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AFRIKA/2077: ZAR - Zerrüttete Armutsregion (SB)


Rebellenvormarsch auf Bangui - Läßt Frankreich Regime Change zu?



Gut zwei Jahrzehnte nach der Aufhebung der Blockkonfrontation USA versus Sowjetunion und dem Ende aufreibender Stellvertreterkriege wird die afrikanische Staatenwelt von einer wachsenden Zahl an Konflikten zerrüttet. Dabei spielen sich manchmal die alten Kolonialmächte als die neuen auf. Zum Beispiel Frankreich. Vor zwei Jahren hat sich die Grande Nation, soeben zurückgekehrt in den Schoß der NATO-Gemeinschaft, an die Spitze der Interventionskräfte in Libyen gestellt. Kurz darauf hat sie in der Elfenbeinküste keine friedliche Klärung eines umstrittenen Wahlausgangs angestrebt, sondern den früheren IWF-Manager und Sarkozy-Vertrauten Alassane Ouattara mit militärischen Mitteln an die Macht gebracht. Auch am gegenwärtigen Umsturzversuch in Syrien mischt Frankreich kräftig mit.

Doch wie steht es mit der ZAR, der Zentralafrikanischen Republik, einem Binnenstaat von der Größe Frankreichs mit nur 4,5 Millionen Einwohnern? Dort hat sich die Rebellenallianz Séléka ("Bündnis" in der Nationalsprache Sango) gebildet und seit dem 10. Dezember weite Teile des Landes eingenommen. Inzwischen wurden die Stellungen bis auf unter 75 Kilometer an die Hauptstadt Bangui herangeschoben. Nahezu ohne auf Gegenwehr gestoßen zu sein.

Vor wenigen Tagen appellierte ZAR-Präsident François Bozizé an die USA und Frankreich, seinen "Vettern", zu seinen Gunsten zu intervenieren. Vergebens. Die USA haben ihre Botschaft in Bangui geschlossen - eine unmißverständliche Stellungnahme gegen die Regierung, der man nicht nur nicht zutraut, gegen die Rebellenallianz zu bestehen, sondern der man offensichtlich auch keine Unterstützung zukommen lassen will. Ähnliches gilt für Frankreich. Der französische Präsident François Hollande erklärte unumwunden, daß man sich "in keiner Weise in die inneren Angelegenheiten des Landes einmischen" werde. Die frühere Kolonialmacht hat etwa 250 Soldaten in der ZAR stationiert. Diese Kräfte sollen die rund 1200 in dem afrikanischen Land lebenden französischen Staatsangehörigen und "nicht ein Regime beschützen", so Hollande. Am Mittwoch hatten Protestierende wegen der Zurückhaltung des Bündnispartners die französische Botschaft mit Steinen beworfen. Zwischen Frankreich und der ZAR besteht zwar ein Verteidigungspakt, aber der gilt nur bei einem Angriff von außen. Danach sieht es jedoch nicht aus, die Rebellen stammen offenbar aus der ZAR selbst.

Die rund 5000 Mann starke Regierungsarmee Faca gilt als schwach, da unterbezahlt und militärisch größtenteils kaum ausgebildet. Ohnehin könnte sie ein Territorium von der Größe Frankreichs nicht halten, ein Rückzug in die Hauptstadt war somit naheliegend.

Die ZAR ist das fünftärmste Land der Welt, obwohl es über reichlich Rohstoffe verfügt. Uran, Erdöl, Gold und Diamanten zählen zu den wichtigsten Bodenschätzen. Die sind noch nicht einmal vollständig erkundet, geschweige denn daß sie im großen Maßstab ausgebeutet werden.

Wird Bozizé von seinen westlichen Partnern fallengelassen? Hat er etwas getan oder gesagt, daß dazu Anlaß geben könnte? Die postkoloniale Zeit der ZAR war stets sehr unruhig. Im Jahr 2003 hatte sich Bozizé an die Macht geputscht. Obwohl er sich bis jetzt halten konnte, waren die politischen Verhältnisse seitdem nie stabil. So haben sich die Rebellen eigenen Angaben zufolge nur deshalb zusammengeschlossen, weil der Präsident seine Zusagen aus mehreren Friedensabkommen zwischen den Jahren 2007 und 2011 nicht eingehalten hat.

Man muß nicht tief graben, um auf mögliche Gründe für Frankreichs Zurückhaltung zu stoßen. Vor fünf Jahren hatte der damalige französischen Präsident Nicolas Sarkozy seinen Amtskollegen bei einem Besuch im Élysée-Palast in nur 17 Minuten abgefertigt. Zwar hatten noch im März 2007 die französischen Streitkräfte in der nordöstlichen Provinzhauptstadt Birao zugunsten Bozizés und gegen die Rebellenorganisation UFDR (Union demokratischer Kräfte für die Sammlung) militärisch massiv interveniert - wobei die weitgehende Zerstörung Biraos nicht auf das Konto der Rebellen, sondern das der berüchtigten Präsidentengarde gegangen war -, doch schon im April 2007 privatisierte Bozizé den Erdölsektor, ohne sich zuvor mit Frankreich abgestimmt zu haben!

Die Franzosen nannten ihren damaligen Präsidenten l'Américain, den Amerikaner, weil Sarkozy starke Affinitäten zu den Vereinigten Staaten besitzt, was auch in wirtschaftlicher Hinsicht galt. Dennoch hatte er sich stets um eine Gratwanderung zwischen dem Neoliberalismus nach amerikanischer Lesart und dem gaullistischen Konservatismus seiner Partei UMP (Union pour un mouvement populaire; Union für eine Volksbewegung) bemüht. Eindeutig hatte Bozizé eine Grenze überschritten, denn mit der Privatisierung wurde die französische Total AG, bis dahin Hauptanteilseigner des staatlichen Erdölunternehmens Sogal, schlicht hinausgeworfen. Außerdem wird der französische Energiekonzern Areva seit einigen Jahren für die Abbaurechte für die Uranmine von Bakouma kräftig zur Kasse gebeten. Aus diesen und weiteren Gründen gilt das Verhältnis zwischen Paris und Bangui seit einigen Jahren als belastet.

Ein Regime Change in der Zentralafrikanischen Republik, gegen den Frankreich möglicherweise nichts unternehmen wird, brächte zwar immer auch Unwägbarkeiten mit sich, aber möglicherweise verspricht sich die frühere Kolonialmacht Vorteile von einer Neuordnung der politischen Verhältnisse. Weitere Gründe, nicht zu intervenieren, haben weniger mit der ZAR zu tun, die für Frankreich durchaus von strategischer Bedeutung für seine Ambitionen auf dem afrikanischen Kontinent ist, und auch nicht mit einer plötzlichen Grundsatzposition gegen militärische Interventionen, wie sie Hollande behauptet hat ("Diese Zeiten sind vorbei"), als vielmehr mit der Finanz- und Wirtschaftskrise in der Euro-Zone sowie den militärischen Engagements Frankreichs in anderen Weltregionen.

Leidtragende des Machtkampfs sind die Einwohnerinnern und Einwohner der ZAR, von denen sich wieder einmal Tausende auf der Flucht befinden und die nicht wissen, ob sie sich mehr vor den Rebellen oder den Regierungssoldaten fürchten müssen.

28. Dezember 2012