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AFRIKA/2084: Pressezensur und ethnische Verfolgung - Realität im "befreiten" Mali (SB)


UN-Bericht - Menschenrechtsverletzungen in Mali seitens der Armee



Der malische Übergangspräsident Dioncounda Traoré hat die Vorwürfe aus einem UN-Bericht, wonach malische Soldaten beim Vormarsch der französischen Armee in den Norden des Landes Rache an Mitgliedern bestimmter ethnischer Gruppen begangen haben, zu relativieren versucht. "So viele Übergriffe sind mir nicht bekannt", sagte er am Dienstag bei seinem Besuch in der senegalesischen Hauptstadt Dakar. [1]

Demnach sind Traoré Vergeltungsmaßnahmen bekannt, aber nicht so viele, wie von den UN-Ermittlern angegeben. Seine Erklärung wundert nicht, besaßen diese doch unter anderem die Aufgabe, Übergriffe auf die Zivilbevölkerung durch malische Regierungssoldaten festzustellen. Der nach einem Militärputsch im März 2012 eingesetzte Übergangspräsident dürfte ein nur geringes Interesse daran haben, Kritik an jenen zu üben, von denen er eingesetzt wurde.

Blick über Malis grüne Hauptstadt - Foto: Arensond, freigegeben als public domain via WikimediaCommons

Bamako - üppige Vegetation und angenehmes Klima, März 2008
Foto: Arensond, freigegeben als public domain via WikimediaCommons

Diese Woche Dienstag berichtete die stellvertretende UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Kyung-wha Kang, in Genf, daß Mitglieder der Peuhl und der Tuareg sowie arabischer Ethnien Übergriffen seitens der Regierungsarmee ausgesetzt sind. Die Lage in Mali werde durch hetzerische Reden angeheizt, auch seitens der Medien. Mitglieder der verfolgten Ethnien werden stigmatisiert und sind zu Tausenden geflohen, da sie Racheakte seitens der malischen Armee fürchten. Wer in Mali geblieben sei, lebe nun in Furcht, "aber nicht wegen dem, was er getan hat, sondern dem, was er ist", sagte die südkoreanische Menschenrechtlerin vom Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR). [2]

Der UN-Bericht stützt sich im wesentlichen auf zwei Ermittlungsmissionen, die den Zeitraum 17. Januar 2012, als der Aufstand der Tuareg-Rebellen begann, bis 20. November 2012 abdecken, und er schließt sämtliche Übergriffe ein, also auch die anderer kämpfender Gruppen in den nordmalischen Regionen Kidal, Gao und Timbuktu. In dem Bericht wird weiterhin festgestellt, daß seit der französischen Invasion im Januar 2013 Racheakte an Mitgliedern anderer Ethnien verübt werden. Die Übergriffe seitens der islamistischen Fundamentalisten wurden weitgehend gestoppt, aber anschließend kam es in den zurückeroberten Gebieten zu umfangreichen Menschenrechtsverletzungen. Von gewaltsamen Übergriffen und Vertreibungen ist die Rede.

Die Regierung Malis habe sich zur vollen Einhaltung internationaler Menschenrechte bekannt und zugesagt, Straflosigkeit zu bekämpfen, sagte Kyung-wha Kang, die anschließend kritisierte: "Allerdings wurden diese Verpflichtungen noch nicht genügend in konkrete Handlungen übersetzt."

Damit umschreibt die UN-Hochkommissarin mit höflichen Worten, was eine viel größere Aufmerksamkeit verdient hätte. Denn das militärische Eingreifen Frankreichs sollte eigentlich der Befreiung Nordmalis von der monatelangen Schreckensherrschaft durch islamistische Fundamentalisten dienen, welche in den von ihnen eroberten Gebieten die Scharia einführten. Wenngleich die Islamisten aus den Städten vertrieben wurden, wollen viele Flüchtlinge nicht in ihre Heimat zurückkehren, weil sie befürchten, Opfer von Racheakten seitens der vermeintlichen Befreier zu werden.

Nicht nur in dieser Hinsicht müssen sich Frankreich und die malische Übergangsregierung Fragen stellen. So existiert praktisch keine unabhängige Presseberichterstattung. Der gesamte Norden Malis ist nicht zugänglich, internationale Medienvertreter müssen in der Hauptstadt Bamako bleiben. Nur wenigen eingebetteten Journalisten wird die Möglichkeit eingeräumt, aus Nordmali zu berichten.

Unterdessen bleibt der Herausgeber der malischen Online-Zeitung Le Républicain, Boukary Daou, in Haft, ohne daß Anklage gegen ihn erhoben wird, wie Radio France Internationale meldete. [3] Daou war am 6. März verhaftet worden, nachdem die Zeitung einen Brief veröffentlicht hatte, wonach die Ausrüstung und Verpflegung der Soldaten im Kampf gegen die Islamisten mangelhaft ist. Darüber hinaus schrieben die Soldaten, daß die militärische Führung in komfortablen Verhältnissen in Bamako lebt, während ihre Kameraden in der nördlichen Wüste litten. In einem weiteren Beitrag hatte Le Républicain berichtet, daß die Redaktion wiederholt Besuch von Sicherheitsbeamten erhalten hat. In dem Artikel werden alle Malier gewarnt, daß nicht nur die Pressefreiheit, sondern die fundamentalen Menschenrechte gefährdet sind

Staubtrockene Sandpiste in Geröllwüste - Foto: Alicroche, freigegeben als CC BY-SA 2.0 Generisch via WikimediaCommons

Zufahrt zur nordmalischen Stadt Kidal
Foto: Alicroche, freigegeben als CC BY-SA 2.0 Generisch via WikimediaCommons

So einfach, wie manchmal in den hiesigen Medien die französische Intervention in Mali geschildert wird, sind die Verhältnisse in dem Sahelstaat nicht. Am 21. März 2012 hatte das malische Militär unter Hauptmann Amadou Sanogo geputscht und den vom Volk gewählten Präsidenten Amadou Toumani Touré für abgesetzt erklärt.

Demnach hat Frankreich mit seiner Intervention Putschisten unterstützt. Zwar wurde der Vorgang sogar von der Afrikanischen Union abgesegnet, laut deren Statuten keine Regierung anerkannt wird, die nicht mit demokratischen Mitteln an die Macht gelangt ist, aber es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob das Zurechtbiegen rechtlicher Standards dann in Ordnung geht, wenn dadurch ein angeblich größeres Unrecht verhindert werden soll. Steckt eine solche Rechtsauffassung in letzter Konsequenz nicht auch hinter der Frage, ob das Foltern von Menschen in Ordnung geht, wenn dadurch ein Menschenleben gerettet werden kann? Ist somit die Auslegung des Rechts eine Frage der Gewaltmittel, mit denen der eigene Standpunkt im Zweifelsfall durchgesetzt wird?

Vergeltungsakte, Schüren ethnischer Konflikte, willkürliche Verhaftungen und massive Einschränkungen der Pressefreiheit - wer der malischen Regierung und den Interventionisten irgendeine Legitimation zubilligt, muß sich fragen, ob diese ihre Glaubwürdigkeit nicht in dem Moment verspielt haben, als sie es versäumten, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um die Zivilbevölkerung vor Übergriffen aus den eigenen Reihen zu schützen.


Fußnoten:

[1] http://allafrica.com/stories/201303131388.html?aa_source=sptlgt-grid?aa_source=sptlgt-grid

[2] http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=44349&Cr=+mali+&Cr1=#.UUHUo0E1Hgg

[3] http://allafrica.com/stories/201303131197.html?viewall=1


14. März 2013