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ASIEN/876: Nordkorea und die USA stehen am Rande eines Atomkriegs (SB)


Nordkorea und die USA stehen am Rande eines Atomkriegs

In Ostasien spielt Donald Trump wirklich mit dem Feuer


In der Koreakrise läuft alles scheinbar unaufhaltsam in Richtung Krieg. An einer diplomatischen Lösung zeigt US-Präsident Donald Trump keinerlei Interesse. Der Republikaner hat bei seinem ersten Auftritt vor der UN-Generalversammlung am 19. September ein ungeheures Kriegsverbrechen begangen, als er 25 Millionen Nordkoreanern mit der "völligen Vernichtung" drohte. Als am 30. September sein eigener Außenminister Rex Tillerson nach Gesprächen mit der chinesischen Regierungsspitze in Peking die Wogen zu glätten versuchte und die Öffentlichkeit über laufende Back-Channel-Gespräche zwischen Washington und Pjöngjang informierte, fiel ihm Trump in den Rücken. Aus seinem Golfhotel in New Jersey heraus twitterte der New Yorker Baumagnat, Amerikas Chefdiplomat solle seine "Energien sparen", Verhandlungen seien zwecklos. Am 5. Oktober erklärte Trump vor Journalisten im Weißen Haus, 25 Jahre diplomatischer Bemühungen hätten das nordkoreanische Atomwaffen- und Raketenprogramm nicht zum Erliegen gebracht; doch er, der neue Oberkommandierende der US-Streitkräfte, wisse, was "funktionieren" werde, und die Welt werde es "bald erfahren".

Entsprechend dem Willen seines Vorgesetzten arbeitet das Pentagon mit Hochdruck daran, Trump in der Koreakrise mit einer breiten Palette angeblich effektiver Handlungsoptionen auszustatten. Grundlage der Vorbereitungen des Pentagons für einen Krieg gegen Nordkorea ist das Dokument OPLAN 5015, auf das sich im November 2015 noch unter der Ägide der Administration Barack Obamas die Verteidigungsministerien der USA und Südkoreas verständigt haben. (Im Kriegsfall übernimmt der Oberbefehlshaber der 38.500 US-Soldaten auf der koreanischen Halbinsel auch das Kommando über die Armee, Marine und Luftwaffe Südkoreas). Oberstes Ziel von OPLAN 5015 ist die erfolgreiche Durchführung eines Enthauptungsschlags gegen Nordkoreas Staatsführung sowie die rasche Vernichtung von Pjöngjangs Atomwaffenarsenal samt der dazugehörigen Trägerraketen.

Dies erklärt, warum die Nordkoreaner so allergisch auf die häufigen Militärmanöver reagieren, welche die Streitkräfte der USA und Südkoreas auf bzw. vor der koreanischen Halbinsel durchführen. In Pjöngjang kann man niemals wissen, ob nicht von einem Moment zum anderen aus einem der üblichen Kriegsspiele der Ernstfall wird. Darum fordern China und Rußland seit einiger Zeit die Einstellung solcher Manöver bei gleichzeitiger Beendigung aller nordkoreanischen Atom- und Raketentests. Den sogenannten "Freeze-for-Freeze"-Vorschlag lehnt Washington jedoch stets ab, weil die Amerikaner darin eine nicht hinnehmbare Aufwertung bzw. Gleichstellung des kommunistischen "Regimes" in Pjöngjang sehen. Als Trump in der Nacht vom 11. auf den 12. Oktober den Flug zweier strategischer Tarnkappenbomber vom Typ B-1B über die koreanische Halbinsel durchführen ließ, war dies sowohl Provokation als auch offene Kriegsdrohung.

John Dean, ehemaliger Rechtsberater von Richard Nixon und einst Schlüsselfigur im Watergate-Skandal, der sich seitdem als Publizist und Bürgerrechtler betätigt, warf Trump per Twitter vor, die Nordkoreaner mit der Absicht zu reizen, daß sie den ersten Schuß eines Krieges abgeben, der "Millionen" von Menschen das Leben kosten würde. Die Einschätzung Deans deckt sich mit allen Prognosen der Militärexperten. Die Autoren einer Studie der Stanford University, auf die Nicholas Kristof am 13. Oktober in der New York Times verwies, gehen zum Beispiel davon aus, daß allein der erste Tag eines Kriegs zwischen den USA und Nordkorea eine Million Todesopfer - fast alle von ihnen nord- und südkoreanische Zivilisten - fordern könnte.

Ein wesentlicher Bestandteil von OPLAN 5015 ist auch die Annahme, daß sich der Konflikt zwischen Nordkorea und den USA nicht auf die koreanische Halbinsel beschränken ließe, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach in einen Regional- bzw. Weltkrieg unter Beteiligung Chinas und Rußlands ausarten würde. Anders sind die Äußerungen, die der damalige und heutige US-Generalstabschef Joseph Dunford kurz nach der Verabschiedung von OPLAN 5015 beim Auftritt am Next Defense Forum des Center for a New American Security (CNAP) im Brookings Institute, der Denkfabrik der Demokraten in Washington, gemacht hat, nicht zu deuten. Dunford zufolge würde sich der nächste Koreakrieg mit Raketen- und Hackerangriffen - eventuell auch auf das globale Satellitennetzwerk des Pentagons - als "transregional, multifunktional und waffengattungsübergreifend" erweisen.

Gerade in den letzten zwei bis drei Wochen haben nacheinander mehrere führende US-Militärs mittels bluttriefender Formulierungen den zu entrichtenden Preis eines Konflikts auf der koreanischen Halbinsel als sehr hoch eingestuft, um somit die eigenen Untergebenen sowie die amerikanische Öffentlichkeit auf den drohenden Massenmord psychologisch vorzubereiten. An der Spitze der Propagandakampagne stehen Verteidigungsminister James Mattis, der sich in den Nullerjahren im Irak als General der Marineinfanterie durch Rücksichtslosigkeit im Umgang mit dem Feind den Spitznamen "Mad Dog" erworben hat, Armeechef General Mark Miley und General Robert Abrams vom US-Armeekommando.

Seit dem 16. Oktober führen die Streitkräfte der USA, Südkoreas, Japans, Großbritanniens und Australiens ein zehntägiges Großmanöver rund um die koreanische Halbinsel durch. An dem Kriegsspiel nehmen der Flugzeugträger USS Ronald Reagan samt Flottenverband sowie die atombetriebenen U-Boote USS Michigan und USS Tucson teil. Berichten der südkoreanischen Presse zufolge befindet sich an Bord der Michigan eine Einheit von Spezialstreitkräften, die für die Anlandung an der nordkoreanischen Küste und die Durchführung eines Enthauptungsschlags gegen den Führungszirkel um Kim Jong-un ausgebildet ist. Gleichzeitig hat das US-Militär in Südkorea mit der Übung der Evakuierung seiner Familienangehörigen sowie aller amerikanischer Bürger begonnen. Am 15. Oktober erklärte US-Außenminister Tillerson in der sonntäglichen CNN-Fernsehpolitrunde "State of the Union", die diplomatischen Bemühungen, den erneuten Ausbruch des Koreakriegs, der sich seit 1953 formell im Waffenstillstand befindet, zu verhindern, würden "bis die erste Bombe fällt" weitergehen. Eine beruhigende Botschaft klänge anders.

19. Oktober 2017


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