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AFRIKA/2090: Milizenführer in Côte d'Ivoire verhaftet - Bauernopfer im Eliten-Konflikt? (SB)


Verhaftung eines Milizenführers kein Zeichen für ein Ende der Siegerjustiz



In der vergangenen Woche haben die ivorischen Behörden den Milizenführer Amadé Ouérémi verhaftet. [1] Ihm wird zur Last gelegt, bei Unruhen, die vor gut zwei Jahren im Zusammenhang mit dem umstrittenen Ausgang der Präsidentenwahl ausgebrochen waren, schwere Massaker in der Stadt Duékoué begangen zu haben bzw. für sie mitverantwortlich zu sein.

Nach den Wahlen vom November 2010 in Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) war es zwischen Amtsinhaber Laurent Gbagbo und seinem Herausforderer Alassane Ouattara zu einem fünfmonatigen Machtkampf um das höchste Amt im Staat gekommen, wobei sich die Schutzmacht Frankreich, die UN-Truppen und die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS auf die Seite Ouattaras stellten. Gbagbo war nicht bereit, das von der Wahlkommission verkündete Wahlergebnis, das Ouattara als knappen Sieger auswies, anzuerkennen und den Thron zu räumen. Er forderte eine Neuauszählung einiger Stimmbezirke im Norden des Landes, der Hochburg Ouattaras, und ließ die Lage eskalieren.

Das galt allerdings ebenfalls für seinen Herausforderer, den früheren ivorischen Premierminister und ehemaligen Manager des Internationalen Währungsfonds (IWF). Auch Ouattara war nicht mehr zu Verhandlungen bereit und setzte auf die militärische Karte, wobei seine republikanischen Streitkräfte maßgebliche Unterstützung durch das französische Militär erhielten; nicht zuletzt bei der Eroberung der Residenz in Abidjan, in der sich Gbagbo Anfang April 2011 verschanzt hatte. Das Eingreifen bildete den Auftakt zu einer Serie militärischer Interventionen der Grande Nation in Afrika, die offensichtlich damit ihren Einfluß in der Region zu sichern sucht.

Während des blutigen Konflikts seien mindestens 3000 Menschen gewaltsam ums Leben gekommen und 150 Frauen vergewaltigt worden. Die Täter seien auf beiden Seiten der Front zu finden, berichtete die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Die Taten geschahen "entlang politischer, ethnischer und religiöser Linien". [2]

Beim Vormarsch der Ouattara-Milizen 2011 vom Norden her auf die Wirtschaftsmetropole Abidjan zu wurden nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes in der Stadt Duékoué, in der viele Anhänger Gbagbos vom Volk der Guéré lebten, 800 Einwohner systematisch ermordet. Bis jetzt wurde niemand wegen dieser Taten zur Rechenschaft gezogen.

Laurent Gbagbo hingegen wurde im April 2011 verhaftet und im November des Jahres an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag überstellt, wo er sich seitdem wegen seiner mutmaßlichen, indirekten Mittäterschaft an Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verantworten hat. Wohingegen Ouattara, den man mit gleicher Berechtigung für die Taten seiner Kämpfer und Verbündeten zur Rechenschaft ziehen könnte, die Spitze des Staates einnahm. Ihm wird seitdem der Vorwurf gemacht, er lasse ausschließlich Menschenrechtsverletzungen, die Gbagbo-Anhängern zur Last gelegt werden, verfolgen. Mehr als 150 von ihnen wurden festgenommen, davon wird mindestens 48 Personen Genozid vorgeworfen. Sie sitzen seit zwei Jahren in Untersuchungshaft. Laut einem Bericht der für ihre umfangreichen politischen Analysen zu Afrika bekannten Website Pambazuka sollen sich sogar noch 668 Gbagbo-Anhänger seit zwei Jahren in Haft befinden. [3]

Mit der Verhaftung des Milizenführer Ouérémi vor wenigen Tagen sollen anscheinend die Kritiker der Regierung zum Schweigen gebracht werden. Er wäre demnach ein Bauernopfer, wobei das Wort "Opfer" unangebracht erscheint, sollte er auch nur einen Teil der ihm zur Last gelegten Taten zu verantworten haben.

Laut dem aktuellen Bericht von Human Rights Watch ist allerdings zur Zeit gar nicht klar, ob Ouérémi wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung an den Massakern in der Stadt Duékoué oder aber wegen seiner fortgesetzten Weigerung, das unter Schutz stehende Waldgebiet Mont Peko zu verlassen, verhaftet wurde. Auffällig ist zumindest der Zeitpunkt der Verhaftung: Der fiel wohl nicht zufällig auf Mitte Mai, wurde doch Alassane Ouattara fast genau zwei Jahre zuvor, am 21. Mai 2011, als Präsident vereidigt.

Human Rights Watch erklärte, die ivorische Regierung habe seit der Amtsübernahme von Präsident Ouattara nur geringe Fortschritte bei der Verfolgung der Wurzeln der politisch-militärischen Gewalt in der zurückliegenden Dekade gemacht. Ungeachtet der wirtschaftlichen Erholung (laut IWF lag das Wirtschaftswachstum 2012 bei fast 10 Prozent) gefährdeten diese Probleme die langfristige Stabilität des Landes.

"Stabilität" ist ein Begriff, der zwar im allgemeinen positiv besetzt wird, bedeutet aber in der Elfenbeinküste und vielen anderen Ländern, daß die gesellschaftliche Ordnung mit einer kleinen reichen Oberschicht und einer großen Masse von Armen kaum zu durchbrechen, geschweige denn in ihren Grundfesten zu erschüttern ist. Bis zur Beendigung der Konflikts in der Elfenbeinküste durch die Verhaftung Gbagbos gehörten er und Ouattara zu verschiedenen Kreisen innerhalb des Establishment des Landes. Beide profitierten von einer gesellschaftlichen Ordnung, in der rund 43 Prozent der Bevölkerung verarmt sind. Wobei oftmals selbst diejenigen zu den Armen zählen, die in den zweifelhaften Genuß einer Anstellung als landwirtschaftliche Hilfskräfte auf einer der großen Kakao-, Kaffee- oder Baumwollplantagen gelangen.

Nicht nur Gbagbo, dessen Schweizer Konten eingefroren wurden, auch Ouattara ist ein vermögender Mann, und beide haben ihren Eliten-Konflikt auf den Köpfen der Bevölkerung blutig ausgetragen, wobei einer von ihnen tief gefallen und der andere weiter aufgestiegen ist. Der häufiger zu vernehmende Vorwurf an Ouattara, er betreibe Siegerjustiz, trifft demnach in einem viel umfänglicheren Sinn zu, als damit gemeint ist.


Fußnoten:

[1] allafrica.com/stories/201305220392.html?aa_source=mf-hdlns

[2] http://allafrica.com/stories/201305211210.html?viewall=1

[3] http://allafrica.com/stories/201305101219.html?viewall=1

22. Mai 2013