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AFRIKA/2103: Wahlen in Madagaskar - Elitenkonflikt ohne Ende (SB)


Vor der Wahl ist nach der Wahl

Sollten in Madagaskar stabile politische Verhältnisse einkehren, bliebe dennoch der Arm-Reich-Widerspruch erhalten



Madagaskar gehört neben Haiti und Afghanistan zu den ärmsten Ländern der Welt. 80 Prozent der rund 21 Millionen Einwohner leben unterhalb der Armutsgrenze, rund die Hälfte gilt als chronisch unterernährt. Die ganze Hoffnung auf ein Ende des Elends richtet sich jetzt auf die Präsidentschaftswahl, die nach mehrmaligem Verschieben am 25. Oktober stattfand. Die Stimmauszählung läuft zur Zeit noch. Bislang liegt der ehemalige Gesundheitsminister Jean Louis Robinson mit rund 27 Prozent der Stimmen in Führung, gefolgt von Hery Rajaonarimampianina, dem ehemaligen Finanzminister, mit einem Stimmanteil von rund 15 Prozent. Sollte keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erringen, findet im Dezember eine Stichwahl zwischen den beiden führenden Kandidaten statt. [1]

Angesichts des enormen Elends in dem Land kann die Lage eigentlich nur besser werden. Dennoch ist Skepsis angebracht, wenn in der internationalen Berichterstattung der Sturz des früheren Präsidenten Marc Ravalomanana durch den Bürgermeister der Hauptstadt Antananarivo, Andry Rajoelina, mit Hilfe des Militärs im Jahr 2009 als Beginn des Niedergang Madagaskars ausgemacht wird. Unter dem Milliardär Ravalomanana verzeichnete der Inselstaat ein Wirtschaftswachstum von fünf Prozent, unter dem Millionär Rajoelina lag es bei null Prozent. Somit scheinen die Verhältnisse klar: zurück zu Ravalomanana.

Aber so einfach ist das nicht. Die madagassische Bevölkerung hat die Wahl zwischen Skylla und Charybdis. Unter Rajoelina hat die Exekutive das Land ausgeplündert, doch wie kamen jene fünf Prozent Wachstum unter seinem Vorgänger zustande? Der Unternehmer hat eine neoliberale Politik verfolgt und Investoren ins Land geholt. Ganz nach der "Krümeltheorie", daß, wenn man die Reichen und Satten nur ordentlich abfüttert, dann auch ein paar Krümel vom Tisch fallen, um die sich die Armen streiten dürfen, hat Ravalomanana den Ausverkauf des Landes mittels Privatisierung vorangetrieben.

Gestürzt wurde er unter anderem wegen eines geplanten Abkommens mit dem südkoreanischen Konzern Daewoo über die anscheinend nahezu unentgeltliche Verpachtung von 1,3 Millionen Hektar Land, was rund der Hälfte der fruchtbaren Fläche der Insel entspricht. Daewoo hätte dort Mais für den menschlichen Verzehr und Pflanzen für Biosprit angebaut und die Erzeugnisse exportiert, obgleich in Madagaskar selbst gehungert wird und Treibstoffmangel herrscht. Es wurde die Vermutung aufgebracht, daß Ravalomanana zeitnah zu diesem Deal von Daewoo ein sattes Bakschisch in Gestalt einer nach seiner Vorstellung umgebauten Boeing 737 für fast 50 Millionen Euro erhielt. [2]

Rajoelina verstand es, mit Verweis auf solche Bereicherungen seines Kontrahenten viele Einwohner auf seine Seite zu ziehen, und schließlich folgte ihm auch das Militär. Wobei hier die Frage zu stellen ist, ob das Angebot Rajoelinas an die führenden Generäle schlicht und einfach lukrativer war als das Ravalomananas. Denn allen Seiten geht es offenbar nicht darum, den allgemeinen Mangel an Nahrung, Wasser, Energie und sicheren Unterkünften zu beenden, sondern ihn so zu organisieren, daß die eigenen üppigen Profite davon nicht geschmälert werden.

Die beiden Kontrahenten durften nicht zur jetzigen Wahl antreten, das war als Bedingung zwischen der madagassischen Übergangsregierung und der Entwicklungsgemeinschaft im südlichen Afrika (SADC - Southern African Development Community), die in dem Konflikt vermittelt hat, vereinbart worden. Aber beide haben ihre Stellvertreter ins Rennen geschickt, wobei Ravalomananas Mann, der ehemalige Gesundheitsminister, derzeit die Nase vorn hat.

Die führenden Kandidaten gehören zum madagassischen Establishment. Sie lassen keinen grundlegenden Richtungswechsel in der Regierungspraxis erkennen. So hatte zwar Ravalomanana einige Investitionen in die Infrastruktur des Landes getätigt, was gewisse Erfolge zeitigte, aber zugleich verarmten die Menschen und konnten sich als Folge der Inflation nicht einmal mehr ausreichend Grundnahrungsmittel leisten.

Somit kann konstatiert werden, daß sich Madagaskar im Griff von Rivalen aus der Oberschicht befindet. Zu denen muß man noch den 2001 abgewählten Präsidenten Didier Ratsiraka zählen, der ebenfalls nicht selber zur Wahl antreten durfte, aber noch über Seilschaften im Land verfügt. Selbst wenn mit den von vielen Einwohnern herbeigesehnten Wahlen der Konflikt innerhalb der Elite um die Regierungsführung beigelegt würde, bliebe der grundlegende gesellschaftliche Konflikt, der zwischen Arm und Reich auszutragen wäre, unberührt.

Ebenfalls unberührt von dem Konflikt bleiben vor allen Dingen ausländische Unternehmen, die schon mit ihren Hufen scharren, weil sie in dem Land in größerem Umfang Bergbau betreiben wollen. Madagaskar verfügt über reichlich Rohstoffvorkommen (Titan, Nickel, Eisen, Bauxit und vermutlich auch Erdöl im Offshore-Bereich), die bislang wenig ausgebeutet wurden. Auch das Potential, mehr als bisher Vanille und Garnelen zu exportieren, ist noch nicht ausgeschöpft, und schließlich werden sich in einem derart tief ins Elend gestürzten Land sicherlich leicht Arbeitskräfte finden, die froh sind, für einen Hungerlohn Strickwaren und Textilien für den Weltmarkt herstellen zu dürfen.

Da es viele arme Länder gibt, die auf Anraten von IWF und Weltbank versuchen, Wirtschaftswachstum durch die Steigerung ihrer Exportquote zu erzielen, würde Madagaskar um so mehr der zugespitzten Konkurrenzsituation des Weltmarkts ausgesetzt, was absehbar darin münden dürfte, daß die Unternehmen die Lohnkosten drücken. Insofern würde für den Fall, daß nach der Wahl stabile politische Verhältnisse einkehren, die Armut nicht behoben, sondern befestigt.

Bis dahin wird das Elend von der internationalen Gemeinschaft nach altbekanntem Muster verwaltet. So teilte das auf Spenden der Geberländer angewiesene Welternährungsprogramm (WFP - World Food Programme) am Tag der Präsidentschaftswahl mit, daß ihm 25 Millionen Dollar zur Behebung des Hungers in dem Land fehlen und es sich deshalb auf die Versorgung von 400.000 Einwohnern aus der Gruppe der Bedürftigsten im Süden der Insel beschränken wird. [3]

Da nach UN-Angaben in dem Land mindestens zehn Millionen Einwohner chronisch unterernährt sind, würde also bestenfalls nur jeder 25. vom WFP versorgt. Diese einfache Rechnung können auch die UN-Organisation und die Geberländer aufstellen, was bedeutet, daß hier sehenden Auges Menschen dem Siechtum und womöglich Hungertod überantwortet werden. Andere dagegen, die jetzt ihre Marionetten in den Wahlkampf geschickt haben, ringen mit ihresgleichen um Einfluß und Reichtum. Diesen Widerspruch in Angriff zu nehmen und zu beheben setzte sicherlich eine über die nationalen Grenzen hinausgehende Befreiung von den herrschenden Interessen voraus.


Fußnoten:

[1] http://dw.de/p/1A71N

[2] http://www.taz.de/!30243/

[3] http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=46340&Cr=madagascar&Cr1=#.Um6kV3XuJdg

28. Oktober 2013