistisch erscheinen zu wollen, würde ich sagen, werden es rund 500 sein.

SB: Und Sie haben mir vorhin erzählt, daß eine Gruppe Deutscher mit einem Bus rüberkommen wird.

MY: Das stimmt, nicht nur Deutsche, sondern auch niederländische und französische Aktivisten kommen mit Bussen, auf denen rundherum das "Nein zu Lissabon" prangt. Und mit denen werden wir durchs Land fahren, verschiedene Orte besuchen und mit den Menschen über die Nein-Kampagne sprechen.

SB: Was auch immer letztes Jahr war, für die diesjährige Kampagne scheint zu gelten, daß wirtschaftliche Erwägungen die Diskussion dominieren und daß die Frage der Neutralität nicht dicht an zweiter Stelle anschließt, sondern an ziemlich entfernter zweiter Stelle steht. Würden Sie dem zustimmen?

MY: Zum Teil. Ich würde dem nur soweit zustimmen, als das, was die Medien die Krise nennen und was ich als Crash bezeichne, an vorderster Stelle im Bewußtsein der Menschen steht, also, ob man in der Lage ist, seine Hypothek abzuzahlen, ob man den Arbeitsplatz verliert, ob man für die Bildung der Kinder sorgen kann und alles andere. Aber der Wirtschaftscrash und Lissabon sind miteinander verknüpft. Ein wichtiger Aspekt der Nein-Kampagne wird darin bestehen, den Menschen zu erklären, daß die politische und die ökonomische Doktrin, die den Crash verursacht hat, im Vertrag von Lissabon fest verankert wird. Nennen Sie es Neoliberalismus, nennen Sie es Kapitalismus, nennen Sie es, wie Sie wollen, aber die Politik von Lissabon und die Politik, die es den Banken erlaubt hat, so verheerend zu wirken, ist die gleiche. Also gibt es da eine Verbindung.

Für mich als Geschäftsmann bestehen keine Zweifel daran, daß einer der Hauptgründe dafür, daß die Banken und die Finanzinstitute hier und in vielen Ländern Europas zu derart unverantwortlichen Anleihe- und Investitionsaktivitäten in der Lage waren, darin liegt, daß es keine geeigneten Regularien gab, sie daran zu hindern. Und es war der irische EU-Kommissar Charlie McCreevy, der sich in Brüssel jahrelang mit Händen und Füßen gegen verstärkte Vorschriften und Aufsicht gewehrt hat. Er genau war die Person, die eine Regulierung verhindert hat, und daß er jetzt also umschwenkt und behauptet, er wolle neue Wege finden, den Finanzsektor zu kontrollieren, ist nicht nur ein Witz, sondern eine Beleidigung.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, daß die irische Regierung das Argument bringt - und damit einen Fehler macht, der denen des letzten Jahres ähnelt -, daß Europa uns nicht aus der aktuellen Finanzkrise helfen wird, wenn wir nicht mit Ja stimmen. Also das ist Quatsch. Gerade in der letzten Woche haben 74 Prozent der Deutschen in einer Umfrage gesagt, sie seien dagegen, für andere EU-Länder in Sicherheitsleistung zu treten, weil sie eigene Schwierigkeiten zu bewältigen haben. Auf welche Weise wird Europa uns also helfen? Angesichts der Tatsache, daß die Politik der EU und der Lissabon-Vertrag hinter dem gegenwärtigen Crash stecken, sagen wir, daß der einzige Weg, diesen tatsächlich zu überwinden, darin besteht, das Großkapital und die europäische politische Elite zu stoppen, indem wir am 2. Oktober mit Nein stimmen und danach daran arbeiten, eine andere Art von Gesellschaft zu schaffen. Was die Erfolgsaussichten der Nein-Kampagne betrifft, so glaube ich, daß Unterstützung aus Britannien und vom europäischen Kernland absolut wichtig ist, und zwar genau deshalb, weil die Menschen in Irland aufgrund der Wirtschaftskrise unter extremem Druck stehen, mit Ja zu stimmen, angeblich, damit das Land "in der Mitte Europas bleibt". Und der einzige Weg für die Nein-Kampagne, dieses Argument zu widerlegen, ist, wenn wir uns hinstellen können und sagen: "Das sind unsere Freunde, das sind unsere Kameraden, das sind unsere Unterstützer - der Widerstand gegen Lissabon ist in Europa genauso verbreitet wie in diesem Land."

Jack O'Connor, der Vorsitzende von SIPTU [Services, Industrial, Professional and Technical Union], der größten Gewerkschaft in Irland, soll dem Nationalen Exekutiv-Komitee der Labour Partei gestern mitgeteilt haben, daß die Gewerkschaft erwägt, ihren Mitgliedern zu empfehlen, am 2. Oktober mit Nein zu stimmen (Unite, die zweitgrößte, hat sich bereits für ein Nein ausgesprochen). Diese Ankündigung hat offensichtlich einen Tumult verursacht, da die Labour Partei eine der wichtigsten Organisationen auf der Ja-Seite ist. Und die Begründung, die O'Connor dafür gegeben haben soll, daß die SIPTU-Führung die Empfehlung eines Neins erwägt, lautet, daß Gewerkschaftsmitglieder von der Krise so hart getroffen worden sind - durch die neoliberale Politik von Fianna Fáil und der EU -, daß er zur Zeit nicht in der Position ist, sich hinzustellen und vorzuschlagen, sie zu unterstützen.

Also, um die Antwort auf Ihre Frage zusammenzufassen: Es besteht eine Verbindung zwischen der Krise und Lissabon. Unsere Aufgabe in der Nein-Kampagne ist es, diese Verbindung aufzuzeigen und den Menschen zu erklären, daß die einzige Möglichkeit, die Art, wie die Dinge laufen, zu stoppen und die gegenwärtige Krise zu überwinden, darin besteht, mit Nein zu stimmen, und damit zu erzwingen, daß der ganze Vertrag neu verhandelt wird und die Frage der sozialen Gerechtigkeit angemessen berücksichtigt wird.

SB: Und wird die Frage der Neutralität diesmal ein eher zweitrangiges Thema darstellen?

MY: Nicht zwingend. Ich gebe Ihnen ein hypothetisches Beispiel: Wenn wir herumgehen, wie wir es beim letzten Mal gemacht haben, an die Türen der Leute klopfen und ihnen erzählen, daß Artikel 158b des Lissabon-Vertrags sehr deutlich besagt, daß jeder der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Militärausgaben erhöhen muß, was meinen Sie, wie die Menschen darauf im Angesicht der aktuellen Krise reagieren werden?

SB: Während die Sozialleistungen gekürzt werden ...

MY: Während alles gekürzt wird! Sie sprechen von Kürzungen bei den Sozialleistungen, beim Kindergeld, bei den Bildungsausgaben etc. etc. Wenn man den Menschen also erklärt, daß Lissabon besagt, daß die Verteidigungsausgaben erhöht werden müssen, zeigt ihnen das die Verbindung zwischen Haushaltskürzungen und Militarisierung. Darüber hinaus bleibt die Lage am Flughafen Shannon katastrophal. Ich meine, etwa 1,5 Millionen US-Soldaten haben Shannon auf ihrem Weg in oder aus Richtung Afghanistan und Irak passiert - mit oder ohne Lissabon. Also, auch wenn das Thema Neutralität im Bewußtsein der Menschen wohl nicht an vorderster Stelle steht, ist es die Aufgabe der Nein-Kampagne, die wirtschaftlichen Konsequenzen einer zunehmenden Integration Irlands in die EU-Militärstrukturen darzulegen.

Ich habe neulich an einer Diskussion mit einigen Mitgliedern der Partei der Grünen teilgenommen. Sie haben behauptet, daß Europa den Klimawandel zu einem sehr wichtigen Thema macht. Ich habe ihnen erklärt, daß im Lissabon-Vertrag nur eineinhalb Zeilen zum Thema Klimawandel stehen. Also versucht nicht, uns auf den Arm zu nehmen. Erzählt uns nicht, daß sich Lissabon darum dreht, den Klimawandel in Angriff zu nehmen, weil es nicht so ist. Lissabon dreht sich um die Konsolidierung des Marktes, Privatisierung der sozialen Dienstleistungen und Erweiterung des Militärs. So sehe ich es jedenfalls.

SB: Ist die Frage der Neutralität weiterhin wichtig für die Iren und wenn ja, warum?

MY: Wir vom Irish Anti-War Movement mit unseren Genossen von der Peace and Neutrality Alliance (PANA) meinen, daß sie von höchster Wichtigkeit ist. Das strategische Kernziel der NATO zur Zeit ist, sich das Recht und die technischen und logistischen Fähigkeiten zu verschaffen, überall in der Welt zu intervenieren. Wir haben es nicht mehr mit europäischer Verteidigung zu tun, sondern mit globaler Intervention. Die NATO steckt bereits in Afghanistan fest, während sie davon spricht, nach Somalia zu ziehen und gegen sogenannte Piraten zu kämpfen. Für Irland als kleine Nation ist es daher unabdingbar, sich aus einem solchen Prozeß herauszuhalten.

SB: Meinen Sie denn, daß Neutralität noch immer genauso wichtig für die Menschen in Irland ist wie früher?

MY: Ja, das meine ich. Es gibt sehr, sehr wenige Menschen in Irland, die Ihnen, wenn es darauf ankommt, erzählen würden, daß sie die Neutralität nach und nach abschaffen wollen. Bestimmte Mitglieder von Fine Gael wären die einzigen, so etwas einzugestehen. Sogar Fianna Fáil - zumindest öffentlich - verkündet den Wunsch, daß Irland neutral bleibt. Ich meine, es ist eine Insel, auf der bis vor kurzem ein Krieg, wenn auch ein Guerilla-Krieg, geführt wurde. Irland selbst ist noch immer geteilt. Deshalb halte ich die Neutralität für absolut unabdingbar.

Michael Youlton

SB: Ihre Antwort führt direkt zur nächsten Frage. Die politische Elite in der Republik Irland scheint die nationale Frage aufgegeben zu haben. In welchem Ausmaß kann man das auch von der Bevölkerung allgemein sagen?

MY: Wie Sie wissen, ist die nationale Frage ein sehr komplexes Thema, das dieses Land nicht allein die letzten zwanzig Jahre, sondern mindestens die letzten 200 Jahre entzweit hat. Die Menschen haben das Gefühl, daß die Errungenschaften des Karfreitagsabkommens - wie der Waffenstillstand der Paramilitärs, die drastische Reduktion der britischen Militärpräsenz und die Kooperation zwischen den wichtigsten protestantischen-unionistischen und katholisch-nationalistischen Parteien - die Lage im Norden erheblich verbessert haben. Das Töten hat aufgehört, praktisch alle politischen Gefangenen wurden freigelassen, und das Leben ist zum Normalzustand zurückgekehrt.

Interessant ist allerdings, daß im Augenblick die Kräfte, die in den letzten drei bis vier Jahrzehnten die führende Rolle auf der unionistischen und der republikanischen Seite im Nordirlandkonflikt gespielt haben, am Schwinden sind. Die Menschen verlassen die Democratic Unionist Party (DUP), die Ulster Unionist Party (UUP) und Sinn Féin scharenweise. Wir sprechen nicht über ein bis zwei Leute, eher über zehn, zwanzig, wenn nicht Hunderte von Menschen. Was hat das also zu bedeuten? Es könnte zweierlei bedeuten. Es könnte entweder bedeuten, daß die Menschen der nationalen Frage, die durch das Karfreitagsabkommen gelöst scheint, nicht mehr soviel Wichtigkeit beimessen. Oder es könnte bedeuten - wie mein Instinkt mir sagt -, daß die Menschen erkennen, daß zwar eine Menge erreicht wurde, daß es aber nun an der Zeit ist, die Arbeit zu vollenden, was heißt: das Land wieder zu vereinigen.

Wie das zu erreichen wäre, ist eine offene Frage. Praktisch niemand will die Waffe in die Hand nehmen und wieder anfangen zu kämpfen, statt dessen arbeiten die Leute innerhalb der politischen Strukturen. Beispiele wären die verschiedensten Projekte an der Grenze, in denen Menschen aus dem Norden und dem Süden zusammenarbeiten, Straßen wieder öffnen, alte Kanäle wieder befahrbar machen etc. Die Menschen sehen, daß das, was seit mindestens hundert Jahren oder länger, wenn wir bis zu den Feniern [irische Republikaner, 19. Jh.] zurückgehen, ein Traum irischer Vordenker und Kämpfer gewesen ist, in ihrer Reichweite liegt. Man darf nicht vergessen, daß Irland und Zypern die einzigen zwei Mitglieder der Europäischen Union sind, deren nationales Territorium nach wie vor zum Teil von einem anderen Land besetzt gehalten wird. Persönlich bin ich daher der Auffassung, daß wir die Wiedervereinigung Irlands wahrscheinlich in den nächsten 15-20 Jahren erleben werden. Es läuft ein historischer Prozeß, der nicht negiert werden kann und der unumkehrbar ist. Gleichzeitig denke ich, daß die Türkei, wenn sie ernsthaft der Europäischen Union beitreten will, die militärische Besetzung Nordzyperns nicht länger aufrechterhalten kann. Man muß sich nur ansehen, was zwischen der DDR und Westdeutschland geschehen ist. Man kann sich über die Art und Weise streiten, wie vorgegangen wurde, aber die Vereinigung Deutschlands an sich war unvermeidlich. Solche Prozesse können nicht ewig in Schach gehalten werden. Früher oder später überwiegt die Realität. So meine ich, daß Irland am Ende vereint wird, und ich hoffe, daß ich dann noch am Leben bin, um es mitzuerleben.

SB: Sie haben den Mitgliederschwund bei Sinn Féin erwähnt. Welche Auswirkungen könnten die schwachen Ergebnisse von Sinn Féin bei den EU- und den Kommunalwahlen in Juni und die Schwierigkeiten, welche die Partei im Moment durchmacht, auf die gesamte Nein-Kampagne haben? Mary Lou McDonald, die, wie wir alle wissen, eine der effektivsten Kritikerinnen des Lissabon-Vertrags im vergangenen Jahr war, hat vor wenigen Wochen ihren Sitz im EU-Parlament verloren.

MY: Das ist eine gute Frage. Sinn Féin macht gerade eine harte Zeit durch, und es hat keinen Sinn, wenn Linke so tun, als geschehe das nicht. Als Mitglied der Kampagne gegen die EU-Verfassung alias Nein-zu-Lissabon war die Beteiligung der Sinn Féin-Leute über die letzten zwei Monate hinweg gleich Null - absolut minimal. Ich leite daraus nicht ab, daß sie sich deswegen auch in den kommenden Wochen nicht beteiligen. Zum Beispiel habe ich gerade mit Mary Lou telephoniert. Sie macht zur Zeit Ferien mit ihrer Familie, aber sie hat mir versichert, daß sie sich ab August voll einbringen wird. Sie ist eine der Rednerinnen auf der Friedenskonferenz, die wir für den 5. September geplant haben. Ich weiß, daß Mary Lou McDonald erstmal nur ein einziger Mensch ist, aber ich glaube nicht, daß Sinn Féin eine andere Wahl hat, als sich mit ganzem Herzen in der Nein-Kampagne zu engagieren.

SB: Weil es eine perfekte Gelegenheit für sie ist, ihre Parteibasis neu zu beleben und ihr öffentliches Profil in der Republik auszubessern?

MY: Genau. Ich meine, wir sprechen nicht allein über eine Stagnation auf der Wählerseite, sondern auch über eine partielle Auflösung der inneren Strukturen von Sinn Féin. In den letzten paar Monaten haben sie viele Leute verloren. Die Hälfte ihrer Mitglieder in Dun Laoghaire zum Beispiel sind ausgetreten. Vier oder fünf Leute, die im Juni im Süden zu Sinn Féin-Stadt- und Landkreisverordneten gewählt wurden, haben kurz danach die Partei verlassen und brachten Unzufriedenheit mit der Parteiführung zum Ausdruck, die, wie wir wissen, ihre Basis im Norden hat. Es hat den Anschein, daß diese Menschen zwar die sehr wichtige Rolle anerkennen, die Sinn Féin im Norden spielt, aber nicht sehen, was die Partei im Süden vertritt.

SB: Sie erfüllt also die in ihr gesteckten Erwartungen nicht.

MY: Genau. Es handelt sich um linksgerichtete Republikaner aus Cork oder Kerry oder woher auch immer, die sich beklagen, daß Sinn Féin im Süden in sozio-ökonomischen Fragen nicht genügend Stellung bezieht und mehr daran interessiert zu sein scheint, mit der DUP [Democratic Unionist Party] in Belfast zu regieren, als sich für die Wiedervereinigung einzusetzen. In der Folge treten einige dieser Leute Éirigi bei, andere werden Mitglied der People Before Profit Alliance, während wieder andere sich ganz aus der Politik zurückziehen. Welche Rolle kann Sinn Féin also vor diesem Hintergrund in den kommenden Wochen in der Kampagne zum Referendum spielen? Ich weiß es einfach nicht. Ich will nicht schlecht von einer Organisation reden, die in der Vergangenheit soviel Gutes getan hat. Trotzdem bin ich beunruhigt. Ich bin in Sorge, weil ich sie nicht mehr zu sehen bekomme. Die Menschen, mit denen ich im letzten Jahr zusammengearbeitet habe, sind nicht mehr da. Sie sind zu beschäftigt mit ihren Parteiversammlungen und damit, wie man die innere Fäulnis bekämpfen kann. Ich verstehe das, aber aus Sicht der Nein-Kampagne mache ich mir Sorgen, keine Frage.

SB: In den letzten ein, zwei Jahren gibt es eine zunehmende, wenngleich niedrig gehaltene, Diskussion über die Frage der Atomenergie. Kürzlich hat sich der Vorsitzende des Electricity Supply Board [staatlicher irischer Energieversorger] auf den Standpunkt gestellt, daß Irland, sollte es sich dafür entscheiden, ein eigenes Kernkraftwerk zu bauen, Teil der britischen Atomenergieinfrastruktur werden müsse. Als Veteran der irischen Anti-Atom-Bewegung, als was würden Sie diese Versuche, die Diskussion über die Atomenergie wieder zu eröffnen, ansehen? Ist es ein Anzeichen für den Wunsch von Teilen der irischen Elite nach einer zukünftigen verstärkten Zusammenarbeit mit Britannien und der NATO im Sicherheitsbereich - oder vielleicht ein Mittel zu dem Zweck?

MY: Ja, daran besteht kein Zweifel. Wenn wir auf die Zeit zwischen 1977 und 1981 zurückblicken, als die damalige Regierung vorschlug, ein Kernkraftwerk in Carnsore Point zu bauen und eine riesige Massenbewegung, an der Zehntausende von Menschen beteiligt waren, ihre Pläne durchkreuzte, stellte sich das Argument der Regierung, die Atomenergie sei eine wirtschaftliche Notwendigkeit, als falsch heraus. Es gab keine solche wirtschaftliche Notwendigkeit. Jetzt also ist die Begründung der Kernkraftverfechter, daß Atomenergie irgendwie umweltfreundlich ist und vielleicht sogar eine Antwort auf das Problem des Klimawandels und die menschengemachten Treibhausgase darstellt.

Darüber hinaus gibt es natürlich auch den politischen Gesichtswinkel, daß ein paar der größten Gas- und Ölreserven von angeblich nicht-befreundeten Staaten wie Rußland, dem Iran oder Venezuela kontrolliert werden oder in instabilen Regionen lokalisiert sind, wie in Afrika, im Nahen Osten, im Kaukasus und in Zentralasien. Also wird der Vorschlag gemacht, daß der Westen im allgemeinen alternative Energiequellen benötigt - Atomenergie ist dann eine davon. Ich bin der Meinung, daß dieses Argument mit dem ganzen Bereich der Militarisierung im Rahmen der NATO eng verbunden ist. Im wesentlichen handelt es sich um die gleichen Lobbygruppen in Brüssel, die mit rund 300 Vollbeschäftigten für eine erhöhte Waffenproduktion Druck machen und zur gleichen Zeit höhere Investitionen in Atomenergie propagieren. Die beiden Themen sind also miteinander verknüpft.

Und dann gibt es noch das Argument - das natürlich vor 18 Monaten noch eine größere Relevanz hatte, als die Wirtschaft noch in voller Fahrt war und bevor sie ins Trudeln geriet -, daß Irland bereits Atomenergie nutzt durch den Anschluß des Nordens an Schottland und damit des nationalen britischen Stromnetzes, das Strom verteilt, der in Kernkraftwerken produziert wurde. Als irischer Gegner der Atomenergie kann man diese Tatsache nicht einfach beiseiteschieben und sagen, daß das keine Rolle spielt. Es spielt eine Rolle. Aber welche Konsequenzen zieht man daraus? Für mich bedeutet das, daß wir Iren mehr mit unseren Freunden auf der anderen Seite der Irischen See zusammenarbeiten müssen, die auch gegen Atomkraft sind.

Man kann die Bedeutung der Energiefrage nicht unterbewerten. Gestern hat zum Beispiel eine Gruppe von Arbeitern in England auf der Isle of Wight eine Windrad-Fabrik besetzt, weil das dänische Mutterunternehmen angekündigt hat, diese zu schließen und die Angestellten zu entlassen, um die Produktion in die USA zu verlegen. Der Grund für die Verlegung ist wohl, daß der Erneuerbare-Energien-Sektor unter Barack Obama mehr subventioiert wird als in Gordon Browns Britannien. Während also die Nein-zu-Lissabon-Kampagne vielleicht keinen Standpunkt in der Energiefrage bezieht, hat ihn das Irish Anti-War Movement ganz sicher. Wir sind absolut dafür, alternative, weniger zerstörerische Wege der Stromproduktion zu finden als Kernenergie, sei es Wasser, Wellen, Sonne oder was auch immer, neben umfangreichen Bemühungen auf dem Gebiet des Energiesparens.

Der Sieg der Massenbewegung Ende der Siebziger gegen den Bau eines Atomkraftwerks in Carnsore Point und der Erfolg der Nein-zu-Lissabon-Kampagne im letzten Jahr bleiben die zwei großen Wegweiser in meinem politischen Leben, und grundsätzlich vermitteln sie mir eins: Wenn die Menschen mit ihrer Analyse richtig liegen und sie wirkungsvoll kämpfen, dann können sie gewinnen - es gibt keinen Grund, ans Aufgeben zu denken oder anzunehmen, wir müßten den Entscheidungen der politischen und wirtschaftlichen Eliten folgen, weil wir nur ganz normale Menschen sind. Trotzdem, denken Sie an meine Worte: Wenn wir am 2. Oktober verlieren und Lissabon durchkommt, wird es nicht lange dauern, bis wir - von neuem - gegen die Einführung von Atomkraft in Nordirland kämpfen müssen.

SB: Erzählen Sie uns etwas über das aktuelle Ausmaß der Aktivitäten des Irish Anti-War Movement. Den Berichten nach zu urteilen sind Sie in den letzten paar Monaten sehr aktiv gewesen.

MY: Das sind wir. Auch, wenn es eine Weile gedauert hat, bis sich die Dinge nach dem riesigen Marsch, den wir am 15. Februar 2003 in Dublin gegen den drohenden Krieg veranstaltet hatten, wieder erholten. Von allen Demonstrationen weltweit an diesem Tag, denke ich, hatte Irland eine der größten, wenn nicht die größte Pro-Kopf-Beteiligung. In einem Land von ungefähr viereinhalb Millionen hatten wir über 150.000 Menschen auf den Straßen der Hauptstadt, um für Frieden zu demonstrieren. Aber dann hat die Invasion des Irak natürlich trotzdem stattgefunden, und ich glaube, daß das viele Menschen demoralisiert hat. Seit 18 Monaten oder so kommen allerdings mehr und mehr Menschen zu unseren Veranstaltungen und beteiligen sich. Anfang des Jahres, kurz nach der israelischen Offensive in Gaza zum Beispiel, hatten wir eine ganz unglaubliche Benefizveranstaltung für Palästina in der Vicar Street [Musiktreff in Dublin], bei der Christy Moore und andere gespielt haben. Über tausend Menschen waren da, und wir haben 26.000 Euro zusammenbekommen. Mir sind eine ganze Menge Leute über den Weg gelaufen, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Die Hälfte des Geldes diente zur Deckung der Kosten, und die andere Hälfte haben wir in medizinische Hilfe für die Palästinenser gesteckt. Ein paar Wochen später ist eine Gruppe von uns zum NATO-Gegengipfel nach Strasbourg gereist und hat an einem Workshop gegen die schleichende Integration Irlands in die EU-NATO-Strukturen teilgenommen.

Angesichts der wachsenden Feindseligkeiten in Afghanistan, die eine Situation schaffen, aufgrund derer die meisten britischen Offiziere und -Soldaten sagen, daß der Krieg dort nicht zu gewinnen ist, haben wir beschlossen, vor ein paar Wochen hier in Dublin eine Diskussion zu dem Thema zu veranstalten. Wenn Sie mich, zwei Tage bevor die Debatte stattgefunden hat, gefragt hätten, wie viele Leute ich erwarte, hätte ich geantwortet, daß ich mehr als zufrieden wäre, wenn hundert Leute teilnehmen. Aber siehe an, es waren dreimal soviele. Wir konnten sie nicht alle in dem Raum unterbringen, den wir gebucht hatten. Ein solches Ergebnis zu einem Zeitpunkt, an dem die meisten in den Sommerferien sind, zeigt, daß sich die Menschen wieder mit dem schwierigen und deprimierenden Thema Krieg befassen - und damit, wie man ihn beenden kann - von neuem.

Die nächste große Sache ist für uns die Friedenskonferenz, die wir zusammen mit der Peace And Neutrality Alliance am 5. September in Shannon veranstalten. Eine ganze Phalanx nationaler und internationaler Persönlichkeiten wird dort sprechen, und es wird eine weitere Gelegenheit sein, die Verbindung zwischen Militarisierung und Lissabon aufzuzeigen. Alles in allem bin ich der Meinung, daß das Irish Anti-War Movement eine sehr wichtige Rolle innerhalb der Kampagne gegen Lissabon gespielt hat und das noch immer tut. Ein paar von uns waren unter den Gründungsmitgliedern der Nein-zu-Lissabon-Kampagne, und ich selbst und andere aus dem Irish Anti-War Movement leiten das Kampagnen-Büro. Wir haben vielleicht nicht die zwei- oder dreitausend Leute, die Sinn Féin mobilisieren kann, um Broschüren zu verteilen, aber wir haben unseren Part zu spielen, und das tun wir auch.

Eine weitere wichtige Entwicklung ist die verstärkte und vertiefte Verbindung und Zusammenarbeit mit der PANA. Aus Strasbourg und aus der gemeinsamen Organisation der Konferenz in Shannon hat sich ergeben, daß wir aus meiner Sicht sehr gut zusammenarbeiten. In der allgemeinen Nein-zu-Lissabon-Kampagne unterscheiden sich das Irish Anti-War Movement und die PANA insofern von einigen der anderen Gruppierungen, als daß wir nicht politische Parteien mit -zig anderen verschiedenen Prioritäten sind. Wir mußten kein Geld für die Europa- oder die Kommunalwahlen ausgeben, obwohl einzelne Mitglieder unter anderer Funktion an diesen Kampagnen teilgenommen haben. Richard Boyd Barrett zum Beispiel, der Vorsitzende des Irish Anti-War Movement, ist im Juni für die People Before Profit Alliance in den Bezirksrat von Dún Laoghaire/Rathdown gewählt worden.

Wir und die PANA konzentrieren uns sehr auf die Lissabon-Kampagne. Und während wir das zum Mittelpunkt machen, können andere Menschen, die nicht den gleichen Schwerpunkt haben, sich um uns herumgruppieren. Nehmen wir die aktuelle Diskussion in allen politischen Parteien, ob klein oder groß, über die Wirtschaftskrise. Ungeachtet dessen ist meine Priorität in den nächsten acht Wochen Lissabon. Es ist nicht so, daß ich die Krise oder ihre weiteren Implikationen nicht verstehen würde. In der Tat ist mein persönliches Einkommen aufgrund von jüngsten Regierungsentscheidungen um zehn bis zwölf Prozent gesunken. Trotzdem bleibt meine Priorität Lissabon. Das mag jetzt vielleicht nicht der Fall sein für die Socialist Worker's Party oder die Socialist Party, für die Joe Higgins im Juni in Dublin ins Europäische Parlament gewählt worden ist. Joe Higgins hat jetzt andere Prioritäten. Er spricht über Brüssel. Er spricht über Strasbourg. Ist klar, was ich meine? Also aus dem Grund bleiben wir bei unserem Schwerpunkt. Und ich bin froh darüber, weil wir mehr und mehr Menschen für unsere Sache gewinnen.

SB: Eine letzte Frage: Was hat es mit diesem Gerede in den irischen Medien auf sich, daß Hillary Clinton persönlich den Posten der Sondergesandten für Nordirland übernehmen will, um den sogenannten Friedensprozeß dort zu beobachten? Ist da irgend etwas dran oder ist das alles Medienmache? Die Lage in Nordirland kann für die Obama-Regierung doch eigentlich nur von völlig peripherem Interesse sein.

MY: Dem muß ich zustimmen. Die Angelegenheiten in Nordirland haben für die gegenwärtige US-Regierung keinerlei Relevanz. Ihre einzige Bedeutung für Obama besteht darin, wie sein Sondergesandter für den Nahen Osten, George Mitchell, der sogenannte Architekt des Karfreitagsabkommens, gesehen wird. Die Interpretation, die sie dem Ganzen geben, ist die, daß Washington in der Zeit der Demokratischen Regierung von Bill Clinton massiv zur Lösung des Nordirlandkonfliktes beigetragen hat und daß sie das Gelernte nun im Nahen Osten anwenden werden. Als jemand, der die Palästinenser voll und ganz unterstützt und Palästina einige Male besucht hat, bin ich der Meinung, daß es ganz sicher besser ist, wenn George Mitchell zwischen den Palästinensern und den Israelis vermittelt, und nicht Tony Blair, der derzeitige Sonderbeauftragte des Nahostquartetts. Mitchell ist jemand, der sich über die Region kundig gemacht hat, der den israelisch-palästinensischen Konflikt versteht, und die Fähigkeit besitzt, zuzuhören, was sehr, sehr wichtig ist.

Was Hillary Clinton selbst anbelangt, so glaube ich, daß sie sich darauf vorbereitet, sich ein zweites Mal um das Präsidentenamt zu bewerben. Wenn Obama mit seiner Politik scheitert, wird sie 2012 kandidieren, wenn nicht, könnte sie es 2016 wieder versuchen. Was von beidem auch immer, um als Kandidatin der Demokraten nominiert zu werden und die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen, wird sie die irisch-amerikanischen Stimmen brauchen. Anders also macht die Vorstellung, daß sie neben ihren anderen Verpflichtungen als Außenministerin eine besondere Verantwortung für den Norden auf sich nehmen will, keinen Sinn. Irland, Nord- oder Süd-, ist einfach nicht wichtig genug. Der neue US-Botschafter in Irland, Dan Rooney, der 77jährige Besitzer der Pittsburgh Steelers [Football-Mannschaft], ist kaum hiergewesen, seit er ins Amt berufen wurde. Im Grunde ist er nur eine Galionsfigur.

SB: Michael Youlton, vielen Dank für dieses Interview.

Wynn's Hotel, Ecke Lower Abbey Street / O'Connell Street, seit Jahrzehnten ein beliebter Treffpunkt im Herzen Dublins

Wynn's Hotel, Ecke Lower Abbey Street / O'Connell Street, seit
Jahrzehnten ein beliebter Treffpunkt im Herzen Dublins

8. September 2009