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ASIEN/721: Pakistan läßt CIA-Killer Davis gegen Blutgeld laufen (SB)


Pakistan läßt CIA-Killer Davis gegen Blutgeld laufen

Davis-Affäre wirft negatives Licht auf Islamabad und Washington


Nicht gänzlich unerwartet haben am 16. März die pakistanischen Behörden den Amerikaner Raymond Davis, der am 27. Januar zwei junge Pakistaner, Faizan Haidar und Muhammed Fahim, an einer Straßenkreuzung mitten in der Großstadt Lahore erschossen hatte, laufen lassen. Die Verhaftung von Davis war zu einer schweren Belastung für die Beziehungen zwischen Islamabad und Washington geworden. Von Anfang an behauptete die US-Regierung, allen voran Präsident Barack Obama und Außenministerin Hillary Clinton, Davis genösse diplomatische Immunität und gehöre sofort freigelassen. Die Regierung Pakistans saß in der Klemme, einerseits weil der Fall bei der eigenen Bevölkerung für große Empörung sorgte, andererseits weil die Amerikaner bis zum Schluß keinen Beleg für ihre Behauptung, Davis sei Diplomat, vorweisen konnten. Inzwischen hat das ehemalige Mitglied der US-Spezialstreitkräfte Pakistan verlassen, nachdem sich die Angehörigen seiner Opfer bereiterklärten, sich von der Regierung in Washington finanziell entschädigen zu lassen. Der unrühmliche Ausgang des Tauziehens um Davis wird den Volkszorn in Pakistan anheizen und unweigerlich die religiöse Radikalisierung weiter antreiben.

Nachdem am 14. März die pakistanische Regierung den diplomatischen Status von Davis gerichtlich nicht bestätigen konnte, war am Vormittag des 16. März bei einer Anhörung des High Court der Provinz Punjab gegen den 36jährigen Amerikaner formell Anklage wegen Mordes in zwei Fällen erhoben worden. In der Vernehmung hatte Davis zugegeben, seine beiden Opfer erschossen zu haben, gleichzeitig behauptet, in Notwehr gehandelt zu haben, denn die zwei Männer hätten ihn überfallen wollen die Aussagen von Augenzeugen und das Ergebnis des Obduktionsberichts widersprachen dieser Version. Demnach hatte Davis zuerst auf die beiden Männer aus seinem Wagen heraus geschossen, war dann ausgestiegen und hatte sie regelrecht liquidiert, indem er sie in den Rücken schoß - dem einen beim Weglaufen, dem anderen, als er verletzt am Boden lag.

Was nach der Anklageerhebung passiert ist, ist umstritten. Aus Berichten auf den Websiten des pakistanischen Nachrichtensenders Geo TV, des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera und der pakistanischen Zeitung Dawn geht hervor, daß die Anwälte der Nebenkläger, das heißt der Familien der Getöteten, daraufhin von ihren Mandanten getrennt und vier Stunden lang in einem Raum in dem Gefängnis Kot Lakhpat, wo die Anhörung zum Zwecke der Sicherheit von Davis stattfand, eingesperrt wurden. Während dieser Zeit sollen die Angehörigen der Getöteten unter massivem Druck gesetzt und schließlich dazu gebracht worden sein, die Entschuldigung der US-Regierung einschließlich eines "Blutgelds" in Höhe von jeweils 700.000 Dollar anzunehmen. In den Genuß dieser Summe kommt auch die Familie des Fahrradfahrers Ibadur Rehman, der nach dem "Amoklauf" von Davis von einem Auto des US-Konsulats, deren Insassen offenbar den CIA-Schützen vor der Festnahme durch die Polizei vergeblich retten wollten, tödlich überfahren wurde. Nach dem Unfall hat sich der Fahrer, statt sich der Justiz zu stellen, ins Ausland abgesetzt.

Am Nachmittag gab Rana Sanaullah, Justizminister der Provinz Punjab, die gerichtliche Einigung nach Scharia-Gesetz - pakistanischer Auslegung - bekannt. Zu diesem Zeitpunkt saß Davis, der einige Stunden zuvor das Kot Lakhpat in Begleitung von echten US-Diplomaten verlassen hatte, bereits im Flugzeug. In seiner Erklärung behauptete Sanaullah, weder er noch irgendein anderes Mitglied der in Punjab regierenden Pakistanischen Moslemliga (PML-N) um Ex-Premierminister Nawaz Sharif hätte mit der Freilassung von Davis etwas zu tun gehabt. In einem Online-Bericht des Londoner Guardian vom selben Nachmittag berichtete dessen Korrespondent Declan Walsh aus Islamabad, Nawaz Sharifs Bruder, Shabbaz Sharif, der Ministerpräsident der Provinz Punjab ist, hätte bei den Verhandlungen - wenn man sie so überhaupt nennen darf - eine "heimliche Rolle" gespielt.

In Pakistan werden in den kommenden Stunden und Tagen die Folgen der Freilassung von Davis zu spüren sein. Die pakistanischen Taliban haben bekanntlich damit gedroht, jeden, der Davis zur Flucht verhilft, zu töten. Als erste Hinrichtungskandidaten auf der Liste von Hakimullah Mehsud und Konsorten dürften die Mitglieder der Opferfamilien stehen, obwohl man nicht einmal sicher sein kann, daß ihre Einwilligung in das schmutzige Geschäft nicht genauso eine Lüge ist wie Obamas und Clintons frühere Behauptung der Diplomatentätigkeit von Davis. Die Sharif-Brüder, die auf Bundesebene die Opposition anführen, auf der einen Seite und Premierminister Yousaf Gilani und Präsident Ali Asif Zardari von der Pakistan People's Party (PPP) auf der anderen werden mit Sicherheit versuchen, sich gegenseitig die Verantwortung für die ungeheure Demütigung zuzuschieben, welche die pakistanische Nation durch die Davis-Affäre erfahren hat.

Bei den meisten Pakistanern dürfte die Flucht von Davis zu Zorn und Haß auf die eigenen Politikerkaste führen, die sich erneut als willfährige Helfer Washingtons erwiesen haben. Es werden sich viele an Shumaila Kanwal, die achtzehnjährige Witwe von einem der Opfer Davis', Muhammed Fahim, erinnern, die sich am 6. Februar aus Protest gegen das sich schon damals abzeichnende Szenario, daß der CIA-Killer ungestraft davon kommen würde, tödlich vergiftet und noch am Sterbebett ein herzzerreißendes Fernsehinterview gegeben hat. Hinzu kommt die ungeheuere Frustration, daß man niemals erfahren wird, was Davis eigentlich in Pakistan trieb, wieso er so schwer bewaffnet war und warum die Polizei auf seiner Kamera Bilder von wichtigen Militärinstallation und Moscheen von Radikalislamisten und auf seinen verschiedenen Mobiltelefonen die Nummern von bekannten Mitgliedern der pakistanischen Taliban in Grenzgebiet zu Afghanistan und der "Terrorgruppe" Lashkar-e-Taiba (L-e-T) fand.

16. März 2011