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ASIEN/784: Indien testet atomwaffenfähige Kurzstreckenrakete (SB)


Indien testet atomwaffenfähige Kurzstreckenrakete

Keine Kritik des Westens am Kriegsgebaren Neu-Delhis



Der erfolgreiche Test einer dreistufigen Unha-3-Raketen, mit der die Nordkoreaner am 12. Dezember erstmals einen eigenen Satelliten in eine erdnahe Umlaufbahn haben bringen können, hat eine unüberhörbare Protestwelle der westlichen Diplomatie ausgelöst. Die Außenminister der USA und deren Verbündete in Ostasien - Japan und Südkorea - sowie bei der NATO - Deutschland, Frankreich und Großbritannien - haben den nordkoreanischen Raketenstart aufs Schärfste verurteilt und die Regierung in Pjöngjang bezichtigt, Frieden und Stabilität in der Welt zu gefährden. Auf Betreiben Washingtons kam es sogar am selben Abend zu einer eilig einberufenen Krisensitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in New York, die nur deshalb ohne die Verhängung weiterer Sanktionen gegen Nordkorea zu Ende ging, weil sich die Veto-Mächte China und Rußland dagegen gesperrt haben.

Der schulmeisterlich-arrogante Umgang der von Hillary Clinton angeführten, selbsterklärten "internationalen Gemeinschaft" mit Nordkorea steht im krassen Widerspruch zu der völligen Stille, mit der die USA und Konsorten auf den Test einer indischen Kurzstreckenrakete vom Typ Agni-I, der am selben Tag wie der nordkoreanische stattfand, reagierten. Die Heuchelei des Westens wurde nur noch von den Indern selbst übertroffen. Die Regierung in Neu-Delhi, die nur wenige Stunden zuvor den Flug der nordkoreanischen Unha-3 als "ungerechtfertigt" und eine Bedrohung der Stabilität im asiatisch-pazifischen Raum kritisiert hatte, ließ sich nach dem gelungenen Test der Agni-1 von den eigenen Medien regelrecht feiern. "Agni-1 erfolgreich getestet" lautete zum Beispiel die Überschrift in "The Hindu", der englischsprachigen Zeitung mit der drittstärksten Auflage des Landes nach der Times of India und der Hindustan Times. Demnach startete die einstufige Feststoffrakete, deren Reichweite 700 Kilometer beträgt, von einer mobilen Abschußrampe am Testgelände der indischen Streitkräfte auf Wheeler Island, die vor der Küste des Bundesstaates Odisha liegt. Nach kurzem Flug schlug die 15 Meter lange und 12 Tonnen schwere Agni-I in das vorher designierte Zielgebiet in der Bucht von Bengalen ein.

Die Reaktionen von Politik und Medien des Westens auf die erfolgreichen Tests der zivilen Langstreckenrakete Unha-3 und der Agni-1 - letztere kann mit einem Atomsprengkopf von einer Tonne Gewicht bestückt werden - konnten unterschiedlicher nicht sein und deuten auf die Existenz einer diplomatischen Zweiklassengesellschaft hin, die den Gründungsprinzipien der Vereinten Nationen diametral widersprechen. Die Regierung in Pjöngjang strebt seit Jahren eine förmliche Beendigung des Koreakrieges und eine Normalisierung der Beziehungen zu den USA an. Die kommunistische Volksrepublik wird jedoch von Washington stets als Paria-Staat behandelt und mit allerlei Sanktionen und Provokationen drangsaliert. Man hat den Eindruck, daß die Amerikaner auf diese Weise in Pjöngjang einen "Regimewechsel" erzwingen wollen. Fest steht jedenfalls, daß sich das Pentagon keine Sorgen um die Begründung für die US-Militärpräsenz auf der koreanischen Halbinsel machen muß, solange der Waffenstillstand am 38. Breitengrad anhält.

Indien dagegen wird von den USA hofiert, um es in die Containment-Strategie Washingtons gegenüber der Volksrepublik China zu integrieren. 2006 haben der damalige US-Präsident George W. Bush und der indische Premierminister Manmohan Singh eine weitgehende strategische Partnerschaft ihrer Länder vereinbart. Daraufhin haben die USA unter dem Einsatz massiven Drucks durchgesetzt, daß die üblichen Regeln des Atomwaffensperrvertrages für Indien außer Kraft gesetzt wurden. Weil Neu-Delhi das Nicht-Verbreitungsabkommen nicht unterzeichnet hat und einen Beitritt nach wie vor ablehnt, haben die Amerikaner eine Sonderregelung durchgesetzt, die es ihnen und ihren Verbündeten, wie zum Beispiel dem Uranexportland Australien, erlaubt, nuklearen Technologiehandel mit Indien zu betreiben.

Seit Jahrzehnten leistet sich Indien mit dem Nachbarland Pakistan eine Feindschaft, die bereits drei Kriege zur Folge hatte und in sich die Gefahr eines Atomwaffenabtausches birgt, der der ganzen Welt einen nuklearen Winter bescheren würde. Die USA, die ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten Pakistans auf deren Kosten Indien aufwerteten, sind es nun, die meinen, über Nordkorea richten zu können. Immerhin ist Nordkorea 2003 unter Verweis auf die Gefährdung seiner nationalen Sicherheit durch die Drohgebärden der Regierung von Bush jun. ordnungsgemäß vom Atomwaffensperrvertrag zurückgetreten. Als Washington 2006 die sogenannten 1-2-3-Abkommen mit Neu-Delhi einfädelte, hat es die US-Regierung dagegen nicht einmal für nötig befunden, darauf zu insistieren, daß die Inspekteure der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) Zugang zu den indischen Nuklearwaffenanlagen erhielten.

14. Dezember 2012