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ASIEN/709: Kriegsängste nach Feuergefecht der beiden Koreas (SB)


Kriegsängste nach Feuergefecht der beiden Koreas

Obama betreibt Flugzeugträgerdiplomatie im Gelben Meer


Das Artillerieduell zwischen den nord- und südkoreanischen Streitkräften, das am Vormittag des 23. November (Ortszeit) ausbrach, hat Ängste vor einem Wiederaufflammen des Koreakrieges, der von 1950 bis 1953 Hunderttausenden von Menschen das Leben kostete und der lediglich in einen Waffenstillstand überging, ausgelöst. Die jüngsten Feuergefechte haben vier Südkoreanern - zwei Soldaten und zwei Bauarbeitern - das Leben gekostet. Als Zeichen der Solidarität mit den Freunden in Seoul hat die Regierung Barack Obamas den mit Atomwaffen bewaffneten Flugzeugträger USS George Washington samt Begleitflotte in das Gelbe Meer entsandt, wo er ab dem 29. November zusammen mit der südkoreanischen Marine an einem mehrtägigen Militärmanöver teilnehmen soll. Mit dieser Maßnahme trägt Washington nicht zum Abbau der Spannungen entlang der Demilitarisierten Zone (DMZ) am 38. Breitengrad, die nicht umsonst die gefährlichste Grenze der Welt heißt, bei. Schließlich waren es südkoreanische Kriegsspiele mit scharfer Munition, welche dem jüngsten Scharmützel vorausgingen.

In einem Großteil der westlichen Berichterstattung wird der Vorfall als willkürliche Provokation der Nordkoreaner dargestellt. Als Motiv soll der angebliche Wunsch des erkrankten, 68jährigen nordkoreanischen Staatschefs Kim Jong-il, die Machtübergabe an seinen 27jährigen Sohn Kim Jong-un zu sichern, herhalten. Eventuell soll die ganze sinnlose Kaffeesatzleserei hinsichtlich der undurchsichtigen Machtverhältnisse in Pjöngjang von der Tatsache ablenken, daß es die südkoreanischen Streitkräfte waren, die als erste in der Nähe der DMZ zu schießen anfingen.

Sie haben im Rahmen eines Militärmanövers auf der kleinen Insel Yeonpyeong, die dicht bei den Territorialgewässern Nordkoreas, rund 100 Kilometer nordwestlich von Seoul liegt und auf der rund 1600 Zivilisten und 1000 Soldaten leben, Artilleriebombardements mit scharfer Munition durchgeführt. Es folgten per Telefon offizielle Proteste der Nordkoreaner. Als jedoch die Einwände gegen das Artilleriefeuer ignoriert wurden, hat das nordkoreanische Militär vom Festland aus die Insel mit rund 175 Granaten beschossen. Die meisten trafen den südkoreanischen Militärstützpunkt auf Yeonpyeong, doch einige landeten in zivilen Wohngebieten, richteten dort schwere Schäden an und lösten eine Mini-Flüchtlingswelle aus. Mehrere Tausend Menschen wurden von Yeonpyeong und den benachbarten Inseln per Fähre auf das südkoreanische Festland evakuiert. Die Regierung in Seoul ließ die höchste militärische Alarmstufe auslösen und schickte Kampfjets vom Typ F-16 zwecks Machtdemonstration in das Krisengebiet.

Die Schießerei an der innerkoreanischen Grenze ist eine direkte Folge des Stillstands in den politischen Gesprächen zwischen Nord- und Südkorea sowie der Tatsache, daß die Sechsergepräche beider Staaten mit China, Japan, Rußland und den USA nicht mehr stattfinden. Für diesen Umstand ist die Regierung George W. Bushs verantwortlich, die im September 2005 eine Einigung über eine Beilegung des Streits um das nordkoreanische Atomprogramm durch die Verhängung drakonischer Wirtschaftssanktionen gegen die Banco Delta Asia im chinesischen Makau, über die damals Pjöngjang einen Großteil seines Handels mit der Außenwelt betrieb, torpedierte. Als Reaktion folgten die beiden nordkoreanischen Atomtests im Oktober 2006 und im Mai 2009.

Seit einiger Zeit sendet die Regierung in Pjöngjang Signale aus, daß sie zur Wiederaufnahme der Sechsergespräche bereit ist. Doch Südkoreas 2008 gewählter, konservativer Präsident Lee Myung-bak lehnt Gespräche mit Pjöngjang ab, solange sich die Verantwortlichen dort nicht zum Verzicht auf Atomwaffen bereit erklären. Das Thema des nordkoreanischen Atomprogramms hat vor wenigen Tagen wieder an Brisanz gewonnen. Bei einem Besuch Anfang November in Nordkorea wurde dem US-Atomphysiker Prof. Siegfried Hecker, der früher am Nationallabor Los Alamos arbeitete und heute an der Universität von Stanford in Kalifornien lehrt, eine nigelnagelneue Urananreicherungsanlage gezeigt, welche die Regierung in Pjöngjang auf dem Gelände des inzwischen stillgelegten Plutoniumreaktors Yongbyon hat errichten lassen. Die Nordkoreaner beteuern, lediglich schwach angereichertes Uran zum Betrieb eines im Bau befindlichen 30-Megawatt-Leichtwasserreaktors gewinnen zu wollen. Die Amerikaner dagegen unterstellen ihnen, es auf hochangereichertes Uran zum Bau von Atomsprengköpfen abgesehen zu haben, und verlangen von der Regierung der Volksrepublik China, daß sie die Machthaber in dem kommunistischen Nachbarland zur Räson bringen. Doch würde Washington endlich direkte Verhandlungen mit Pjöngjang aufnehmen, könnte es selbst dieses Ziel erreichen.

24. November 2010