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ASIEN/588: NATO auf der Suche nach Exit-Strategie für Afghanistan (SB)


NATO auf der Suche nach Exit-Strategie für Afghanistan

Zieht Obama die Deeskalation einer Truppenaufstockung vor?


Wer hätte das gedacht? In der NATO, die sich vor zehn Jahren zu ihrem 50. Jubiläum als mächtigste Militärallianz der Menschheitsgeschichte feierte und zur Demonstration im sogenannten Kosovo-Krieg die Bundesrepublik Jugoslawien allein mit den Luftstreitkräften in die Knie zwang, geht offenbar die Angst vor einer Niederlage in Afghanistan um. Mehr als sieben Jahre nach dem Einmarsch dort sind die Taliban und die anderen aufständischen Gruppen auf dem Vormarsch, kontrollieren weite Teile des Südens und Ostens und bringen immer häufiger Interventionssoldaten um. Da die widerspenstigen Paschtunen Afghanistans und ihre Stammesangehörigen auf der anderen Seite der Staatsgrenze in Pakistan noch niemals vor einer ausländischen Macht kapituliert haben, hat sich auf der NATO-Führungsebene offenbar die Erkenntnis durchgesetzt, daß man sich so rasch und so elegant wie möglich aus dem sogenannten "Friedhof der Imperien" zurückziehen sollte, um nicht das selbe Schicksal wie die Sowjetunion zu erleiden.

Nur so läßt sich das spektakuläre Eingeständnis von US-Präsident Barack Obama erklären, das in einem Interview mit der New York Times fiel und von dieser am 8. März publik gemacht wurde, wonach für die NATO der Krieg in Afghanistan nicht erfolgreich verlaufe, weshalb das Weiße Haus einem Versöhnungsprozeß mit "gemäßigten Taliban" prinzipiell offen gegenüberstehe. Obama befindet sich in einer ähnlichen Situation wie Richard Nixon 1969 nach der Amtsübernahme von Lyndon B. Johnson. Der neue US-Präsident hat von seinem Vorgänger George W. Bush einen ungewinnbaren Krieg geerbt und muß diesen nun beenden, ohne den Eindruck einer militärischen Niederlage entstehen zu lassen. Deshalb weitete Nixon seinerzeit den Krieg auf Kambodscha aus, um Stärke zu demonstrieren, während er heimlich Verhandlungen mit der kommunistischen Regierung Nordvietnams aufnahm. Eine ähnliche Funktion scheinen Obamas neuerliche Entscheidung zur Entsendung weiterer 17.000 US-Soldaten nach Afghanistan und die in letzter Zeit immer häufiger durchgeführten Drohnenangriffe der CIA auf Dörfer in Pakistan, in denen Taliban-Führungsmitglieder vermutet werden, zu erfüllen. Die USA stellen ihre Entschlossenheit und die "globale Reichweite" ihrer Militärmaschinerie unter Beweis, während gleichzeitig im Hintergrund über verschiedene Wege die Möglichkeiten einer Konfliktsbeilegung ausgelotet werden.

Seit Mitte letzten Jahres ist es in Saudi-Arabien unter Vermittlung Riads zu mehreren Gesprächsrunden zwischen Vertretern der afghanischen Regierung Hamid Karsais auf der einen Seite und der Taliban und ihrer Verbündeten wie des legendären Mudschaheddin-Kommandeurs Gulbuddin Hekmatyar gekommen. Während die Aufständischen den Abzug aller ausländischen Streitkräfte aus Afghanistan verlangen, fordern Kabul und die NATO, daß die Taliban alle Verbindungen zum Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Ladens kappen, bevor man offiziell Verhandlungen mit ihnen aufnimmt und ihnen eine Perspektive auf eine politische Funktion im Nachkriegsafghanistan anbietet. Am 27. Februar meldete der arabische Nachrichtensender Al Jazeera, daß an der jüngsten Runde der geheimen Verhandlungen sogar westliche Diplomaten teilnahmen.

Inwieweit die Taliban bereit wären, sich von Al Kaida loszusagen, ist unklar. Der Taliban-Chef Mullah Omar ist bekanntlich mit Bin Laden verschwägert, soll 2001 jedoch nicht so ganz glücklich darüber gewesen sein, daß ihn sein saudischer Gast nicht vorab über die geplanten Flugzeuganschläge auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Arlington informiert hatte. Als die Bush-Administration nach dem 11. September 2001 die Auslieferung Bin Ladens forderte, hat die damalige Taliban-Regierung Afghanistans angeboten, nach Vorlage entsprechender offizieller Dokumente den Al-Kaida-Gründer einem neutralen Land zu übergeben, damit ihm dort der Prozeß gemacht werden könnte. Die USA, die bis heute keine Anklage gegen Bin Laden in Verbindung mit den Flugzeuganschlägen erhoben haben - bezeichnenderweise, weil die Beweislage zu dürftig ist - lehnten das Angebot der Taliban ab und ließen statt dessen ab dem 7. Oktober 2001 die Waffen sprechen. Bis heute dauert "Operation Enduring Freedom", so der Titel des Pentagons für den Sturz der Taliban und den "Regimewechsel" in Kabul, an.

Hat sich bereits am 4. Februar in einem Gastkommentar für die New York Times George Friedman, Leiter des der US-Ölindustrie nahestehenden, privaten Nachrichtendienstes Stratfor, für eine Einstellung des konventionellen Krieges gegen die Taliban zugunsten einer verdeckten Kriegsführung gegen Al Kaida und Konsorten stark gemacht, so wartete am 13. März in derselben Zeitung Leslie Gelb mit einem ähnlichen Vorschlag auf. Unter der Überschrift "How to Leave Afghanistan" warnte der emeritierte Präsident des New Yorker Council on Foreign Relations (CFR), der einlußreichsten Denkfabrik der Welt, vor einer weiteren Truppenaufstockung in Afghanistan und schlug den Verantwortlichen in Washington vor, bereits jetzt das einzusehen, was man später mit 100.000 US-Soldaten - statt jetzt 30.000 - am Hindukusch und einer zwangläufigen Ausweitung des Krieges auf die paschtunischen Gebiete Pakistans werde erkennen müssen, nämlich daß die Taliban nicht zu besiegen seien.

Gelb sprach sich dafür aus, Afghanistan mehr wirtschaftliche Hilfe zukommen zu lassen, Gespräche mit den "gemäßigten Taliban" aufzunehmen und die Nachbarländer Afghanistans einschließlich des Irans in die Stabilisierung des Landes einzubeziehen, um über einen Zeitraum von drei Jahren alle US-Bodenstreitkräfte aus dem kriegsgeschüttelten Land abziehen zu können. Auf diese Weise könnten die derzeit selbst von einer schweren Wirtschaftskrise heimgesuchten USA viele Ressourcen sparen und sich auf die "Terrorbekämpfung" konzentrieren, so Gelb. Daß der Obama-Regierung solche Gedanken nicht gänzlich fremd sind, zeigt die Erklärung Hillary Clintons auf dem Treffen der NATO-Außenminister am 5. März in Brüssel, wonach Washington den Iran einladen wolle, eigene Vertreter zu einer großen Afghanistan-Konferenz Ende des Monats zu entsenden. Ein Grund für die überraschend freundliche Geste in Richtung Teheran stellen die Aktivitäten taliban-verbündeter Milizen in Pakistan dar, welche die Nachschublieferungen der NATO von der Hafenstadt Karatschi in den Südosten Afghanistans immer wieder angreifen und unterbrechen. Über Irans Häfen an der Straße von Hormus und den Landweg zur afghanischen Westgrenze ließen sich die aktuellen Nachschubprobleme der NATO beheben. Eine solche Lösung könnte auch dazu beitragen, die jahrelange Konfrontation zwischen den USA und dem Iran zu entschärfen.

Doch selbst wenn es dazu käme, wäre der Zermürbungskrieg in Afghanistan für beide Seiten - NATO und Taliban - nicht zu gewinnen. Angesichts dieser Pattsituation wundert es nicht, daß auf der diplomatischen Ebene, wenn auch teilweise streng geheim, die Dinge in Bewegung sind. Wie die Londoner Sunday Times am 15. März unter Verweis auf Abdullah Anas, einen ehemaligen Afghanistan-Kämpfer, der in England lebt, berichtete, hat Mullah Omar vor kurzem grünes Licht für Friedensverhandlungen mit der Regierung Hamid Karsais in Kabul und der NATO gegeben. Die Times zitierte Karsais Bruder Qayum dahingehend, daß dieser bereits "seit fünf Tagen" mit den Taliban verhandele. Als Auslöser der Entscheidung Omars nannte Qayum Karsai das bereits erwähnte Interview Obamas in der New York Times, das "enormen Optimismus" ausgelöst hätte. "Es bleibt kein anderer Weg übrig. Alle Seiten wissen, daß weiteres Kämpfen nicht der Weg ist", so der Bruder des afghanischen Präsidenten. Man kann nur hoffen, daß diese Verhandlungen in der neuen Afghanistan-Strategie der USA, die derzeit unter der Leitung von Bruce Riedel, einem bekennenden "Realisten", ihren Niederschlag finden.

16. März 2009