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ASIEN/900: Pakistan - Störenfried USA ... (SB)


Pakistan - Störenfried USA ...


1992 führte Imran Khan als Kapitän Pakistan bei der Cricket-Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland zum Sieg. Im Endspiel in Melbourne gegen England erzielte Khan von allen pakistanischen Batsmen die meisten Runs und nahm als Bowler das letzte gegnerische Wicket zum Sieg. Diese nicht zu überbietende sportliche Leistung machte Khan in Pakistan zum unsterblichen Massenidol. 1996 gründete der wohlhabende Playboy, der als Jugendlicher eine Elitebildung in Großbritannien genossen hatte, aus Verärgerung über das marode Gesundheits- und Schulsystem in seinem Heimatland die pakistanische Justizpartei (Pakistan Tehreek-e-Insaf - PTI). Damals wurde Khan vom politischen Establishment belächelt. Bei den Wahlen 1997 gewann die PTI mit 0,8 Prozent der Wählerstimmen ein Mandat. Heute sehen die Dinge ganz anders aus. Bei den Wahlen am 25. Juli wurde die PTI im Bundesparlament zu Islamabad mit Abstand stärkste Fraktion. Mit Hilfe einiger kleinerer Parteien wird Khan in den kommenden Tagen zum Premierminister ernannt werden.

Khan hat vom Überdruß der pakistanischen Wählern mit den ewigen Klüngeleien und Streitereien zwischen der Pakistanischen Moslemliga PML-N um Nawaz Sharif und seinem Klan auf der einen Seite und der von der Familie Bhutto dominierten, linkssäkularen Pakistan Peoples Party (PPP) auf der anderen profitiert. Mit Unterbrechung durch die Diktatur von General Pervez Musharraf (1999-2008) haben seit den neunziger Jahren die Sharifs und die Bhuttos einander beharkt, beschimpft, diverse Korruptionsskandale geliefert und mehr oder weniger die pakistanische Wählerschaft an der Nase herumgeführt. Praktisch seit dem Ende des Kalten Kriegs herrschte im Pakistan ein politisches Duopol, das einzig die Militärführung in Rawalpindi in die Schranken zu weisen wußte.

So ist es letztlich auch beim Wahlsieg von Imran Khan gewesen. Ohne die inoffizielle Hilfe des Sicherheitsapparats - Einschränkung der Berichterstattung, Verhaftung von Kandidaten der gegnerischen Parteien einschließlich von Ex-Premierminister Nawaz Sharif wegen Verstrickung in eine Geldwäscheaffäre zwecks Kaufs wertvoller Immobilien in London für sich und seine Sippe - wäre die PTI vermutlich nicht stärkste Kraft geworden. Die Zahlen belegen die gewaltige Machtverschiebung im 342sitzigen Parlament in Islamabad. Während die PTI die Zahl ihrer Sitze von zuletzt 35 auf 123 erhöhen konnte, verlor die PML-N, angeführt von Nawaz-Bruder Shehbaz Sharif 103 und landete bei 82 Mandaten. Die PPP unter der Leitung des sehr jungen und politisch unerfahrenen Bilawal Bhutto Zardari, des Sohns der 2007 ermordeten Benazir Bhutto und des späteren Staatspräsidenten Ali Asif Zardari, konnte ihren historisch niedrigen Sitzanteil von zuletzt 42 lediglich um weitere 11 erhöhen.

Seit 1996 hat sich Khan also als erbitterter Kritiker der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Pakistan hervorgetan. Einer seiner Hauptkritikpunkte ist stets der Krieg der USA in Afghanistan gewesen, der seit 2001 katastrophale Folgen für Pakistan gehabt hat - nicht zuletzt durch die Radikalisierung der paschtunischen Bevölkerung im pakistanischen Grenzgebiet. Dort sind im Rahmen der "Terrorbekämpfung" Zehntausende Menschen ums Leben gekommen und ganze Landstriche verwüstet worden. 2011 tat sich Khan, der selbst Paschtune ist, mit einem Marsch von Islamabad in die grenznahe Stadt Peshawar an der Spitze jener Bewegung hervor, die ein Ende der völkerrechtlich illegalen Drohnenangriffe der CIA gegen mutmaßliche Mitglieder der afghanischen und pakistanischen Taliban forderte. In den letzten Jahren hat sich Khan mit den fundamentalistischen Islamkräften in Pakistan arrangiert, um deren potentielle Wähler an sich zu binden. Die Taktik scheint funktioniert zu haben. Bei der Wahl haben die Parteien aus jenem Spektrum keinen nennenswerten Erfolg zeitigen können.

Als neuer Regierungschef dürfte es Khan schwer haben, seine Vision eines "islamischen Sozialstaats" zu realisieren. Unklar ist zum Beispiel, woher die fünf Millionen Wohnungen und zehn Millionen Arbeitsplätze kommen sollen, die er im Wahlkampf versprochen hat. Ähnlich sieht es bei den 25 Millionen Kindern aus, die derzeit in Pakistan nicht zur Schule gehen und denen Khan eine Bildung verschaffen will. Aktuell steckt Pakistan in einer schweren Finanzkrise. Um einen Staatsbankrott zu vermeiden, wird sich Islamabad - gerade zwei Jahre nach dem letzten Rettungspaket - demnächst wohl wieder an den internationalen Währungsfonds (IWF) um einen Notkredit in Höhe von rund 12 Milliarden Dollar wenden. Sollte der Kredit gewährt werden, dürfte er an diverse Bedingungen geknüpft werden - Subventionsabbau, Privatisierung von Staatseigentum -, die das Leben der einfachen Pakistaner nicht gerade leichter machen.

Doch es steht nicht fest, daß Islamabad vom IWF das Hilfsgeld bekommt. Die USA unter der Leitung von US-Präsident Donald Trump drohen, dagegen ein Veto einzulegen. Washington steht mit Islamabad quasi auf Kriegsfuß, seit sich die Führung dort 2015 zur Beteiligung an dem Mammutprojekt China Pakistan Economic Corridor (CPEC) entschieden hat. Für mehr als 50 Milliarden Dollar wollen die Chinesen Pakistan an ihre neue Seidenstraße anbinden, Öl- und Gaspipelines vom indischen Ozean über die Ausläufer des Himalaya in den Westen der Volksrepublik verlegen, das Straßen- und Schienennetz ausbauen sowie zahlreiche Sonderwirtschaftszonen einrichten. In den letzten Monaten hat die US-Regierung deshalb nicht nur früher versprochene Hilfsgelder für Pakistan gestrichen, sondern auch noch die Beteiligung pakistanischer Nachwuchsfoffiziere am Ausbildungsprogramm des Pentagons beendet.

Auf diesen drastischen Schritt, zu dem es nicht einmal kam, als Pakistan 1998 seine ersten Atomtests durchführte oder als "Terrrorchef" Osama Bin Laden in seinem Versteck im pakistanischen Abbottabad aufgespürt und von U. S. Navy Seals hingerichtet wurde, folgte eine ebenso drastische Antwort. Künftig wird der Nachwuchs des pakistanischen Militärs in Rußland ausgebildet. Am 8. August haben die Stellvertretenden Verteidigungsminister beider Länder beim Treffen in Rawalpindi ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet. Dadurch scheint die bisherige Militärallianz zwischen den USA und Pakistan am Ende zu sein. Pakistan verläßt sich künftig auf die Unterstützung Chinas und Rußlands. Bereits 2017 war Pakistan zusammen mit Indien - das sich seit Jahren auf Annäherungskurs gegenüber den USA befindet - Vollmitglied der 2001 von Moskau und Peking ins Leben gerufenen Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) geworden.

In seiner Siegesrede am Wahlabend hat sich Imran Khan zum Ziel einer Beilegung der Spannungen mit Indien bekannt. Unternehme der indische Premierminister Narendra Modi einen Schritt für den Frieden, werde er zwei zurücklegen, so Khan. Bekanntlich streiten sich Indien und Pakistan seit ihrer Gründung 1948 über die Hoheit in der mehrheitlich von Muslimen bewohnten Region Kaschmir. Dort regieren die Inder mit harter Hand, während das pakistanische Militär muslimische Separatisten finanziell und waffentechnisch unterstützt. Entlang der Line of Control (LoC), der inoffiziellen Grenze in Kaschmir, kommt es seit Jahren regelmäßig zu Artillerieduellen zwischen den indischen und pakistanischen Armeen. Für Khan dürfte eine Verständigung mit dem Hindunationalisten Modi nicht einfach sein, zumal wenn dieser zusätzliche Rückendeckung von Trump erfährt.

Von den USA hängen auch die Chancen der von Khan erwünschten Beendigung des Kriegs in Afghanistan ab. Aktuell führen die Trump-Regierung und die Taliban inoffizielle Vorgespräche, doch weiß niemand, ob am Ende etwas Brauchbares dabei herauskommen wird. Auch wenn Trump den Krisenherd Afghanistan gern los wäre, bietet das Land in unmittelbarer Nachbarschaft Rußlands, Chinas und des Irans Einflußmöglichkeiten in Zentralasien, auf die das Pentagon bislang offenbar nicht verzichten will. So dürften die ehrgeizigen Reformpläne Khans samt des Entkommens Pakistans aus dem Status des Krisenstaats schließlich den geostrategischen überlegungen Washingtons zum Opfer fallen.

14. August 2018


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