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AFRIKA/2178: Kontinent - umgekehrt wird ein Paar Schuh' daraus ... (SB)




Eine runde und darunter eine rechteckige Plakette an einer Hauswand erinnern an den 5. Panafrikanischen Kongreß - Foto: KGGucwa, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en]

Zwei Plaketten erinnern an den 5. Panafrikanischen Kongreß, der vom 15. bis 21.Oktober 1945 in Manchester stattfand
Foto: KGGucwa, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en]

"Wir verurteilen das Monopol des Kapitals und die Herrschaft des privaten Vermögens und der Industrie allein für privaten Profit. Wir begrüßen die ökonomische Demokratie als die einzige Demokratie."
(aus einem von mehreren Manifesten des 5. Panafrikanischen Kongresses 1945 in Manchester.[1])

Die heutigen Befürworter eines afrikaweiten Freihandelsabkommens kokettieren mit der Vorstellung, daß durch die Aufhebung der Zollgrenzen und die Freiheit des Warenverkehrs der alte Traum der panafrikanischen Befreiungsbewegung erfüllt wird. Mit dieser Hoffnung wird jedoch ein Nebenanliegen des Panafrikanismus zu dessen Hauptanliegen erklärt. Beim Freihandel geht es um die Befreiung der Märkte und damit um die Befreiung der marktbeherrschenden Kräfte von jeglicher Einschränkung ihrer Handelsabsichten, wohingegen im ursprünglichen Panafrikanismus genau umgekehrt die Befreiung vom kolonialen Joch und damit von den marktbeherrschenden Kräften angestrebt wurde.

Am 21. März 2018 unterzeichneten 44 afrikanische Staats- und Regierungschefs in der ruandischen Hauptstadt Kigali ein Abkommen zur Gründung einer African Continental Free Trade Area, abgekürzt CFTA oder auch AfCFTA, also einer Freihandelszone für ganz Afrika. Inzwischen ist die Zahl der Unterzeichner auf 49 angewachsen. Damit ist die 55 Mitglieder zählende Afrikanische Union (AU) größtenteils vertreten. Sobald 22 Unterzeichnerstaaten das Abkommen ratifiziert haben, tritt es in Kraft. Binnen 18 Monaten sollen die Verhandlungen zu den Einzelheiten über die Bühne gehen, anschließend würde die weltweit größte Freihandelszone entstehen. An ihr nähmen etwa 1,3 Milliarden Einwohner teil, von denen 60 Prozent unter 25 Jahre alt sind und wirtschaftlich als potentiell hochmotiviert gelten.

Die bis zum Sklavenaufstand 1791 auf Haiti zurückgehende und in den nächsten Jahrhunderten auch von Aufständen in Afrika immer wieder genährte Idee des Panafrikanismus war in den 1950er Jahren als Folge des Ost-West-Konflikts in zwei Hauptströmungen gespalten, heute würde man von "Fundis" und "Realos" sprechen. Auf erstere geht das obige Zitat zurück. Es handelt sich um die sogenannte Casablanca-Gruppe (Algeriens Exilregierung, Ägypten, Ghana, Guinea, Mali und Marokko), die sich an den Marxismus anlehnte und unter anderem eine fundamentale Neuordnung der willkürlich von den Kolonialherren gezogenen Grenzen anstrebte. Es sollte eine Förderation unabhängiger Staaten entstehen, durch die das koloniale Erbe endgültig abgelegt wird.

Gemäßigtere Forderungen erhob dagegen die Monrovia-Gruppe (Äthiopien, Dahomé-Benin, Elfenbeinküste, Gabun, Kamerun, Kongo-Brazzaville, Kongo-Leopoldville (Zaire), Liberia, Madagaskar, Mauretanien, Niger, Nigeria, Obervolta, Senegal, Somalia, Togo, Tschad, Tunesien, Zentralafrika). Auch sie verlangte ein Ende des Kolonialismus, war aber pro-westlich eingestellt. Jeder Staat solle das Recht auf Unabhängigkeit erhalten, hieß es, ohne zu bedenken, daß die alten Kolonialherren mittels ihrer wirtschaftlichen Dominanz tiefgreifende Abhängigkeiten aufrechterhalten würden. Die Spaltung des Panafrikanismus setzte sich in der 1963 gegründeten Organisation Afrikanischer Staaten (OAU), in die beide Strömungen eingeflossen waren, fort. Dabei hat sich die Monrovia-Gruppe inhaltlich durchgesetzt.

Die OAU galt als zahnloser Löwe, allerdings entspricht das der westlichen Sichtweise. Begründet wurde sie vor allem damit, daß die OAU nicht den Anspruch erhob, sich in die inneren Angelegenheiten der Nationalstaaten einzumischen, und auch keine eigenen Truppen aufgestellt hat.

Afrika blieb Schlachtfeld fremdnütziger Interessen, teils mit verdeckten, teils offenen Operationen der CIA und anderer westlicher Geheimdienste, aber auch ihrer Kontrahenten aus der Sowjetunion sowie Soldaten aus Kuba und nicht zuletzt Söldnern aller Herren Länder. In diesem Ringen wurde von verschiedenen Seiten immer wieder die Forderung an die OAU herangetragen, Druck auf diese oder jene Regierung auszuüben, damit sie eine Befreiungsbewegung anerkennt, einen Teil ihrer Macht abgibt oder ähnliches. Wenn etwas der OAU hoch anzurechnen war, dann die Nichteinmischung und das Prinzip, Veränderungen auf dem Verhandlungsweg erzielen zu wollen.

Ein Beispiel dafür, was passiert, wenn man militärisch interveniert, ist Libyen. 2011 wurde das libysche Staatsoberhaupt Muamar Gaddafi von einer Militärallianz unter anderem aus Frankreich, UK und USA gewaltsam gestürzt. Aus einem Staat mit vergleichsweise hohen Lebens- und Sozialstandards wurde ein "gescheiterter Staat", in dem das Faustrecht gilt, sich Räuberbanden gegenseitig die Beute abjagen und nun religiöse Fanatiker einen Rückzugsraum haben. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Obwohl die OAU bereits ein auf Kompromisse gegründetes Gebilde war, bei dessen Gründung der radikalere Panafrikanismus auf der Strecke blieb, schritt die Entwicklung weg von weitreichenderen Forderungen und hin zu gemäßigten Forderungen immer weiter voran. Im Jahr 2002 wurde die OAU von der Afrikanischen Union (AU) abgelöst. Der neuen Staatengemeinschaft ging es fortan nicht mehr um die Befreiung aus der Kolonialzeit - die war vermeintlich überwunden -, sondern um die wirtschaftliche Behauptung Afrikas innerhalb der Weltordnung. Jeder Einzelstaat war fortan seines Glückes Schmied und Mitglied einer Konkurrenzgemeinschaft, die mehr denn je Kräften des Weltmarkts ausgeliefert war - und damit weiterhin den Interessen der alten und neuen kolonialistischen Staaten, die sich verschiedener Unterwerfungsmittel bedienten, um die afrikanischen Staaten zu gängeln. Sie sollten weiterhin als Ressourcenstaaten funktionieren, dem Kapitalabfluß keine Steine in den Weg legen und man wollte ihre ausgebildeten Fachkräfte abgreifen (Stichwort "brain drain"), während man zugleich die Flüchtlinge kriminalisiert und im Zweifelsfall im Mittelmeer absaufen läßt.

Gelingt es den Menschen aus Afrika jedoch, in der Europäischen Union an Land zu gehen, wird ihr Asylrecht geprüft. Sind sie der Beurteilung zur Folge "nur" Wirtschaftsflüchtlinge, werden sie zwangsweise zurückgeschickt. Wohingegen diejenigen Fachkräfte, die ohne Zweifel zuallererst aus ökonomischen Gründen ihr Land verlassen, um sich in den wohlhabenderen Ländern des globalen Nordens niederzulassen, selbstverständlich grünes Licht erhalten.

Wenn nun die Länder der Afrikanischen Union eine riesige Freihandelszone schaffen, haben sie das Kernanliegen des Panafrikanismus längst über Bord geworfen, nämlich Befreiung von der kapitalgesteuerten Wirtschaftsweise. Welche Hautfarbe die CEOs in den Chefetagen der Konzerne in Johannesburg, Lagos oder Daressalam haben, ist hinsichtlich der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft so nebensächlich wie die Unterscheidung nach beliebigen anderen körperlichen Merkmalen. Solange Menschen genötigt werden, Lohnarbeit zu verrichten, um ihr Überleben zu sichern, können sie gegeneinander ausgespielt werden. So setzt sich am Ende derjenige durch, der sich am billigsten vermarktet. Innerhalb der weltweit vorherrschenden ökonomisch-politischen Monokultur des Kapitalismus würde eine afrikaweite Freihandelszone aus der Ware Arbeitskraft ein Ramschprodukt machen.

Wenn unter Analysten heute Freude darüber ausbricht, daß mit dem Freihandelsabkommen die afrikanische Einheit zum Greifen nahe rückt, und auf die Idee des Panafrikanismus rekurriert wird, dann erinnert das an das Bild vom Phönix aus der Asche: Jener mythische Vogel wirkt nur deshalb so groß und glänzend, weil man vergessen hat, um wieviel größer er ursprünglich gewesen war, bevor er zu Asche verbrannte.


Podium mit ca. zehn Sitzenden und davor Stuhlreihen mit mehreren Dutzend Personen - Foto: Mundaneum, public domain

Der zweite Panafrikanische Kongreß fand an mehreren Orten statt, u.a. im September 1921 im Palais Mondial, Brüssel. Dieser Kongreß galt als die radikalste unter den insgesamt fünf Zusammenkünften dieser Art zwischen 1919 und 1945.
Foto: Mundaneum, public domain


Fußnote:


[1] Im engl. Original: "We condemn the monopoly of capital and the rule of private wealth and industry for private profit alone. We welcome economic democracy as the only real democracy." Zitiert nach: Odomaro Mubangizi. AfCFTA: World´s largest free trade area born - Africa's game changer, 6. April 2018
https://www.pambazuka.org/pan-africanism/afcfta-world%E2%80%99s-largest-free-trade-area-born%E2%80%94africa%E2%80%99s-game-changer


21. September 2018


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