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ASIEN/762: Massaker-Überlebende belasten das US-Militär schwer (SB)


Massaker-Überlebende belasten das US-Militär schwer

Australierin besucht als erste Journalistin den Tatort in Kandahar



Langsam werden mehr Details des Massakers im Bezirk Pandschwai in der südafghanischen Provinz Kandahar, das in den frühen Morgenstunden des 11. März 17 Zivilisten, die meisten von ihnen Frauen und Kinder, das Leben gekostet hat, bekannt. Am 29. März berichtete die New York Times unter Verweis auf amerikanische und afghanische Regierungsvertreter, daß der angeklagte, derzeit in Fort Leavenworth, Kansas, in Gewahrsam befindliche US-Stabsfeldwebel Robert Bales nach den ersten Morden im Dorf Alkozai zu seinem Stützpunkt Camp Balambai zurückkehrte, wo er sich rund eine Stunde aufhielt, bevor er zum Dorf Nadschiban aufbrach, um sein Teufelswerk fortzusetzen. Inzwischen liegen die Aussagen der in jener Nacht in Camp Balambai wachhabenden afghanischen Soldaten vor, die Bales bei seiner ersten und zweiten Rückkehr begegnet sind.

Die afghanischen Kameraden wollen die ungewöhnlichen Bewegungen des 38jährigen Irakkriegsveteranen ihren US-Vorgesetzten auf dem kleinen Stützpunkt sofort gemeldet haben. Warum diese Bales erst festsetzten, nachdem er vom zweiten Dorf zurückkam, ist unklar. Das ungewöhnliche Verhalten aller Beteiligten spricht gegen die offizielle These des Pentagons, wonach Bales das Massaker allein durchgeführt hat, und für den Verdacht, daß es sich hier um eine gezielte Vergeltungsmaßnahme amerikanischer Soldaten gegen mutmaßliche Taliban-Sympathisanten handelte. Die Provinz Kandahar im allgemeinen und der Bezirk Pandschwai im besonderen gelten als Taliban-Gebiet. Wenige Tage vor dem Massaker wurden in der Nähe von Camp Balambai mehrere US-Soldaten durch die Explosion einer Straßenmine schwer verletzt. Ein Freund von Bales hat angeblich vor dessen Augen dabei einen Fuß verloren. Nachdem die Verwundeten abtransportiert worden waren, sollen mehrere US-Soldaten den Dorfbewohnern mit schwerster Vergeltung gedroht haben.

Demontiert wird die These vom Einzeltäter Bales zusätzlich von Yalda Hakim, die in den vergangen Tagen als erste westliche Journalistin mit Überlebenden und Angehörigen der Ermordeten hat sprechen können. Hakim, die vor Jahrzehnten als Kind mit ihrer Familie Afghanistan verlassen hat und nach Australien emigriert ist, hat zusammen mit dem Kameramann Ryan Sheridan im Auftrag des dortigen öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders SBS den Tatort besucht. Hakim hat auch mit den afghanischen Soldaten gesprochen, die in der fraglichen Nacht Wache hatten und Bales begegnet sind. Der aufschlußreiche Bericht "Anatomy of a Massacre" von Hakim und Ryan wurde im Rahmen der angesehenen SBS-Politsendung Dateline am 28. März ausgestrahlt. Man kann ihn nach wie vor auf der SBS-Website anschauen oder dort die Abschrift lesen.

Nach Angaben von Hakim berichten die Überlebenden des Massakers, mehr als einen US-Soldaten gesehen und in Aktion erlebt zu haben. Eine Frau namens Aminea, die sechs Kinder hat und deren Mann in der Nacht umgebracht wurde, erinnerte sich wie folgt: "Als sie meinen Mann erschossen, habe ich versucht ihn ins Haus zu schleppen. Sie hatten ihn in den Kopf geschossen, also fiel mir seine Gehirnmasse auf die Hände. Ich mußte sein Blut in einer Schüssel auffangen. Als ich aus dem Haus schaute, habe ich mehr als 20 Menschen gesehen. Die Amerikaner zeigten mit ihren Waffen auf mich und bedrohten mich. Sie sagten mir, ich sollte das Haus nicht verlassen, sonst würden sie mich umbringen."

Hakim sprach auch noch mit der achtjährigen Überlebenden Noorbinak, die folgendes erzählte: "Er hat geschossen. Er hat zuerst den Hund meines Vaters erschossen, dann meinen Vater in den Fuß geschossen und dann meine Mutter bei dem Haar gepackt und hinter sich hergeschleppt. Meine Mutter schrie, und er hielt ihr eine Waffe entgegen. Mein Vater sagte, 'Lassen Sie sie in Ruhe", woraufhin er ihn auf der Stelle erschoß. ... Einer kam in das Zimmer, während die anderen im Hof standen und Lampen hielten." Die Angaben Noorbinaks werden von Mullah Barraan, einem Angehörigen der Familie, gestützt: "Die Kinder meines Bruders sagen, daß sie, als die Amerikaner das Zimmer verließen, viele Amerikaner im Hof sahen, die Lampen auf ihren Helmen wie auch am Ende ihrer Gewehre hatten. Sie wissen nicht, ob es 15 oder 20 Männer oder wie viele es waren."

Für den brisanten SBS-Dateline-Bericht hat Hakim auch ein Interview mit dem afghanischen Chefermittler, General Sher Mohammad Karimi, geführt. Der Vertrauensmann von Präsident Hamid Karsai hält die Angaben der Menschen in den beiden betroffenen Dörfern offenbar für glaubwürdig. In der SBS-Sendung wurde General Karimi wie folgt zitiert: "Sie behaupten, daß es Stiefelabdrücke in der Gegend und an manchen Stellen sogar die Knieabdrücke von drei oder vier Personen gab. Sie behaupten zudem, daß die Operation von Hubschraubern unterstützt wurde. Natürlich habe ich ihnen gesagt, daß die Hubschrauber zum Einsatz kamen, als sie ihn [Bales - Anm. d. SB-Red.] suchten. Doch sie sagten, 'Nein, der Lärm der Hubschrauber herrschte schon von Beginn der Schießerei an'. Das bedeutet also, daß viele Amerikaner an der Aktion beteiligt waren beziehungsweise sie unterstützten und daß es kein Einzeltäter allein war. Das behaupten jedenfalls die Menschen vor Ort."

31. März 2012