Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

EUROTREFF/001: Irland vor zweiter Abstimmung zum EU-Reformvertrag (SB)


Irland vor zweiter Abstimmung zum EU-Reformvertrag

Gegner und Befürworter des Lissabon-Abkommens nehmen Kampf erneut auf


Man hätte kein Hellseher sein müssen, um vorauszusagen, daß man die Bürger der Irischen Republik, sollten sie am 12. Juni 2008 gegen die Annahme des EU-Reformvertrages stimmen, erneut an die Urne bitten würde. Auch wenn die EU-Elite in Wirklichkeit keinen "Plan B" für den Fall einer Niederlage ihres ambitionierten Projekts bereithielt, wie der irische Außenminister Mícheál Martin damals zu betonen nicht müde wurde, so nahmen die Dinge nach der Bekanntgabe des Sieges der Gegner des Vertrages von Lissabon einen wenig überraschenden Verlauf.

Anstatt das demokratische Votum zu respektieren und das EU-Reformabkommen - in Bezug darauf Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy in seiner Funktion als EU-Ratspräsident bei einem Besuch in Dublin im August 2008 vor Zeugen zugab, daß es auch in seinem und den meisten anderen Mitgliedsstaaten keine Mehrheiten im Volk fände - für gescheitert zu erklären, beschwor man und beschwört bis heute die große institutionelle Krise, in die die angeblich undankbaren Iren "Europa" gestürzt und aus der sie es gefälligst wieder herauszuholen hätten. Ohne eine "schlanke", "effizientere", aber vor allem "handlungsfähige" EU, die erst durch den Reformvertrag entstehen sollte, werde "Europa" den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht gewachsen sein, hinter den anderen Großmächten USA, Rußland, China, Indien usw. zurückfallen und in die geopolitische Bedeutungslosigkeit versinken, so die Lissabon-Befürworter. Mit diesem plumpen Argument in seinen unzähligen Variationen verlangen die EU-Granden, die jenem Großmachtdenken verhaftet sind, das bereits zwei Weltkriege über die Menschheit gebracht hat und einen dritten billigend in Kauf nimmt, wenn nicht sogar von vornherein impliziert, daß die wiederspenstigen Iren ihre nach Jahrhunderten britischer Vorherrschaft tiefsitzende, antiimperialistische Haltung aufgeben und endlich den Weg für die Schaffung eines europäischen Superstaates freimachen.

Nach einer Karenzzeit von knapp 13 Monaten hat am 8. Juli Irlands Taoiseach (Premierminister) Brian Cowen das Datum für den erneuten Volksentscheid auf den kommenden 2. Oktober terminiert. Bis dahin sollen Himmel und Erde in Bewegung gesetzt werden, um die Bürger auf der grünen Insel dazu zu bringen, ihr Nein vom letzten Jahr zu revidieren. Damit das Abkommen diesmal durchkommt, wird vor allem moralischer Druck ausgeübt - "Irland hat von der EU profitiert und darf sich nicht als undankbar erweisen" - und werden Drohkulissen bemüht - "Ohne die Unterstützung aus Brüssel wird sich die aktuelle, katastrophale Wirtschaftskrise in Irland nicht nur nicht beenden lassen, sondern sich eventuell sogar verschlimmern". Und in der Tat geben die drastisch zum Schlechteren veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen den Vertretern der Ja-Seite die Zuversicht, daß sie diesmal als Sieger vom Platz gehen werden.

Im Grunde genommen weiß jeder, daß sich der Vertrag von Lissabon nur unwesentlich von jener EU-Verfassung unterscheidet, die 2005 die Bürger Frankreichs und der Niederlande bei Volksentscheiden abgelehnt und damit zu Fall gebracht haben. Wohlwissend, daß diese Neuauflage der EU-Verfassung, die vor neoliberaler Wirtschaftsideologie strotzt und einer Militarisierung der EU als Juniorpartnerin der NATO das Wort redet, in einer erneuten Runde von Volksabstimmungen zum Scheitern verurteilt wäre, hat man in fast allen europäischen Ländern auf die Mitwirkung des Volkes bei der Annahme dieses staatsrechtlich enorm wichtigen Dokumentes verzichtet. Nur in Irland konnte man sich jedoch aus Verfassungsgründen nicht mit einer Ratifizierung durch das Parlament begnügen.

Charles Stewart Parnell, der große Anführer der irischen Nation im 19. Jahrhundert

Charles Stewart Parnell, der große Anführer der
irischen Nation im 19. Jahrhundert

Aus Angst, die Abstimmung der Iren im vergangenen Jahr könnte zu einer Protestwahl in Reaktion auf die Finanzskandale von Premierminister Bertie Ahern werden, hatte man diesen damals dazu gebracht, kurz zuvor zurückzutreten. Nach der Trennung von jener personellen Altlast war man optimistisch, daß die Iren einsehen würden, daß der Vertrag von Lissabon für sie gut wäre und daß ihre Politiker bei den Verhandlungen mit den europäischen Partnern den besten Deal gemacht hätten. Zum Optimismus gab es auch allen Grund, denn für den Vertrag machten nicht nur die nationalkonservative Regierungspartei Fianna Fáil, sondern auch die parlamentarische Opposition aus der ebenfalls nationalkonservativen Fine Gael und der sozialdemokratischen Labour-Partei, die Kirchen, die Arbeitgeberverbände, die Gewerkschaften und die meisten großen Zeitungen Stimmung. Als Partei konnten sich die Grünen, die sich seit 2007 als Juniorpartner in der Koalitionsregierung mit Fianna Fáil befinden, zu keiner einheitlichen Position durchringen, was die gesamte Führung jedoch nicht daran hinderte, ihrerseits Stimmung für eine Annahme der Abkommens zu machen.

Als einzige im irischen Parlament vertretene Partei rief die linksrepublikanisch-nationalistische Sinn Féin zu einem Nein auf und wurde hierbei von diversen kleineren Gruppierungen, darunter Friedensorganisationen, Umweltaktivisten, sozialistische Splitterparteien, einige erzkonservative Christenverbände und ein dubioser, weil aus dem Nichts aufgetauchter, rechtsliberaler Verein mit Namen Libertas um den erfolgreichen Geschäftsmann Declan Ganley unterstützt. Angesichts dieser ungleichen Konstellation fiel das politische Establishment in Dublin - und mit ihm die Staatsführungen in Berlin, London, Paris und den anderen EU-Hauptstädten - aus allen Wolken, als nach der Auszählung am 13. Juni 2008 feststand, daß die Nein-Seite mit 53 zu 46 Prozent gewonnen hatte. Hinzu kommt, daß die Beteiligung am Referendum weitaus höher lag als bei den beiden Abstimmungen über den Nizza-Vertrag 2001 und 2002, was die Behauptung der Ja-Seite Lügen strafte, wonach die "EU-Gegner" nur bei einer niedrigen Beteiligung eine Chance auf Sieg hätten.

Angesichts dieser hochpeinlichen Niederlage ließ die Cowen-Regierung umfassende Umfragen durchführen, um herauszufinden, weswegen die Iren den EU-Reformvertrag abgelehnt hatten. Dabei stellten die Demoskopen fest, daß die Angst vor dem Verlust der irischen Neutralität einschließlich der Verwicklung Irlands in irgendwelche Militärabenteuer der europäischen Großmächte im Ausland sowie vor Sozialabbau infolge der im Lissabon-Vertrag festgeschriebenen Bevorteilung des Kapitals zu Lasten der Arbeitnehmerrechte die am häufigst genannten Beweggründe waren. Hinzu kam die allzu begründete Befürchtung einer Machtverschiebung zugunsten Brüssels und zuungunsten der Einzelstaaten, verkörpert unter anderem durch das geplante höhere Stimmengewicht der bevölkerungsreichsten Länder wie Deutschland, Großbritannien und Frankreich, durch die geplante Streichung des automatischen Rechts eines jeden EU-Staates auf ein Mitglied in der Kommission und durch die Möglichkeit, daß aufgrund von Gesetzesharmonisierungen die niedrigen irischen Steuern für ausländische Investoren oder das Abtreibungsverbot auf der Insel von außen her angetastet werden könnten.

Beim jüngsten EU-Gipfel Mitte Juni in Brüssel hat Cowen deshalb mit den anderen europäischen Regierungschefs eine Reihe von Garantien ausgehandelt, die die gerade erwähnten Punkte berücksichtigen und die in Form eines Sonderprotokolls ins europäische Recht - und zwar mittels des Anhängens am Beitrittsabkommen des nächsten EU-Mitgliedsstaates - aufgenommen werden sollen. Inwieweit diese Garantien in Bezug auf Irlands Neutralität, Steuergesetze und Abtreibungsverbot verläßlich sind, ist jedoch unklar. Schließlich wird stets beteuert, der EU-Reformvertrag hätte diese Bereiche ohnehin nicht tangiert; man gebe die Garantien nur ab, um das irische Volk, das bei der Abstimmung im letzten Jahr den Vertrag von Lissabon falsch interpretiert habe, zu beschwichtigen. Was den Einwand der Iren bezüglich des im Vertrag verankerten Primats des freien Marktes vor der sozialen Gerechtigkeit betrifft, wurde dieser ebenfalls als unbegründet abgetan. Mit der Terminierung des Volksentscheids auf den 2. Oktober hat Cowen den Rückkampf zwischen Lissabon-Befürwortern und -Gegnern eingeläutet, der die letztjährige Auseinandersetzung hinsichtlich der Härte des Einsatzes beider Seiten um einiges übertreffen dürfte.

Im Vergleich zum Frühjahr 2008 hat es einige leichte Veränderungen in der irischen politischen Landschaft gegeben. Bei den Wahlen zum EU-Parlament Anfang Juni hat Mary Lou McDonald im Bezirk Dublin ihren Sitz im Parlament von Strasbourg verloren, während Ganley mit dem Versuch, im Bezirk Irland-Nordwest einen Sitz zu erringen und europaweit Libertas als Partei zu etablieren, kläglich gescheitert ist. Ganley hat deshalb seinen Abschied von der Politik genommen und bekanntgegeben, daß Libertas diesmal nicht an der Debatte um den Lissaboner Vertrag teilnehmen wird. Während viele Medienkommentatoren glauben, daß der Rückzug Ganleys ein herber Verlust für die Nein-Seite ist, sind vor allem viele linke Gegner des Reformvertrages der Meinung, daß sie ohne Libertas bessere Chancen haben, die soziale Unausgewogenheit des Abkommens hervorzuheben.

Dagegen müßten die jüngste Wahlniederlage McDonalds, die sich letztes Jahr als glaubwürdige EU-Kritikerin mit Insider-Kenntnissen besonders hervorgetan hatte, und die Unfähigkeit ihrer Partei, trotz Wirtschaftskrise von dem enormen Stimmeneinbruch seitens Fianna Fáil bei den zeitgleich mit der EU-Wahl durchgeführten Kommunalwahlen zu profitieren, Sinn Féin und den Lissabon-Gegnern schwer zu denken geben. Seit den EU- und Kommunalwahlen wird Sinn Féin von einer Rücktrittswelle heimgesucht. Eine Reihe enttäuschter Kommunalpolitiker im Süden haben der Parteiführung vorgeworfen, sich in Nordirland mit der Regierungsbeteiligung an der Seite der konservativ-protestantischen Democratic Unionist Party (DUP) um den Ministerpräsidenten Peter Robinson allzu gemütlich eingerichtet zu haben, und es beiderseits der Grenze am demonstrativen Einsatz für soziale Gerechtigkeit sowie für die Wiedervereinigung Irlands vermissen zu lassen. Vor diesen Hintergrund bietet die erneute Kampagne pro und contra Lissabon Sinn Féin die Gelegenheit, sich, wie der Parteivordenker Eoin O'Broin seit einiger Zeit empfiehlt, auf ihre sozialistischen, republikanischen Wurzeln zu besinnen und zu neuer wie alter Schlagkraft zurückzufinden. Sollte Sinn Féin ihre Basis nicht mindestens so stark aktivieren wie vor einem Jahr, dürfte es für die Lissabon-Gegner schwer bis unmöglich werden, die zweite Abstimmung über den EU-Reformvertrag zu gewinnen.

James Connolly, Irlands größter Sozialrevolutionär, der nach dem gescheiterten Osteraufstand 1916 von den britischen Militärbehörden hingerichtet wurde.

James Connolly, Irlands größter Sozialrevolutionär, der nach dem
gescheiterten Osteraufstand 1916 von den britischen Militärbehörden
hingerichtet wurde.

Größte Nutznießerin des drastischen Popularitätsverlustes von Cowens "Soldaten des Schicksals" bei den jüngsten Wahlen war Fine Gael, die sich zum erstenmal auf kommunaler Ebene seit der Gründung der Irischen Republik als stärkste politische Kraft etablieren konnte. Für die Ja-Seite wird es wichtig sein, die vielen Fine-Gael-Wähler zu mobilisieren, die bekanntlich letztes Jahr bei der Abstimmung proportional deutlich unterrepräsentiert waren - vermutlich, weil die Parteiführung um ihren Vorsitzenden Enda Kenny der regierenden Fianna Fáil heimlich eine schwere Blamage wünschte, die vorgezogene Neuwahlen für das irische Unterhaus (Dáil) erforderlich machen könnte.

Am 9. Juli, dem Tag nach der offiziellen Bekanntgabe des Datums für das zweite Referendum, rief Geraldine Kennedy, Chefredakteurin der Irish Times, Irlands einflußreichster Tageszeitung, in einem hysterisch anmutenden Leitartikel die großen Parteien und die wichtigsten gesellschaftlichen Organisationen zur Geschlossenheit auf. Es müsse verhindert werden, daß das dumme Volk für eine erneute "Katastrophe" sorge und das Land in die Isolation führe, so Madam Editor von der Tara Street. Genau dieselbe Botschaft geht von der neuen, angeblich unabhängigen Gruppe "Ireland for Europe" und deren Jugendabteilung "Generation Yes", deren Mitgliedschaft sich hauptsächlich aus jungen Fianna-Fáil-, Fine-Gael- und Labour-Party-Aktivisten speist, aus. Galionsfigur von "Ireland for Europe" ist der Karlspreisträger und ehemalige, liberale EU-Parlamentspräsident Pat Cox, der bekanntlich ein leidenschaftlicher Verfechter eines europäischen Bundesstaats ist. Diese Tatsache und der Name seines neugegründeten Interessenverbandes lassen erkennen, daß die Ja-zu-Lissabon-Fraktion keine Debatte um den EU-Reformvertrag und die rechtliche Gültigkeit der von Cowen und Martin ausgehandelten Garantien wie etwa zur irischen Neutralität führen will, sondern beabsichtigt, die Gegenseite als weltfremde Spinner und ewige Nein-Sager zu diffamieren und Schreckenszenarien für den Fall, daß diese erneut gewinnen, an die Wand zu malen.

Hinter den Bemühungen der selbsternannten Europa-Freunde stecken nach Angaben der Enthüllungs- und Satirezeitschrift Phoenix das irische Außenministerium und das einflußreiche, in Dublin ansässige und von Aufträgen der irischen Regierung, der EU und der Privatindustrie lebende Institute for International and European Affairs (IIEA) um den ehemaligen Generalsekretär der Labour Party, Brendan Halligan (was natürlich - sollte es stimmen - ein krasser Verstoß gegen das McKenna-Urteil des Obersten Gerichts von 1995 wäre, wonach sich der Staat bei Volksentscheiden neutral zu verhalten habe und keine mit Steuergeldern finanzierte Beeinflussung in die eine oder andere Richtung betreiben dürfe). Weil angeblich bei der ersten Lissabon-Kampagne auf der Ja-Seite Politiker der großen Parteien zu sehr im Vordergrund standen, sollen diesmal vor allem Persönlichkeiten der "Zivilgesellschaft" den gemeinen irischen Wählern ihre Skepsis gegenüber der Marschroute der EU-Elite austreiben.

Folglich schießen dieser Tage Pro-Lisbon-Gruppierungen wie Pilze aus dem irischen Boden. Die wichtigste ist natürlich die bereits erwähnte "Ireland for Europe", die zu ihren illustren Schirmherren den Literaturnobelpreisträger Seamus Heaney, den U2-Gittarenspieler The Edge, den U2-Manager Paul McGuinness, den Fußball-Nationalmannschaftskapitän Robbie Keane, den Filmregisseur Jim Sheridan, den Ex-Premierminister und -Fine-Gael-Vorsitzenden Garrett Fitzgerald sowie seinen Parteikollegen und früheren Justizminister Peter Sutherland zählt (Fitzgerald, der den Vorsitz von Halligans Denkfabrik IIEA innehat, veröffentlicht seit zehn Jahren regelmäßig in der Wochenendausgabe der Irish Times einen Gastbeitrag zu außen- und wirtschaftspolitischen Themen, während sich der ehemalige EU-Kommissar und GATT-Generalsekretär Sutherland, der heute unter anderen als Vorstandsvorsitzender sowohl des Ölkonzerns BP als auch des Finanzhauses Goldman Sachs International tätig ist, als Irlands eifrigster Verfechter der Globalisierung hervortut). Dazu kommen Gruppen wie "We Belong" ("Wir gehören dazu") um den ehemaligen Torwart der irischen Fußballnationalmannschaft, Packie Bonner, den ehemaligen Rugby-Nationalmannschaftsspieler Mick Galwey, den Folk-Musiker Frank Gavin von der Gruppe Dé Danann und das Pop-Sternchen Sharon Corr oder "Lawyers for Europe" ("Rechtsanwälte für Europa").

Als eines der gesellschaftlichen Segmente, die laut den Demoskopen letztes Jahr stark mehrheitlich gegen den EU-Reformvertrag gestimmt haben, gelten Irlands Frauen. Diese sollen nun offenbar von "Women for Europe" umgestimmt werden, zu der die erfolgreichen Schriftstellerinnen Maeve Binchy und Deirdre Purcell sowie Dublins amtierende Bürgermeisterin Emer Costello gehören. Bei der öffentlichen Gründungsfeier dieser Organisation am 30. Juli im altehrwürdigen Dubliner Mansion House, stellten es die "Frauen für Europa" so dar, als sei jeder gesellschaftliche Fortschritt der letzten 36 Jahre in Irland der EU zu verdanken - ganz, als hätten die Bürger der Irischen Republik das Joch des erzkonservativen katholischen Klerus von allein niemals abschütteln können, was natürlich absoluter Humbug ist. Höhepunkt der Lobhudelei von Irlands profiliertesten Mittelschichtsvertreterinnen gegenüber dem ach so kosmopolitische, europäische Festland war die laut der Irish Times vielbejubelte Erklärung der streitbaren Feministin und Journalistin Nell McCafferty, "unter dem Schutz der EU" und "nicht in einem Land, das ausschließlich von dieser oder irgendeiner anderen irischen Regierung regiert wird, leben zu wollen".

Aus den eigentlich unpatriotischen und herablassenden Worten McCaffertys ist jedenfalls deutlich die tiefe Verachtung zu hören, welche die meisten Iren dieser Tagen ihren politischen Vertretern, insbesondere denen der seit 1987 mit gerade drei Jahren Unterbrechung regierenden Fianna Fáil entgegenbringen. Die 1926 von Éamon De Valera gegründete Partei, die ähnlich Fine Gael aus jener Sinn Féin hervorging, welche 1918 die ersten Parlamentswahlen in Irland nach dem Ende des Ersten Weltkrieges haushoch gewann und sich gleich an die Verwirklichung der zwei Jahre zuvor beim gescheiterten Osteraufstand ausgerufenen Irischen Republik setzte, sieht sich derzeit mit dem Scherbenhaufen ihrer jahrelangen Klüngelei mit der Bauwirtschaft konfrontiert. Zur Sanierung der an der geplatzten irischen Immobilienblase beteiligten Banken und Bauunternehmen plant Finanzminister Brian Lenihan die Gründung einer Sonderbehörde namens National Asset Management Agency (NAMA), die Grundstücke, Bauprojekte und faule Kredite mit einem nominellen Wert von sage und schreibe 90 Milliarden Euro in den Staatsbesitz überführen soll.

Der Plan ist hochkontrovers nicht zuletzt deshalb, weil der finanziellen Rettung von Fianna Fáils Parteispendern im Banken- und Bausektor mittels Steuergeldern in schier unglaublicher Höhe geplante drastische Kürzungen der Staatsausgaben im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich gegenüberstehen. Die von der Regierung eingesetzte Special Group on Public Service Numbers and Expenditure Programmes, im Volksmund An Bord Snip Nua genannt, unter der Leitung von Colm McCarthy, Wirtschaftsdozent am University College Dublin, hat im Juli Einsparungen für das kommende Fiskaljahr in Höhe von 5,3 Milliarden Euro empfohlen, die vor allem auf Kosten der Ärmsten und Schutzbedürfigsten - Kranke, Alte, Kinder, Arbeitslose - erzielt werden sollen. Angesichts der großen Empörung über die NAMA-Pläne und die sozial ungerechten Empfehlungen der McCarthy-Gruppe sind die Hoffnungen der Lissabon-Gegner nicht ganz abwegig, daß am 2. Oktober viele irische Wähler die Abstimmung über den EU-Reformvertrag nutzen werden, um ihrer Unzufriedenheit mit dem wirtschaftspolitischen Kurs der Cowen-Regierung Ausdruck zu verleihen, und damit für ein erneutes Scheitern des Abkommens sorgen.

Éire schütze die Freiheit der Völker

Éire schütze die Freiheit der Völker

13. August 2009