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ASIEN/635: Taliban von Obamas Eskalationsstrategie unbeeindruckt (SB)


Taliban von Obamas Eskalationsstrategie unbeeindruckt

Amerikas Neocons haben ihren neuen Oberbefehlshaber endlich lieb


Die Ankündigung von US-Präsident Barack Obama, die Zahl der in Afghanistan stationierten Soldaten von derzeit rund 70.000 auf mehr als 100.000 zu erhöhen, hat unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Dies hängt mit der widersprüchlichen Zielsetzung der Af-Pak-Strategie des Nachfolgers von George W. Bush zusammen. Einerseits sollen die zusätzlichen Truppen helfen, den Vormarsch der Taliban im Süden Afghanistan, besonders in den Provinzen Helmand und Kandahar, zu stoppen. Andererseits soll bereits im Juli 2011 mit dem Abzug der amerikanischen Streitkräfte aus Afghanistan begonnen werden. Mit letzterem Detail versucht Obama diejenigen, die im letzten November bei der Präsidentenwahl für ihn gestimmt haben, weil sie sich von ihm ein rasches Ende der Kriege der USA im Ausland erhofften, zu besänftigen. Ob Obama dies - und damit auch die Wiederwahl 2012 - gelingt, muß sich noch zeigen.

Von der angekündigten Truppenaufstockung in Afghanistan sind jedenfalls die neokonservativen Kräfte in den USA begeistert, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem Sturz der Taliban Ende desselben Jahres Stimmung für einen Einmarsch in den Irak machten. Durch die Entscheidung Obamas halten sie ihren heiligen "Antiterrorkrieg" vorerst für gerettet. Völlig unbeeindruckt geben sich dagegen die Taliban. In einer trotzigen, selbstbewußten Reaktion auf Obamas Grundsatzrede vor der Militärakademie West Point richtete die Gruppe um Mullah Muhammed Omar an das Weiße Haus und das Pentagon praktisch die gleiche Botschaft, die Bush jun. im Sommer 2003 beim Ausbruch des irakischen Aufstands gegen die angloamerikanische Besatzung von sich gab: "Bring 'em on!" - "Laßt sie kommen!"

Wie zahlreiche Medienkommentatoren in den USA bemerkt haben, stützte sich Obama bei der Begründung der vermeintlich zwingenden Notwendigkeit einer Fortsetzung des Afghanistankrieges auf die alten Argumente Bushs: Der "gewaltätige Extremismus" von Taliban und Al Kaida müsse in dem afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet bekämpft und ausgerottet werden, sonst greife er auf alle mehrheitlich muslimischen Länder zwischen Hindukusch und Mittelmeer über und bedrohe "die gemeinsame Sicherheit der Welt"; bei der Jagd nach Osama Bin Laden und Kampfgefährten dürfe man nicht nachlassen, sonst hätten diese wieder Zeit und Muße, weitere gräßliche Großanschläge auf die USA auszuhecken.

Die Ähnlichkeiten in der Argumentation überrascht wenig, sollen es doch Robert Gates, den Obama von Bush als Verteidigungsminister übernommen hatte, und Außenministerin Hillary Clinton, die wie keine zweite die Kriegstreiberfraktion bei den Demokraten verkörpert, gewesen sein, die sich bei der großen Strategiediskussion der letzten Wochen erfolgreich für die ambitionierten Aufstandsbekämpfungspläne von General Stanley McChrystal eingesetzt und die Befürworter eines hauptsächlich durch CIA-Drohnenangriffe und Einsätze der Spezialstreitkräfte geführten Anti-Terror-Kampfes, allen voran den Vizepräsidenten Joseph Biden, in ihre Schranken verwiesen haben. Entsprechend selbstbewußt traten der frühere CIA-Chef und die ehemalige First Lady am 2. Dezember vor dem Kongreß auf, als sie, begleitet von Generalstabschef Admiral Michael Mullen, den Abgeordneten des Repräsentantenhauses und den Senatoren die Aufstockungspläne der Obama-Regierung erläuterten.

Am selben Tag erschien in der Washington Post ein Gastkommentar, in dem der führende neokonservative Publizist William Kristol, der in den letzten Wochen Obama wegen dessen angeblichen Zögerns in der Afghanistanfrage scharf attackiert hatte, voll des Lobes für Amerikas neusten "Kriegspräsidenten" war. Kristol wies auf die grundlegende Bedeutung der Entscheidung, weitere 30.000 Mann bis kommenden Juli an den Hindukusch zu entsenden, hin:

Bis Mitte 2010 wird Obama vom Zeitpunkt an, als er Präsident geworden ist, die Zahl der amerikanischen Soldaten in Afghanistan verdoppelt haben; er wird seinen General Stanley McChrystal dazu ermächtigt haben, den Krieg so zu führen, wie er es für erforderlich hält, um zu gewinnen; und er wird sozusagen rückwirkend zugegeben haben, daß er und seine Partei in Bezug auf die Irak-Eskalation 2007 falsch lagen - schließlich ist die Begründung für diese Eskalation identisch mit der Bushs, und man hofft auf einen ähnlichen Erfolg. Er wird sich zudem den Gebrauch militärischer Gewalt als Schlüsselinstrument nationaler Macht zu eigen gemacht haben.

Während Kristol und Konsorten vor Zufriedenheit strotzen, den einstigen Hoffnungsträger der amerikanischen Friedensbewegung und diesjährigen Friedensnobelpreisträger für die eigene Zwecke, nämlich für den Kampf um die Aufrechterhaltung der "Führungsrolle" der USA, gewonnen zu haben, geben sich die afghanischen Taliban nicht minder selbstbewußt. In einer Stellungnahme, die beim Büro der Nachrichtenagentur AFP in Kandahar telefonisch einging, erklärte Yousuf Ahamdi im Namen des Islamischen Emirats Afghanistan - so hatten die Taliban das Land nach der Einnahme Kabuls und der Machtübernahme 1996 umbenannt -, die USA würden am Hindukusch eine ähnlich herbe Niederlage wie die Sowjetunion in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts oder das British Empire hundert Jahre davor erleben. Ahamdi sprach von einer "Kolonisierungstrategie" der USA, die am Widerstand afghanischer Kämpfer und ihrer islamischen Brüder scheitern werde:

Ihre Hoffnung, Afghanistan mit militärischen Mitteln zu beherrschen, wird nicht in Erfüllung gehen. Sie werden sich in Schande zurückziehen müssen. Sie können sich ihre Hoffnungen und Ziele nicht erfüllen. ... Obama wird viele Särge, die von Afghanistan nach Amerika heimkehren, zu sehen bekommen. Die zusätzlichen 30.000 Soldaten, die nach Afghanistan kommen, werden größeren Widerstand und stärkere Kämpfe auslösen.

Dem kriegsgeschundenen Afghanistan steht offenbar noch größeres Unheil bevor.

4. November 2009