Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


AFRIKA/2208: Heuschrecken - in schlimmer Erwartung ... (SB)



Für die Überwachung und Bekämpfung der Heuschreckenplage in gegenwärtig 17 Ländern Ostafrikas, der Arabischen Halbinsel und darüber hinaus werden nur ungenügend Mittel bereitgestellt. Die UN-Organisation, die sich mit der Überwachung der gefräßigen Insekten befaßt, ist personell dünn ausgestattet und hoffnungslos unterfinanziert. Nun droht die seit rund einem halben Jahrhundert größte Heuschreckenplage in Ostafrika und dem Nahen Osten sich noch auszuweiten, da jetzt die nächste Generation der Tiere heranwächst. Experten warnen vor dem Ausbruch von Hungersnöten.

In Äthiopien und Somalia sind in diesem Jahr die größten Heuschreckenschwärme seit 25 Jahren aufgetreten. Noch schwerer betroffen ist Kenia, wo in den letzten 70 Jahren keine so riesigen Schwärme mit den in ihrem Endstadium flugfähigen, geschlechtsreifen Insekten beobachtet worden sind. Die Heuschrecken-Überwachungsstelle der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen hat gemeldet, daß gegenwärtig von Kenia bis Iran neue Schwärme heranwachsen. Aufgrund der günstigen Witterungsbedingungen könnte im Juni 2020 die Zahl der Heuschrecken um das 400fache zunehmen. [1]

Die Heuschreckenplage ist ein direkter Angriff gegen den Auftrag der FAO, "Hunger, Ernährungsunsicherheit und Mangelernährung" zu beenden, sagt Tobias Takavarasha, FAO-Interimsvertreter für Kenia. "Unsere gegenwärtige Sorge ist, daß die Schwärme der ersten Generation, die aus Äthiopien und Somalia kamen, für Nachwuchs sorgen, und wenn die Zeit des Schlüpfens kommt, es in der Pflanzzeit sein wird, wenn die ersten Feldfrüchte keimen." [2]

Der milde Winter 2019/2020, durch den viele Eier überlebt haben, und die starken Niederschläge haben in Ostafrika ideale Bedingungen geschaffen, daß viele Heuschreckenlarven schlüpfen konnten. Die Wüstenheuschrecken (Schistocerca gregaria) durchlaufen mehrere Entwicklungsstadien. Am gefräßigsten sind die Insekten, sobald sie geschlüpft und noch "Hopper" sind. Binnen kurzer Zeit fressen sie so viel, daß sie sich häuten können und flugfähig werden. Bei entsprechenden Winden kann ein Schwarm bis zu 150 Kilometer pro Tag zurücklegen. Ein Schwarm von der Größe eines Quadratkilometers, was ungefähr einer Million Tiere entspricht, frißt an einem Tag die gleiche Menge, die 35.000 Menschen an einem Tag verzehren. Die aktuellen Schwärme gehen in die Milliarden. Bei diesem Vergleich ist zwar zu bedenken, daß die Heuschrecken abgesehen von Nutzpflanzen alles mögliche Grünzeug fressen - selbst grüne Baumwollkleidung, zum Trocknen aufgehängt, wird von den Tieren nicht verschmäht. Aber es verlieren nicht nur ganze Dorfgemeinschaften ihre Lebensgrundlage, wenn sich ein Heuschreckenschwarm über ihre Felder hermacht, sondern ganze Regionen. Einer der größten Schwärme, der im Januar dieses Jahres in Kenia beobachtet wurde, nahm eine Fläche von mehr als der dreifachen Größe Hamburgs ein. Flugzeuge dürfen nicht starten, wenn sich Heuschreckenschwärme in der Nähe zeigen, und die toten Tiere häufen sich in einer Menge auf, daß sogar Züge gestoppt werden müssen, um die Schienen von den Insekten freizumachen.

In Ostafrika haben sowieso schon rund 20,2 Millionen Menschen nicht genügend zu essen, sie gelten als "ernährungsunsicher". Betroffen sind Äthiopien, Kenia, Somalia, Südsudan, Tansania und Uganda. Die Menschen dort sind in besonderer Weise gefährdet, Hunger zu leiden - auch ohne die Gefahr, daß Heuschrecken ihre Nahrung vertilgen. Aber auch für Eritrea und Dschibuti stellen die Tiere eine Gefahr dar. Zumal in all den genannten Staaten die "magere Zeit" (lean season) anbricht. Das ist jene Jahreszeit, in der sich die Ernte aus der letzten Saison dem Ende zuneigt, und mit einer neuen Ernte noch nicht so schnell zu rechnen ist, weil die Pflanzen erst noch ausgesetzt oder gesät werden müssen.

Die FAO hat einen dringenden Appell an die Geberländer gerichtet und um Finanzmittel in Höhe von 138 Mio. Dollar zur Bekämpfung der Heuschreckenplage gebeten. Davon wurden bislang rund 105 Mio. Dollar zugesagt. [3]

Selbst wenn diese Summe, entgegen den Erfahrungen, nicht nur zugesagt, sondern tatsächlich in vollem Umfang gespendet würde, fehlen noch immer rund 25 Prozent. Und solange die FAO nicht weiß, ob jemals die volle Summe zusammenkommt, wird sie die eingegangenen Mittel weniger für Projekte von langfristigem Nutzen als für absolute Nothilfe verwenden. Folglich hat man es hier mit einer systemischen Mangelverwaltung zu tun, die von Jahr zu Jahr, Katastrophe zu Katastrophe, weitergetragen wird. Die von Heuschreckenschwärmen und anderen Bedrohungen heimgesuchten Regionen kommen niemals auf einen grünen Zweig.

So wie sich im großen Maßstab die Frage stellt, ob das gegenwärtige Gesellschaftsmodell, das bestimmte Produktionsverhältnisse geschaffen hat, optimal dafür ausgelegt ist, eine gefährliche Pandemie wie die mit dem neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 in den Griff zu bekommen oder diese gar rechtzeitig zu unterbinden, ist auch bei der aktuellen Heuschreckenplage zu fragen, ob eine Weltgemeinschaft nicht viel weitreichendere Vorbereitungen hätte treffen können, um die Heuschreckenplage unter Kontrolle zu bekommen. Wenn es nur nicht immer darum ginge, Vorteile für den nationalen Wirtschaftsstandort zu erringen. Da spielt Heuschreckenmonitoring und -bekämpfung kaum eine Rolle. Vieles, so scheint es, wird immer erst dann in Angriff genommen, wenn der Notfall längst eingetreten ist.


Fußnoten:

[1] tinyurl.com/s6f8gab

[2] http://www.fao.org/emergencies/fao-in-action/stories/stories-detail/en/c/1265996/

[3] http://www.fao.org/emergencies/fao-in-action/stories/stories-detail/en/c/1267429/

24. März 2020


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang