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ASIEN/749: Clintons Polterdiplomatie läßt die Pakistaner kalt (SB)


Clintons Polterdiplomatie läßt die Pakistaner kalt

Washingtons Drohungen entpuppen sich als Inbegriff der Hilflosigkeit


In den letzten Wochen hat sich die diplomatische Krise zwischen den USA und Pakistan dramatisch zugespitzt. Wegen der angeblichen Hilfe des pakistanischen Geheimdienstes Inter-Services Intelligence Directorate (ISI) für die Taliban-Verbündeten vom Hakkani-Netzwerk wurde die Zahlung der Gelder, mit denen Washington seit 2002 den Einsatz des pakistanischen Militärs im "Antiterrorkrieg" an der Grenze zu Afghanistan alimentiert, ausgesetzt. Wegen der Spannungen zwischen beiden Seiten fiel Ende September das geplante Treffen von US-Präsident Barack Obama und dem pakistanischen Premierminister Yousuf Raza Gilani am Rande der UN-Generalversammlung in New York ins Wasser. Und in einem aufsehenerregenden Gastkommentar, der am 15. Oktober bei der New York Times erschienen ist, hat Bruce Riedel, einer der Architekten von Obamas "Af-Pak"-Strategie empfohlen, die USA sollten künftig Pakistan gegenüber "containment" ("Eindämmung") betreiben, was der Erklärung der Islamischen Republik vom verbündeten Staat zum Feindesland gleichkäme.

In Pakistan werden die USA für die Verschlechterung der bilateralen Beziehungen allgemein verantwortlich gemacht. Die Amerikaner erzielten mit ihrer Eskalationsstrategie gegen die Taliban in Afghanistan keinen militärischen Erfolg und versuchten Pakistan dafür den schwarzen Peter zuzuschieben, so die landläufige Meinung. Die Pakistaner ärgern sich zudem über die völkerrechtlich illegalen, per Drohne durchgeführten CIA-Raketenangriffe auf mutmaßliche Talibanziele im pakistanischen Grenzgebiet - eine Praxis, die vielen Zivilisten das Leben kostet. Darüber hinaus hat man in Pakistan das Gefühl, die Amerikaner würden den hohen Preis, den die Islamische Republik in den letzten zehn Jahren bei der Bekämpfung der Militanten unter den pakistanischen Taliban und der Unterstützung der NATO in Afghanistan bezahlen mußte, nicht anerkennen. Tatsächlich hat das pakistanische Militär in den letzten Jahren bei Offensiven in den Grenzgebieten Swat und Bajaur mehr Soldaten als die USA in Afghanistan verloren. Insgesamt haben die Überfälle und Bombenanschläge der Islamisten in Pakistan vielen Zivilisten das Leben gekostet, das Land destabilisiert und seine Wirtschaft schwer beschädigt.

Vor diesem Hintergrund sollten am 20. und 21. Oktober in Islamabad ranghohe Vertreter der Regierungen beider Staaten das weitere Vorgehen in Afghanistan, aus dem die NATO bis 2014 angeblich die meisten ihrer Soldaten abgezogen haben will, beratschlagen. Im Vorfeld der Gespräche war es zu einer Massierung der US-Streitkräfte in der ostafghanischen Provinz Khost gekommen. Die ungewöhnliche Truppenbewegung wurde in Pakistan als Androhung der Amerikaner empfunden, selbst in Nordwasiristan einzumarschieren und den Kampf gegen die Hakkanis und ihre Miliz aufzunehmen, sollten die pakistanischen Streitkräfte dem Drängen Washingtons nicht folgen. Möglicherweise war dies der Anlaß für den pakistanischen Generalstabschef Ashfaq Pervez Kayani, die Mitglieder beider verteidigungspolitischen Ausschüsse des Parlaments in Islamabad am 19. Oktober zu sich ins Hauptquartier in Rawalpindi einzuladen. Bei der dreistündigen Unterredung hat Kayani Klartext geredet. Mit Sicherheit waren seine Worte auch an die Adresse Washingtons gerichtet.

Nach Ansicht Kayanis, der unter anderem am Command and General Staff College in Fort Leavenworth in Kansas ausgebildet wurde und daher als prinzipiell pro-amerikanisch gilt, ist "Afghanistan und nicht Pakistan" das große Problem der NATO am Hindukusch. Er würde seine Soldaten "gleich morgen" nach Nordwasiristan entsenden, wenn ihm jemand plausibel machen könnte, daß dies eine positive Auswirkung auf die Aufstandsbekämpfung in Afghanistan hätte - was aber bisher niemand getan habe. Mehr Soldaten als bisher von der indischen an die afghanische Grenze zu verlegen, könne er wegen der sich nur langsam verbesserenden Beziehungen Pakistans und Indiens nicht, reklamierte er. Was die Finanzhilfe aus den USA betrifft, so erklärte Kayani, könne er gut darauf verzichten, denn sie würde nur einen Bruchteil der durch den "Antiterrorkrieg" für Rawalpindi entstandenen Zusatzkosten decken. Die Unterstellung, Pakistan wolle Afghanistan zum Vasallenstaat machen, tat er unter Verweis auf das Scheitern des British Empire und der Sowjetunion im Kampf gegen die paschtunischen Stammeskrieger als Hirngespinst ab. Eindringlich warnte er dabei die USA davor, irgendeinen militärischen Vorstoß auf pakistanisches Territorium zu wagen. Die Regierung in Washington sollte sich eine solche Operation "zehnmal" überlegen, denn Pakistan sei kein schwacher Staat wie der Irak oder Afghanistan, sondern eine hochgerüstete Atommacht.

Dessen ungeachtet hat US-Außenministerin Hillary Clinton am 20. Oktober in Kabul, nach einem Treffen mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai und kurz vor der Abreise zu den amerikanisch-pakistanischen Regierungskonsultationen in Islamabad, ihrerseits Drohungen von sich gegeben. Islamabad sollte wissen, daß Washington nicht länger dulden werde, daß Militante vom pakistanischen Territorium aus Angriffe auf die NATO-Truppen in Afghanistan unternehmen. Die "Zeit für Klarheit" sei gekommen; die Pakistaner müßten ansonsten bei einer fortgesetzten Duldung aufständischer Attacken im Grenzgebiet zu Afghanistan "einen sehr hohen Preis" bezahlen. Wie der Presse zu entnehmen war, hat die Vorausbotschaft der ehemaligen First Lady und Senatorin aus New York für eine gereizte Atmosphäre bei den Verhandlungen in Islamabad gesorgt, an denen auf pakistanischer Seite neben Kayani auch Präsident Ali Asif Zardari, Premierminister Gilani, Außenministerin Hina Rabbani Khar und ISI-Chef Ahmad Shuja Pasha und auf amerikanischer Seite CIA-Chef David Petraeus und Generalstabschef Martin Dempsey teilnahmen.

Nach mehreren Gesprächsrunden scheinen sich die dunklen Wolken etwas verzogen zu haben. Clinton hat öffentlich zugeben müssen, daß die USA bereits im August mit Vertretern des Hakkani-Netzwerkes erste Annäherungsgespräche geführt hatten und der Kontakt vom ISI vermittelt worden war. Beide Seiten erklärten ihre Bereitschaft, bei der Suche nach einer Beendigung der Kämpfe in Afghanistan einschließlich der Aufnahme formeller Friedensgespräche mit Vertretern der Taliban und des Hakkani-Netzwerkes zusammenzuarbeiten. Während die USA weiterhin versuchen, die Aufständischen in Afghanistan militärisch unter Druck zu setzen, soll Pakistan Taliban-Chef Mullah Omar, die Hakkani-Familie und Gulbuddin Hekmatjar für einen wie auch immer gearteten "Friedensprozeß" gewinnen. Wie das gehen soll, solange sich die USA nicht prinzipiell bereiterklären, alle Soldaten aus Afghanistan abzuziehen, weiß niemand. Jedenfalls hofft die Obama-Regierung, bis zur großen Afghanistan-Konferenz in Bonn Anfang Dezember irgendwelche Fortschritte im "Friedensprozeß" vorweisen zu können. Dazu soll Pakistan seinen Teil beitragen. Auf jeden Fall hat es die US-Chefdiplomatin mit ihren Drohungen gegenüber Pakistan etwas zu weit getrieben. Im Interview mit dem Fernsehsender Geo TV hat Afghanistans Präsident Karsai erklärt, im Falle eines Krieges zwischen den USA und Pakistan würde sich Afghanistan auf die Seite des benachbarten "Bruderlandes" stellen. In Washington soll man über die Parteinahme Kabuls für Islamabad nicht besonders glücklich gewesen sein.

24. Oktober 2011