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ASIEN/634: Taliban-Chef Mullah Omar lehnt Gespräche mit Kabul ab (SB)


Taliban-Chef Mullah Omar lehnt Gespräche mit Kabul ab

In Afghanistan stehen die Zeichen auf Sturm


Allen Gerüchten über bereits laufende Vorverhandlungen zwischen den Taliban und der NATO zum Trotz deutet alles auf eine drastische Eskalation des Krieges in Afghanistan hin. Nach monatelangen Beratungen in Washington will Barack Obama Berichten zufolge bei seiner für den 2. Dezember geplanten Rede über den künftigen Afghanistankurs, die der US-Präsident vor der symbolträchtigen Kulisse der berühmten Offiziersakademie West Point halten wird, die Zahl der amerikanischen Streitkräfte am Hindukusch um weitere 34.000 Mann aufstocken, damit seine Generäle, allen voran Stanley McChrystal und David Petraeus, ihre ambitionierten, eventuell illusorischen Aufstandsbekämpfungsstrategien austesten können. Gleichzeitig hat Mullah Muhammed Omar, der Chef der 2001 gestürzten Taliban-Regierung, das Angebot des jüngst wiedergewählten afghanischen Präsidenten Hamid Karsai nach Versöhnung und Reintegration in den politischen Prozeß ausgeschlagen.

Seit 2008, als Karsai erstmals von der Notwendigkeit sprach, mit den Taliban eine politische Lösung für den scheinbar niemals endenden Krieg in Afghanistan zu suchen, gibt es immer wieder Meldungen von diversen Verhandlungen, die meistens unter der Schirmherrschaft der Saudis und der Pakistaner, der früheren Hauptverbündeten der Taliban, stattfanden. Zuletzt berichtete am 24. November die pakistanische Daily Times von Vorgesprächen in Saudi-Arabien an denen die Amerikaner nicht direkt beteiligt wären, zu denen jedoch Mullah Omar als Vertreter der Taliban deren Schattenaußenminister Agha Muhtisam geschickt hätte. An den geheimen Gesprächen über Wege aus dem militärischen Konflikt wären laut Daily Times neben Vertretern der saudischen und pakistanischen Geheimdienste auch Abdullah Ans, Schwiegersohn von Abdullah Azzam, dem früheren Mentor Osama Bin Ladens, und Maulana Fazalur Rehman, Chef der verbotenen pakistanischen Untergrundgruppe Harkatul Mudschaheddin, beteiligt.

In einem Interview, der am selben Tag wie der Daily-Times-Bericht beim Spiegel Online erschienen ist, gab Richard Holbrooke, Obamas Sondergesandter für die Region Afghanistan-Pakistan, im US-Militärjargon inzwischen Af-Pak genannt, interessante Töne von sich. Holbrooke erklärte, die USA wollten Afghanistan "nicht übernehmen", sondern lediglich den Afghanen helfen, ihre eigene Armee und Polizei soweit aufzubauen, damit diese die Sicherheit im Lande garantieren und die ausländischen Streitkräfte peu-à-peu abziehen könnten. Das Ziel Amerikas bestehe lediglich darin, "Al Kaida", welche die USA am 11. September 2001 angegriffen hätte, und nicht "jede Person, welche die Taliban unterstützt ... zu zerstören". Was den Versöhnungsanstoß Karsais betrifft, so behauptete Holbrooke, "die Mehrheit der Taliban unterstützen nicht die extremen Ansichten Mullah Omars". Den gemäßigten Taliban bot er an, sie könnten "am gesellschaftlichen und politischen Leben wieder teilnehmen", vorausgesetzt, sie "sagen sich von Al Kaida los".

Bekanntlich besteht ein wesentliches Element der Aufstandsbekämpfungsstrategie des ehemaligen Spezialstreitkräftekommandeurs McChrystal und des früheren US-Oberbefehlshabers im Irak und heutigen CENTCOM-Chefs Petraeus darin, die Taliban in "Gemäßigte" und "Hardliner" zu teilen und erstere mit irgendwelchen Verlockungen zum Stillhalten zu bewegen, um letztere endgültig vernichten zu können. Vor diesem Hintergrund wundert es wenig, daß die bisherigen geheimen Bemühungen in Richtung politische Lösung des Afghanistan-Konfliktes nicht gefruchtet haben. Während die US-Militärs wie damals in Vietnam die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens nicht eingestehen und deshalb mehr Soldaten und Ressourcen in den Krieg investieren wollen, sehen sich die Taliban auf dem Vormarsch und glauben, nicht gänzlich zu Unrecht, daß die Zeit für sie arbeitet. Entsprechend selbstbewußt klang deshalb die Botschaft, die Mullah Omar am 25. November über die Nachrichtenagenturen verbreiten ließ. Der Taliban-Chef lehnte Gespräche mit dem "Marionetten-Regime in Kabul" ab, wies auf die jüngsten militärischen Erfolge seiner Organisation und forderte alle Aufständischen zu verstärkten Anstrengungen im Dschihad gegen die ausländischen Invasoren, die ohnehin auf dem Rückzug wären, auf. Man kann davon ausgehen, daß aus der Perspektive der USA und der NATO die Rede Obamas in West Point nicht weniger von sich selbst überzeugt klingen wird.

28. November 2009