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ASIEN/772: Afghanistan wird Nicht-NATO-Verbündeter der USA (SB)


Afghanistan wird Nicht-NATO-Verbündeter der USA

Kampf um die Reichtümer Zentralasiens geht in die nächste Runde



Derzeit laufen die Bemühungen der Regierung von Präsident Barack Obama um eine Deeskalation, gar eine Beendigung der militärischen Auseinandersetzungen in Afghanistan zwischen den Streitkräften der USA und ihren NATO-Verbündeten auf der einen Seite, den Taliban, dem Hakkani-Netzwerk, dem Hisb-i-Islami Gulbuddin Hekmatyars und anderen aufständischen Gruppen auf der anderen auf Hochtouren. Bis 2014 wollen die NATO-Staaten den größten Teil ihrer Streitkräfte aus Afghanistan abgezogen haben. Es steht der nordatlantischen Allianz das schwierigste aller Militärmanöver - der geordnete Rückzug - bevor. Nicht umsonst hat Hillary Clinton sich am 3. Juli, wenn auch nur halbherzig, im Namen Washingtons für den US-Luftangriff, der am 26. November 2011 24 pakistanischen Grenzsoldaten das Leben kostete, entschuldigt. Nach dem entsprechenden Telefongespräch zwischen Clinton und ihrer pakistanischen Amtskollegin Hina Rabbani Khar gab Islamabad die Grenze und den Landweg für den Transport von NATO-Nachschub von der Hafenstadt Karatschi nach Afghanistan - und damit auch gleichzeitig für die eventuelle Heimholung westlichen Kriegsgeräts in die entgegengesetzte Richtung - wieder frei.

Fast 11 Jahre nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September in den USA und der Liquidierung Osama Bin Ladens im pakistanischen Abbottabad im vergangenen Jahr läßt sich der Aufenthalt der NATO in Afghanistan nicht mehr mit der Jagd nach Al Kaida rechtfertigen. Als Barack Obama 2009 George W. Bush im Weißen Haus ersetzte und die Anzahl der amerikanischen Soldaten in Afghanistan von rund 40.000 auf mehr als 100.000 fast verdreifachte, tat er dies auf Drängen der eigenen Generäle, darunter auch des damaligen CENTCOM-Chefs und heutigen CIA-Direktors David Petraeus, die glaubten, mittels einer solch drastischen Aufstockung die Taliban in die Knie zwingen zu können. Doch der Wunsch ging nicht in Erfüllung. Petraeus, Stanley McChrystal und Konsorten, die damals meinten, das Rezept zur erfolgreichen Aufstandsbekämpfung erfunden zu haben, haben sich blamiert.

Bis heute haben sich die Taliban nicht, wie vom Pentagon beabsichtigt, "an den Verhandlungstisch bombardieren" lassen. Sie haben sich zwar zu dem von Präsident Hamid Karsai angeschobenen Versöhnungsprozeß mit der früheren Nordallianz bekannt und von Al Kaida losgesagt, beharren jedoch auf den Abzug sämtlicher ausländischer Streitkräfte aus Afghanistan als Bedingung für eine Niederlegung ihrer Waffen. Dazu sind die USA nicht bereit und haben durch den Abschluß eines strategischen Abkommens mit der Regierung in Kabul im Mai die Stationierung mehrerer Tausend eigener Soldaten in Afghanistan auf Jahre hinaus gesichert. Die bis zu 20.000 US-Militärs sollen von vier bis fünf größeren Stützpunkten aus künftig die afghanischen Streitkräfte ausbilden, deren amerikanische Waffensysteme warten, den afghanischen Luftraum sichern und im Einzelfall "Antiterrorkampf" betreiben.

Um ihre langfristigen Pläne zu unterstreichen, haben am 7. Juli die USA Afghanistan den Status eines Nicht-NATO-Verbündeten verliehen. Zu diesem Zweck machte Clinton, die eigentlich auf dem Weg zur internationalen Geberkonferenz für Afghanistan in Tokio war, extra einen Abstecher nach Kabul. "Zwischen dem Rosenbeet und unter den großen Bäumen des Anwesens des Präsidentenpalasts" - wie es am nächsten Tag so schön blumig im Propagandablatt New York Times hieß, erklärte die ehemalige Senatorin aus New York voller falscher Pathos Karsai und den versammelten afghanischen Honoratioren: "Sie sollten wissen, daß die Vereinigten Staaten auch weiterhin ihr Freund sein werden. Wir denken nicht im Traum daran, Afghanistan in Stich zu lassen. Ganz im Gegenteil. Wir bauen mit Afghanistan eine Partnerschaft auf, die bis in die ferne Zukunft dauern wird."

Die Formulierung Clintons spielt auf die ahistorische, unter anderem vom Hollywood-Schinken "Charlie Wilsons Krieg" verbreitete These an, wonach die USA Afghanistan nach dem Rückzug der Sowjets im Jahr 1989 "in Stich" und das Land zur Brutstätte des "internationalen Terrorismus" verkommen gelassen hätten. Ganz im Gegensatz zum populären Geschichtsmärchen hat Washington in den neunziger Jahren durch die Unterstützung der militanten Gegner des damaligen Präsidenten Afghanistans, Mohammad Nadschibullah, wesentlich zur Entfesselung des afghanischen Bürgerkrieges und damit zum späteren Aufstieg der Taliban beigetragen.

Damals wie heute ging es den USA um die Kontrolle über Afghanistan, um die Ressourcen Zentralasiens ausbeuten und von dem strategisch gelegenen Land Einfluß auf Rußland, China, den Iran, Pakistan und Indien nehmen zu können. Dies erklärt zum Beispiel, warum man gerade in den Tagen vor der Erhebung Afghanistans in den Stand eines wichtigen Nicht-NATO-Verbündeten der USA in der internationalen Presse einerseits Berichte über Annäherungsgespräche zwischen den Vertretern der Taliban und der Obama-Regierung, andererseits über die erstmalige Teilnahme des amerikanischen Energiekonzerns Exxon Mobil an der Preisausschreibung zur Vergabe eines Abkommens über die Erschließung eines größeren Ölfelds im afghanischen Norden liest.

Ohne eine Beendigung des Kriegszustands lassen sich nennenswerte wirtschaftliche Aktivitäten in Afghanistan nicht entfalten, geschweige denn die Ausbeutung der 2010 von der pentagoneigenen Task Force for Business and Stability Operations mit einem Wert von einer Billion Dollar angegebenen Bodenschätze verwirklichen. Folglich ist die momentane Situation in Afghanistan für die USA untragbar, sollen doch die Einnahmen aus dem Bergbau und der Energiegewinnung bzw. der versteuerte Teil davon, über den Umweg des Finanzministeriums in Kabul wieder in die Unterhaltung der neuen afghanischen Armee und Polizei fließen und somit die Kosten Washingtons langfristig senken. Deswegen drängen die USA weiterhin auf die Verwirklichung der TAPI-Pipeline, die Öl aus der Region rund um das kaspische Meer über Turkmenistan und Afghanistan nach Pakistan und Indien bringen soll. Die Sicherheit dieses Mammutvorhabens, um dessen Verwirklichung Washington sich seit Ende der neunziger Jahre bekanntlich bemüht, dürfte bei den Verhandlungen eine Rolle spielen, welche die USA mit Hilfe Karsais und der Regierung Katars mit den Taliban derzeit anzubahnen versuchen.

Wie Kathy Gannon am 29. Juni für die Nachrichtenagentur Associated Press berichtete, stellt Washington derzeit als Zeichen des guten Willens in Aussicht, mehrere in Guantánamo Bay inhaftierte Taliban-Kämpfer in das Gefängnis auf dem Militärstützpunkt Bagram bei Kabul, für das im September die afghanischen Behörden die Verantwortung übernehmen, zu verlegen. Bereits letztes Jahr hatte die demokratische Obama-Regierung ein ähnliches Angebot gemacht, konnte es jedoch aus Angst vor Kritik seitens der Republikaner im Washingtoner Kongreß nicht verwirklichen. Doch selbst wenn demnächst die Gesandten Obamas und Mullah Mohammed Omars in Verhandlung treten sollten, sind die Chancen auf eine Einigung aufgrund der beiderseitigen großen Differenzen, wie beispielsweise die weitere Stationierung amerikanischer Soldaten im Land, schwindend gering.

Selbst im Falle einer baldigen Befriedung Afghanistans wachsen am Hindukusch für die Amerikaner ganz andere Herausforderungen heran. Wie man weiß, war die TAPI-Pipeline von Anfang an dazu gedacht, den Energiebedarf Pakistans und Indiens zu decken, um auf diese Weise Islamabad und Neu-Delhi von einer Beteiligung an der Errichtung einer Konkurrenzpipeline für Öl- und Gas aus dem Iran abzuhalten. Durch das umstrittene Atomabkommen, das die USA unter der Ägide von Bush jun. 2008 mit Indien abschloß, hat Washington Neu-Delhi mit der Aussicht auf zivile Kernkraftwerke aus amerikanischer Herstellung dazu gebracht, die IPI-Pipeline fallen zu lassen. Heute heißt sie deshalb nur noch IP-Pipeline. Wegen des enormen Mangels an Strom hat sich Pakistan bislang allen Aufforderungen der USA widersetzt, vom Energiegeschäft mit dem Iran, mit dem Washington ohnehin im "Atomstreit" liegt, die Finger zu lassen. Trotz des Ausstieges Indiens könnte Pakistan an der Pipeline auch noch Transitgebühren in Milliardenhöhe verdienen, denn China hat angeregt, die Energietrasse vom Persischen Golf über den Karakorum Highway mit dem Westen der Volksrepublik zu verbinden.

Während die Iraner die IP-Pipeline auf ihrem Territorium bereits bis an die Landesgrenze fertiggestellt haben, fehlt den Pakistanern das nötige Geld, um ihren Teil des Projektes zu verwirklichen. Doch nun bietet sich Moskau als Retter in der Not an. Wie der ehemalige indische Diplomat M. K. Bhadrakumar am 30. Juni bei der Asia Times Online berichtete, hat der Kreml der Regierung in Islamabad vorgeschlagen, die IP-Pipeline vom finanzkräftigen russischen Energiekonzern Gazprom fertigstellen zu lassen. Von der Paraphierung eines entsprechenden Memorandum of Understanding zwischen beiden Ländern während des Staatsbesuchs des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Pakistan im September ist bereits die Rede. Laut Bhadrakumar will Moskau mit Hilfe Islamabads sogar versuchen, den Einstieg Gazproms bei der TAPI-Pipeline durchzusetzen. Über diesen jüngsten diplomatisch-wirtschaftlichen Vorstoß vom Team Putin dürften die US-Politelite und ihre Freunde an der New Yorker Wall Street wenig begeistert sein.

10. Juli 2012