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AFRIKA/2192: Nigeria - am Markt vorbei ... (SB)



Die Zentralbank von Nigeria hat ihre Unterstützung dafür angekündigt, das Land binnen weniger Jahre vom Palmölimporteur zum weltweit drittgrößten -exporteur aufsteigen zu lassen. Damit läuft Nigeria einem Entwicklungsmodell hinterher, das möglicherweise überholt ist. So wird die Europäische Union ihren Palmölverbrauch wieder zurückfahren. Daß Nigeria seine Palmölkonkurrenten Thailand und Kolumbien übertreffen will, erscheint angesichts der gegenwärtigen Weltmarktentwicklung unsinnig. Leidtragende werden die Kleinbauern sein, die dazu verlockt werden, Flächen zu roden und Plantagen mit Palmen anzulegen, für deren Früchte sie voraussichtlich am Ende weniger erhalten als für Agrarerzeugnisse, die sie auf der gleichen Fläche erzeugen und auf heimischen Märkten verkaufen könnten.

Am 18. März stellte Zentralbankgouverneur Godwin Emefiele in Nigerias Hauptstadt Abuja die Initiative seiner Institution vor. Seiner Rechnung nach würde Nigeria bei einem Weltmarktpreis von 600 Dollar pro Tonne Palmöl und einer angenommenen Produktionsmenge von 16 Mio. Tonnen jährlich Einnahmen in Höhe von annähernd zehn Milliarden Dollar generieren. [1]

Diese Rechnung wirkt reichlich optimistisch. Zur Zeit (21. März 2019) liegt der Weltmarktpreis für Palmöl bei 516 Dollar pro Tonne. Man käme somit nicht auf 10 Mrd., sondern 8,3 Mrd. Dollar Einnahmen. Allerdings scheint auch diese Zahl noch geschönt, denn man muß sich fragen, wie Nigeria 16 Mio. Tonnen Palmöl produzieren will. Gegenwärtig erzeugt es im Durchschnitt rund zwei Tonnen pro Hektar. Das heißt, es müßte auf acht Millionen Hektar Palmen anbauen, es sind hierfür jedoch nur drei Millionen Hektar Agrarland verfügbar. Dabei handelt es sich um Flächen, auf denen entweder schon Palmen stehen - wobei viele bereits so alt sind, daß sie nur noch geringe Erträge abwerfen - oder als "ungenutzt" deklariert sind.

An einer solchen Kennzeichnung bestehen allerdings erhebliche Zweifel. In den meisten Fällen - ob in Afrika, Südostasien oder Lateinamerika -, werden "ungenutzte" Flächen sehr wohl genutzt, und zwar von der örtlichen Bevölkerung, die dort Holz, Beeren, Pilze oder Honig sammelt oder zeitweilig ihr Vieh weiden läßt. Diese Menschen haben zwar häufig keinen notariell beglaubigten Besitztitel für das Land, aber ein Gewohnheitsrecht, es zu nutzen.

Woher sollen also die zusätzlichen fünf Mio. Hektar kommen? Emefiele berichtete, daß alle Bundesstaaten in den nigerianischen Regionen South-South und South-East zugestimmt haben, jeweils mindestens 100.000 Hektar für die Initiative zur Verfügung zu stellen. Eine einfache Rechnung zeigt, daß nicht einmal das genügen würde, selbst wenn die Zusagen vollständig erfüllt werden. In der Region South-South werden sechs Bundesstaaten (Akwa Ibom, Bayelsa, Cross River, Delta, Edo und River) zusammengefaßt, in South-East hingegen fünf (Abia, Anambra, Ebonyi, Enugu und Imo). Bei zusammen elf Bundesstaaten käme man auf eine zugesagte Gesamtfläche von 1,1 Mio. Hektar für die Palmölinitiative. Es fehlen also weitere 3,9 Mio. Hektar.

Aufgrund der Variablen "Weltmarktpreis" und "Ertrag" müßte obige Rechnung neu erstellt werden, sobald sich ein Parameter ändert. Würde sich zum Beispiel der Weltmarktpreis oder der Ertrag pro Hektar verdoppeln, würde sich die "fehlende" Fläche halbieren. Umgekehrt gilt, daß der Flächenbedarf noch zunimmt, ginge der Weltmarktpreis in den Keller. Palmen wachsen nun im tropischen Gürtel. Sollte es dort "ungenutzte" Fläche geben, handelte es sich wahrscheinlich um tropischen Regenwald. Wieviele Millionen Hektar einer solchen artenreichen, klimatisch wichtigen Region sollen für Ölpalmplantagen gerodet werden?

Nach drei bis vier Jahren können Palmen die ersten Früchte tragen, bis dahin werden die Erzeuger keinerlei Einnahmen erwirtschaften. Große Plantagenbesitzer können die Durststrecke vielleicht kompensieren. Ganz anders sieht es bei Kleinbäuerinnen und Kleinbauern aus. Die höchsten Erträge liefert die Pflanze zwischen dem 10. und 18. Jahr.

Die Ernte der Palmfrüchte ist sehr arbeitsintensiv. Pro 1000 Hektar wird mit 350 Personen gerechnet. Insofern trifft der Hinweis des nigerianischen Zentralbankchefs zu, daß durch die Plantagen viele Arbeitsplätze geschaffen werden. Allerdings hat er nicht erwähnt, daß die Arbeit in der Regel schlecht bezahlt wird und daß Kleinbauern, die einem Zwischenhändler zuarbeiten, nur wenig Geld für ihre Ware erhalten. Die häufig schwankenden Weltmarktpreise werden, sofern keine langfristigen Abnehmerverträge vereinbart wurden, meist nach unten durchgereicht.

Vor einer Woche hat die EU-Kommission eine Delegierte Verordnung erlassen, wonach zwischen 2023 und 2030 der Anteil von Palmöl für Biokraftstoffe auf Null reduziert werden soll. [2] Der Grund: Palmöl ist nicht die klimafreundliche Alternative zu fossilen Energieträgern, wie es mitunter behauptet wurde. Ein nigerianischer Zentralbankchef sollte eigentlich wissen, daß die EU diese Trendwende schon vor längerer Zeit eingeleitet hat. Auch wenn die Europäer nicht das Maß aller Dinge sind, als daß sie sich manchmal wähnen, die EU als zweitgrößter Palmölimporteur der Welt nach Indien ist in diesem Fall durchaus relevant. Vielleicht hofft Nigeria darauf, sich des Schlupflochs in der EU-Gesetzgebung zu bedienen, wonach Palmöl von Plantagen, die kleiner als fünf Hektar sind oder in ungenutzten Gebieten angelegt werden, weiterhin akzeptiert wird.

Nigeria importiert jährlich Palmöl im Wert von 500 Mio. Dollar, es wird demnach auch innerhalb Nigerias gebraucht. Der größte Teil, der in den nächsten Jahren produziert werden soll, wird jedoch, spätestens wenn der heimische Bedarf gedeckt ist, in den Export fließen. Wie bei der Plantagenarbeit im allgemeinen üblich, erhalten jene, die die körperlich anstrengendste, physisch verschleißträchtigste und damit gesundheitlich ruinöseste Arbeit verrichten, den allergeringsten Anteil an der Wertschöpfungskette. Die Zentralbank von Nigeria hat sich in der Vergangenheit nicht darin hervorgetan, an diesem eklatanten gesellschaftlichen Widerspruch irgend etwas zu ändern.


Fußnoten:

[1] http://thenationonlineng.net/cbn-vows-to-make-nigeria-worlds-third-palm-oil-producer/

[2] https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/initiatives/ares-2019-762855_de

21. März 2019


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