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ASIEN/950: Koreakonflikt - Schleichfahrt zur Verständigung ... (SB)


Koreakonflikt - Schleichfahrt zur Verständigung ...


Auf der Koreanischen Halbinsel ist die zur Jahreswende 2019/2020 befürchtete Zunahme der Spannungen überraschend ausgeblieben. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Erstens das vorsichtige Agieren der nordkoreanischen Führung und zweitens die Covid-19-Epidemie, die in den letzten Wochen Politik und öffentliches Leben in Südkorea bestimmte, zur Verschiebung eines geplanten großen Militärmanövers mit den US-Streitkräften führte und sogar in Washington Überlegungen bezüglich einer Lockerung der Wirtschaftssanktionen gegenüber Nordkorea aufkommen ließ, um die humanitäre Lage zu verbessern.

Nach dem Scheitern des zweiten US-Nordkorea-Gipfeltreffens in Hanoi Ende Februar 2019 aufgrund provokant-überzogener Abrüstungsforderungen seitens der amerikanischen Delegation hatten die Verantwortlichen in Pjöngjang monatelang vergeblich auf brauchbare Vorschläge aus Washington gewartet, um den "Friedensprozeß" wieder in Gang zu bringen. Vor diesem Hintergrund hatte der nordkoreanische Staatsratsvorsitzende Kim Jong-un noch im Dezember mit der Beendigung des Moratoriums seines Landes bei Atom- und Raketentests gedroht. Mit einer entsprechenden Provokation haben deshalb die Korea-Beobachter in Politik und Medien der USA rund um das koreanisches Neujahrsfest fest gerechnet. Doch die unterirdische Zündung einer weiteren Wasserstoffbombe oder der Flug einer nordkoreanischen Interkontinentalrakete blieb aus.

Lediglich ein neues Artilleriesystem, das Ziele in großer Entfernung mit schweren Granaten treffen kann, erprobten die nordkoreanischen Streitkräfte am 2. März und damit quasi zum Jahrestag der gescheiterten Trump-Kim-Begegnung in der vietnamesischen Hauptstadt. Die beiden Geschosse wurden nahe der Hafenstadt Wonsan an der nordkoreanischen Ostküste abfeuert und stürzten kurz darauf in 240 Kilometern Entfernung ins Japanische Meer, das die Koreanische Halbinsel von Nippon trennt. In einer ersten Reaktion seitens des südkoreanischen Militärs hieß es, die nordkoreanische Übung trage "nicht zu den Bemühungen um einen Abbau der Spannungen auf der Koreanischen Halbinsel bei. Wir fordern den Norden erneut auf, auf so etwas zu verzichten".

Die Antwort auf die Kritik aus Seoul kam am 3. März von Kims Schwester Kim Yo-jong, die eine hohe Position in der regierenden Arbeiterpartei Nordkoreas innehat, höchstpersönlich. Sie bezeichnete die Stellungnahme Südkoreas als "Idiotie", erinnerte daran, daß jedes Land das Recht auf Maßnahmen zur Aufrechterhaltung seiner Selbstverteidigungskapazitäten hat, und warf der südkoreanischen Führung Heuchelei vor, indem sie auf Seouls "widerlichen" Kauf von enorm teueren F-35-Kampfjets sowie der Spionagedrohne Global Hawk aus den USA hinwies. Die pointierte Kritik Yo-jongs, die sich an das Blaue Haus, den Amtssitz des südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in richtete, ist um so bemerkenswerter, als es Kims Schwester war, die mit ihrer gelungenen Sport-Diplomatie bei der Winterolympiade im Februar 2018 im südkoreanischen Pyeongchang nicht unwesentlich zum großen Durchbruch in der Dreierbeziehung zwischen Nordkorea, Südkorea und den USA beigetragen hatte.

Nach schweren Wochen im Februar geht in Südkorea die Zahl der Menschen, die an dem neuartigen Coronavirus erkranken, allmählich zurück. Gleichwohl ist die Angst nicht gebannt, daß Covid-19 irgendwie den Sprung über die Demilitarisierte Zone (DMZ) am 38. Breitengrad schaffen und in Nordkorea, dessen Gesundheitssystem nicht zuletzt wegen der jahrelangen Wirtschaftssanktionen am Boden liegt, wüten und den Tod vieler Menschen herbeiführen könnte. Die Sorge vor einer solchen Entwicklung schwang bei der Anhörung vor dem außenpolitischen Ausschuß des Senats in Washington zum Thema Nordkorea mit, die am 4. März stattfand und über die Tim Shorrock fünf Tage später in der altehrwürdigen linken US-Zeitschrift The Nation berichtete.

Der in Japan aufgewachsene und in Washington lebende Shorrock ist Autor des bestens recherchierten Sachbuchs "Spies for Hire: The Secret World of Intelligence Outsourcing" und einer der besten Kenner der geopolitischen Lage in Ostasien. Aufgrund der verschiedenen Aussagen, die Politiker und Sachverständige im Verlauf der mehrstündigen Senatsanhörung gemacht haben, kommt Shorrock zu dem Schluß, daß die Gesetzgeber in Washington die Friedensbemühungen des Weißen Hauses gegenüber Pjöngjang unterstützen wollen und zu diesem Zweck ernsthaft eine Lockerung von Sanktionen bei gleichzeitigen Abrüstungsschritten seitens Nordkoreas in Erwägung ziehen. Laut Shorrock schwebt Washington vor allem eine Lockerung der UN-Sanktionen vor, damit Südkoreas Präsident Moon seine ehrgeizigen Pläne zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Norden, im ersten Schritt zur Wiederherstellung einer Bahnverbindung, welche die Koreanische Halbinsel als Ganzes mit China und Rußland verbindet, verwirklichen kann. Die Überschrift des Nation-Artikels lautet "Washington Hawks Are Softening Their Hard Line on Sanctions Against North Korea". Man kann nur hoffen, daß Shorrock mit seinem vorsichtigen Optimismus richtig liegt.

12. März 2020


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