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AFRIKA/2128: Anschläge, Kämpfe, Interventionen - Somalia vor den Präsidentschaftswahlen (SB)


Stellvertreterkriegsfront Somalia


Wer in Somalia aufgewachsen ist, kann sich ein Leben ohne kriegerische Konflikte wohl kaum vorstellen. Seit dem Sturz des Diktators Siad Barre im Jahr 1990/91 kämpfen in dem Land am Horn von Afrika an stetig wechselnden, aber doch immer gleichen Fronten Menschen darum, ihren Einfluß auszuweiten und den fremdnütziger Interessen abzuschütteln.

Ebenfalls seit nahezu einem Vierteljahrhundert versuchen die Vereinigten Staaten von Amerika in Somalia nach dem Sturz ihres Verbündeten Siad Barre eine ihren Interessen dienliche Regierung dauerhaft an die Macht zu bringen. Vergebens. Seitdem ist das Land, in dem Weihrauch und Myrrhe produziert werden, interventionistischer Maßnahmen seitens der USA, aber auch ihrer Verbündeten innerhalb des NATO-Bündnisses sowie in der ostafrikanisch-arabischen Großregion ausgeliefert.

Die größte Militärmacht der Welt hat sich darauf eingeschossen, in Somalia einen unterschwelligen Krieg zu führen. Sie unterstützt eine Marionettenregierung, die nicht einmal die Hauptstadt Mogadishu zu sichern vermag und zwingend auf den Beistand der 22.000 Soldaten starken Truppe der Afrikanischen Union, AMISOM, angewiesen ist. Doch weder ihr noch der im Aufbau begriffenen somalischen Armee noch den kenianischen Streitkräften, die versuchen, den Süden Somalias zu sichern, damit keine bewaffneten Kämpfer über die Grenze ins eigene Land eindringen, ist es bislang gelungen, den Gegner zu bezwingen.

Der Gegner, das ist al-Shabaab - übersetzt "die Jugend". Die sunnitische Bewegung, der es weder personell noch finanziell an Nachschub zu mangeln scheint, mußte sich zwar schon vor einigen Jahren aus Mogadishu zurückziehen, sorgt aber seitdem mit Angriffen auf Regierungseinrichtungen und Anschlägen gegen die Zivilbevölkerung für eine Stimmung der permanenten Unsicherheit. Unter diesen Umständen Präsidentschaftswahlen abzuhalten, wie sie für Herbst dieses Jahres geplant sind, heißt, Öl ins Feuer zu gießen.

Noch vor 25 Jahren wurde in Somalia im allgemeinen ein moderater Islam gepflegt, bei dem der eigene Klansbruder wichtiger war als der Koranprediger. Das Verhältnis hat sich offenbar mittlerweile umgekehrt. "Die Jugend" bekennt sich zu al-Qaida, einem internationalen Netzwerk fundamentalistisch-islamischer Organisationen und Bündnisse, zu denen allerdings nicht Daesh (Islamischer Staat) gerechnet werden kann, da beide Organisationsstrukturen in inniger Feindschaft miteinander verbunden sind.

Al-Shabaab ist aus den radikaleren Kräften innerhalb der Union Islamischer Gerichte (UIC) hervorgegangen, die vor gut zehn Jahren die vom US-Auslandsgeheimdienst CIA finanzierten und mit Waffen ausgestatteten Warlords und Wegelagerer aus Mogadishu vertrieben und anschließend mittels ihrer repressiven Interpretation der Scharia erstmals seit langem für Ruhe und Ordnung in der Hauptstadt gesorgt hatte. Schon nach sechs Monaten wurde die UIC von äthiopischen Invasionstruppen aus der Hauptstadt vertrieben.

Auch wenn nicht alle Mitglieder al-Shabaabs jugendlich sind, hat die Organisation sehr viele jugendliche Kämpfer rekrutiert. Sicherlich stellt für sie der Sold eine Verlockung dar, sich den bewaffneten Kämpfern anzuschließen. Aber al-Shabaab repräsentiert auch einen Teil der somalischen Gesellschaft, der sich vermutlich selbst dann noch gegen Fremdeinflüsse und -herrschaft zur Wehr setzen würde, wenn er dafür kein Geld erhielte.

Verschiedentlich wurde im Laufe der letzten 25 Jahre über eine Invasionsabsicht der USA in Somalia spekuliert. Doch man weiß in den amerikanischen Strategiezentren spätestens seit dem "Black-Hawk-Down"-Debakel von 1993, daß das Land nicht so einfach zu befrieden sein würde. Selbst wenn nirgendwo mehr eine Front zu erkennen wäre, gäbe es noch genügend Kämpfer, die entschlossen sind, Leib und Leben für etwas einzusetzen, an das sie glauben.

Eine umfängliche Intervention seitens der USA in Somalia ist ausgeblieben, doch wird der Konflikt durch sporadische Luftangriffe befeuert. Sowohl die CIA als auch das US-Militär verfügt über bewaffnete Kampfdrohnen, die in den letzten Jahren Einzelpersonen oder Gruppen von Personen ausgelöscht haben. Beispielsweise haben die USA im März dieses Jahres einen Luftangriff auf das Raso-Ausbildungslager al-Shabaabs in Zentralsomalia, rund 170 Kilometer nördlich von Mogadishu, geflogen und dabei mehr als 150 Personen getötet. Begründet wurde der Angriff mit der Notwendigkeit zur "Selbstverteidigung". Es hieß, man sei einem kurz bevorstehenden Angriff al-Shabaabs auf die Friedensmission der US-Streitkräfte und AMISOMS zuvorgekommen. Die mit bewaffneten und unbewaffneten Drohnen ausgeführten Angriffe seien ihrer Natur nach "defensiv", behauptete U.S. Air Force Secretary Deborah Lee James laut einem Reuters-Bericht vom 8. März dieses Jahres. [1]

Al-Shabaab will am Horn von Afrika einen Gottesstaat errichten und betrachtet seinen Kampf als Teil des weltweiten Dschihads al-Qaidas. Die USA sind da ein Stück weiter und haben bereits ein weltweites Imperium aufgebaut, das unter anderem mit mehr als 700 Militärstützpunkten rund um den Globus verteidigt und laufend weiter ausgebaut wird. Deutschland schickt sich an, sowohl an der Seite des großen Bruders im Rahmen des NATO-Militärbündnisses als auch eigenständig als führende Wirtschaftsmacht der Europäischen Union militärische Durchschlagskraft zu erlangen, um seine hegemonialen Interessen zu wahren. Dazu zählt seit 2008 die Beteiligung der Bundeswehr an der internationalen Mission "Atalanta" vor der somalischen Küste, bei der es um die Bekämpfung von Piraten und die Sicherung der See- und Handelsrouten geht. Mit bis zu 20 Soldaten ist die Bundeswehr seit 2010 mit Unterbrechungen auch an der Ausbildungsmission EUTM SOM (European Union Training Mission Somalia) beteiligt.

Der UN-Sondergesandte für Somalia, Michael Keating, berichtete am heutigen Montag von "großen Fortschritten" in Somalia. [2] Allerdings spricht der aktuelle UN-Report über die Lage der Medien und Pressefreiheit eine völlig andere Sprache. [3] Und auch die Serie an Anschlägen allein in jüngster Zeit zeigt ein anderes Bild, als es Keating entwirft. Ende August kamen bei einem Autobombenanschlag vor einem Hotel im Regierungsviertel von Mogadishu mindestens zwölf Personen ums Leben. [4] Wenige Tage zuvor wurde vor dem Restaurant Banadir am Lido-Strand in Mogadishu eine Autobombe gezündet, die mindestens zehn Menschen das Leben kostete. Bewaffnete Kämpfer schossen um sich und nahmen Geiseln. Acht Stunden dauerte die anschließende Belagerung durch die Polizei. [5] Nicht mal eine Woche zuvor waren bei einem Doppelanschlag in der Stadt Galkayo mehrere Dutzend Menschen getötet worden. [6] Wiederum rund zwei Wochen davor waren in der somalischen Hauptstadt von einem Selbstmordattentäter mindestens sieben Menschen in den Tod gerissen worden. [7]

Wenn diese Anschlagsserie Ausdruck "großer Fortschritte" ist, wie Keating behauptet, wie muß erst die Lage in der Zeit davor gewesen sein? Nein, die mutmaßlichen Fortschritte beziehen sich bestenfalls auf Errungenschaften wie die Errichtung von Straßenlaternen in Mogadishu, nicht aber auf die allgemeine Sicherheitslage. Es drängt sich der Verdacht auf, daß hier in Leugnung der nach wie vor angespannten Situation gute Stimmung in Vorbereitung auf die für Herbst geplanten Präsidentschaftswahlen gemacht werden soll.

Diese finden zu einer Zeit statt, in der ausländische Militärs nach wie vor Teile des Landes besetzt halten und bekriegen. Wie das in London ansässige Bureau of Investigative Journalism berichtete, wurden am 10. August US-Militärs und Mitglieder der somalischen Streitkräfte im Süden des Landes in ein Feuergefecht verwickelt, bei dem mehrere al-Shabaab-Mitglieder gestorben sein sollen. [8]

Am 24. Juli hat die kenianische Luftwaffe ein mutmaßliches al-Shabaab-Lager in al-Adde in der Region Gedo bombardiert. Es sollen bis zu 70 Kämpfer getötet worden sein (wobei diese Zahl aus propagandistischen Gründen möglicherweise viel zu hoch angesetzt wurde.) Am 21. Juni töteten US-Militärs mindestens drei al-Shabaab-Kämpfer in "Selbstverteidigung". Und so weiter und so fort.

In einem Wettbewerb der Grausamkeiten dürfte schwer zu entscheiden sein, was abstoßender ist, die Tötung einer Dreizehnjährigen, die vergewaltigt worden war, dies bei al-Shabaab angezeigt hatte und daraufhin wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs gesteinigt wurde, oder die Tötung von Verdachtspersonen und mitunter zufällig in ihrer Nähe stehenden Personen aus heiterem Himmel mittels einer Hellfire-Rakete der US-Streitkräfte.

Letztlich ist das Abwägen von Grausamkeiten jedoch müßig und lenkt von dem grundlegenden Charakter des Geschehens ab, nämlich daß beide Beispiele zum umfangreichen Repertoire an Herrschaftsmitteln gehören, die der Mensch ersonnen hat. Technologisch stellt die vom US-Präsidenten alimentierte, per Joystick ausgelöste Drohnenrakete eine Weiterentwicklung des kollektiven Steinwurfs al-Shabaabs dar. Nicht einen Fingerbreit weiterentwickelt hat sich jedoch die Begründung, mit der Menschen andere Menschen töten. Ob Rakete oder Stein, in beiden Fällen beruft man sich auf ein höheres Recht. Solange aber ein solches Recht zwischen den Menschen steht, wird mit dem Friedensschluß lediglich der nächste Krieg vorbereitet und umgekehrt.


Fußnoten:

[1] http://www.reuters.com/article/us-usa-somalia-dronestrike-idUSKCN0W91XW

[2] http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=20445&LangID=E

[3] http://www.ohchr.org/Documents/Countries/SO/UNSOM_FreedomExpressionReport_Aug312016.pdf

[4] http://dw.com/p/1Jva0

[5] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-08/somalia-mogadischu-restaurant-terroranschlag-al-shabaab

[6] http://www.spiegel.de/politik/ausland/somalia-dutzende-tote-bei-doppel-bombenanschlag-a-1108794.html

[7] http://www.spiegel.de/politik/ausland/somalia-mehrere-menschen-sterben-bei-anschlag-in-mogadischu-a-1104748.html

[8] https://www.thebureauinvestigates.com/2012/02/22/get-the-data-somalias-hidden-war/#SOM040

5. September 2016


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