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ASIEN/927: Indien - egoparteiliche Aktionen ... (SB)


Indien, Pakistan - egoparteiliche Aktionen ...


Am morgigen 11. April fangen in Indien die Wahlen zum Bundesparlament in Neu-Delhi an und dauern wegen der Größe des Landes und der Anzahl der stimmberechtigten Bürger - etwa 900 Millionen - sowie der unterschiedlichen Handhabung des Urnengangs in den einzelnen Gliedstaaten bis zum 19. Mai. Spätestens am 22. Mai soll die Stimmenauszählung beendet sein und das offizielle Endergebnis vorliegen. Man rechnet mit einem knappen Sieg der regierenden, hindu-nationalistischen Bharatiya Janatha Party (BJP) um Premierminister Narendra Modi. Trotz hoher Arbeitslosigkeit in den Städten und niedriger Erzeugerpreise für die Bauern auf dem Land wird es laut den Demoskopen der linksliberalen Kongreßpartei um Rahul Gandhi vermutlich nicht gelingen, die BJP von der Macht zu verdrängen. Entscheidend für den Ausgang der Wahl dürfte die anti-pakistanische und anti-muslimische Hysterie sein, die Modi seit dem Pulwama-Vorfall, als am 14. Februar 44 indische Soldaten beim Bombenanschlag auf einen Militärkonvoi in dem von Indien besetzten Teil Kaschmirs ums Leben kamen, schürt.

Zu dem Anschlag bekannte sich die Gruppe Jaisch-e-Mohammed (J-e-M), die aus Pakistan heraus operiert. Dennoch stellt sich die Frage, woher der Attentäter, ein junger Moslem aus Kaschmir namens Adil Ahmad Dar, der seit Monaten verschwunden war, die riesige Menge Sprengstoff, mit der sein Wagen vollgepackt war, hatte. Man vermutet, daß das Material nicht aus Pakistan nach Kaschmir hineingeschmuggelt wurde, sondern von einer Baustelle an der Überlandstraße, auf der sich der Anschlag ereignete, stammte. Eine solche Erklärung für die Herkunft der Bombe läßt den Verdacht zu, hier könnte auch der indische Geheimdienst seine Finger im Spiel gehabt haben. Schließlich kommt es seit Jahren in verschiedenen Teilen Indiens immer wieder zu Anschlägen, die BJP-nahe Hindufanatiker und Teile des Sicherheitsapparats durchführen, um das Gespenst einer islamischen Gefahr zu beschwören und die muslimischen Mitbürger als potentielle Staatsfeinde hinzustellen.

Jedenfalls ist den offiziellen Stellungnahmen indischer Regierungs- und Behördenvertreter zum Pulwama-Vorfall wenig Glaubwürdigkeit beizumessen. Zu sehr haben sich Modi und die BJP in den vergangenenTagen in Falschmeldungen und widersprüchlichen Aussagen zu der laufenden Militärkonfrontation mit Pakistan verwickelt, als daß man ihnen auch nur ein Wort glauben könnte. Am 26. Februar führten zwölf indische Kampfjets vom französischen Typ Mirage zur Vergeltung zum ersten Mal seit 1971 einen Angriff gegen Ziele in Pakistan durch. Die Operation wurde anschließend von Modi und den indischen Medien groß gefeiert. Das Verteidigungsministerium in Neu-Delhi ließ verlauten, man habe erfolgreich ein "Ausbildungslager" der J-e-M dem Boden gleichgemacht und 250 bis 300 "Terroristen" liquidiert. Später stellte sich heraus, daß die indischen Kampfjets kurz nach dem Eindringen in den pakistanischen Luftraum von aufgestiegenen Militärmaschinen Pakistans vertrieben worden waren, ihre Bombenfracht über einem Wald in einer Gegend namens Balakot abgeladen und dabei lediglich Umweltschäden sowie Risse in den Wänden eines nahegelegenen Bauernhauses verursacht haben sollen.

Am 27. Februar kam es im Himmel über dem geteilten Kaschmir zu einem Luftkampf, bei dem die Inder den kürzeren zogen. Ein indischer Kampfjet vom russischen Typ Mig-21-Bison wurde über dem pakistanischen Teil Kaschmirs abgeschossen und sein Pilot, Abhinandan Varthaman, gefangengenommen. Die pakistanische Armee hat den Oberleutnant davor gerettet, von einem aufgebrachten Mob gelyncht zu werden. Wenige Tage später hat Pakistans Premierminister Imran Khan den indischen Offizier einfach so nach Hause zurückkehren lassen. Wegen der Demütigung behauptete die BJP-Regierung, bei der Schießerei am Himmel hätten die Pakistaner Kampfjets vom Typ F-16 aus den USA benutzt und dabei auch eine Maschine verloren. Mit der Behauptung wollte Neu-Delhi offenbar Islamabad gegenüber Washington in Mißkredit bringen. Bisher hat es jedoch keine Bestätigung für die Angabe der Inder gegeben. Die Pakistaner beteuern, keine F-16s eingesetzt zu haben, während Experten aus den USA bescheinigen, daß der Bestand der pakistanischen Luftwaffe an dieser Maschinensorte nach wie vor komplett ist.

Anfang März hat die pakistanische Polizei eine Reihe von Razzien gegen verschiedene dschihadistische Gruppen durchgeführt und mehrere Personen, darunter bekannte J-e-M-Mitglieder, festgenommen. Um die Wogen zu glätten und nicht von der in Paris ansässigen Financial Action Task Force (FATF) wegen Unterstützung des Terrorismus mit Wirtschaftssanktionen belegt zu werden, will Islamabad sämtlichen Gruppen wie J-e-M und Laschkar-e-Taiba, welche das pakistanische Militär vor Jahrzehnten zwecks Stellvertreterkrieg in Kaschmir gefördert hat, das Handwerk legen. Dies gab am 9. April Premierminister Khan bei einer Gesprächsrunde in seinem Amtssitz mit Vertretern der pakistanischen und der internationalen Presse bekannt.

Die längst fällige Maßnahme der Pakistaner dürfte keinen nennenswerten Beitrag zur Lösung des Kaschmir-Konflikts leisten. Dort hat die harte Hand, mit der Neu-Delhi seit dem Amtsantritt Modis als Premierminister 2014 die Region verwaltet, die Krise um ein Vielfaches verschärft. Die 14 Millionen, mehrheitlich muslimischen Kaschmiris, von denen der eine Teil den Anschluß an Pakistan, der andere die Unabhängigkeit der Region will, leiden unter der Militärbesatzung durch 700.000 indische Soldaten sehr. Proteste der Zivilbevölkerung werden seit Jahren von den indischen Soldaten brutal niederschlagen. 10.000 Menschen sind durch Gummigeschosse verletzt worden, mehr als 1000 von ihnen haben wegen Schüssen zum Kopf das Augenlicht für immer verloren.

Statt mit Pakistan eine gemeinsame Friedenslösung für Kaschmir zu suchen, will Modi den Repressionskurs verstärken. Am 8. April hat die BJP-Regierung angekündigt, bei der nächsten Legislaturperiode den bisher autonomen Status Kaschmirs aufheben zu wollen. Unter dem Vorwand des Ausbaus der Infrastruktur will Neu-Delhi den Kauf kaschmirischen Bodens durch Menschen aus anderen Teilen Indiens erstmals gestatten. Ähnlich wie sich Israel durch den ständigen Ausbau jüdischer Siedlungen in Westjordanland des palästinensischen "Problems" demographisch entledigt, wollen sich die Hindunationalisten offenbar Kaschmir einverleiben. Unter Modi florieren bereits die indisch-israelischen Beziehungen. Der Kampf gegen den "islamischen Terrorismus" eint die Machthaber in Tel Aviv und Neu-Delhi. In den letzten Jahren ist Indien zum wichtigsten Kunden der israelischen Rüstungsindustrie aufgestiegen. Man kann davon ausgehen, daß das perfide Bevölkerungsaustauschprojekt an den südlichen Ausläufern des Himalaya nicht weniger blutig und grausam ablaufen wird als jenes, das seit Jahrzehnten Palästina erschüttert.

10. April 2019


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