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AFRIKA/2012: Teersand-Abbau in Madagaskar - Ausverkauf und Umweltschäden (SB)


Armutsland Madagaskar verschenkt quasi zehn Jahre lang sein Öl

Einer der artenreichen Regionen der Welt stehen schwerste Umweltzerstörungen aufgrund des Teersandabbaus bevor


Ein Blick auf die jüngste Vereinbarung zwischen der madagassischen Regierung und dem Aktienunternehmen Madagascar Oil über die Gewinnung von Öl aus Teersanden bestätigt die Erfahrung, daß ein schwacher Staat der Ausbeutung von Ressourcen durch Unternehmen am wenigsten entgegenzusetzen hat. In den ersten zehn Jahren des bevorstehenden Teersandabbaus soll die Regierung nur ein (!) Prozent der Einnahmen aus der Ölproduktion erhalten, meldete die britische Zeitung "The Guardian" [1] am Montag. Veranlaßt wurde der Bericht offenbar dadurch, daß Madagascar Oil an jenem Tag an der Londoner Börse AIM Aktien im Wert von 50,5 Millionen brit. Pfund emittiert hat.

Madagaskar zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Der frühere Bürgermeister der Hauptstadt Antananarivo, Andry Rajoelina, übernahm im Februar/März 2009 mit Unterstützung des Militärs die Macht und erklärte sich zum Staatsoberhaupt. Damals besaß der 35 Jahre junge, ehemalige Profi-DJ [2] eine breite Anhängerschaft in der Bevölkerung. Nicht zuletzt weil er ein unsägliches Abkommen des damaligen Präsidenten Marc Ravalomanana mit dem südkoreanischen Konzern Daewoo aussetzte, wonach das Unternehmen die Hälfte der landwirtschaftlichen Fläche steuerfrei für 99 Jahre gepachtet hätte, um dort Reis und anderes, für den Export bestimmtes Getreide anzubauen.

Die Gegenleistung, sofern man in diesem Kontext überhaupt von einer Leistung sprechen wollte, hätte in der Zusage des Unternehmens bestanden, Infrastruktureinrichtungen wie Straßen, Eisenbahnverbindungen, Hafenanlagen oder Dorfschulen zu bauen. Bis auf letztgenannte, die womöglich nichts anderes als simple Baracken gewesen wären, hätte Daewoo die Anlagen vermutlich sowieso bauen müssen, um die Ernte zur Küste zu bringen und zu verladen. Der Nutzen dieser "Gegenleistung" wäre für Madagaskar insofern gering gewesen, als daß es eine solche Verkehrsinfrastruktur an ganz anderer Stelle benötigt als ausgerechnet in seinen landwirtschaftlichen Kernregionen.

Nun hat es den Anschein, als folge der Putschist Rajoelina seinem "Vorgänger" und schlösse mit ausländischen Ölkonzernen einen Vertrag zur faktischen Plünderung der Teersande ab, ohne daß Madagaskar etwas davon hat. Eine Besteuerung von ein Prozent über zehn Jahre ist fast nichts. Der Vertrag sieht für die weiteren zehn Jahre staatliche Einnahmen von 20 Prozent und für die dritte Dekade von 30 Prozent vor. Selbst dieser Wert ist lächerlich gering verglichen mit dem, was andere Staaten, die mit internationalen Konzernen bei der Ölförderung zusammenarbeiten, ausgehandelt haben. Die britische Regierung hat im zurückliegenden Jahrzehnt 50 Prozent der Einnahmen aus dem Nordseeöl erhalten, die Regierung von Tschad erhebt für einige Ölfelder bis zu 60 Prozent Steuern, Norwegen ist mit 78 Prozent dabei und Saudi Arabien kann bis zu 85 Prozent des Umsatzes der Erdölförderung abschöpfen. [3]

Teer- bzw. Ölsande abzubauen galt viele Jahrzehnte als unökonomisch. In der kanadischen Provinz Alberta, dem weltweit größten Abbaugebiet für Teersande, rentieren sich die Investitionen, wenn der Weltmarktpreis die 50-Dollar-Marke pro Faß (ca. 159 Liter) übersteigt. Deshalb fressen sich seit einigen Jahren unter Hochdruck riesige Schaufelbagger und Raupenfahrzeuge durchs Land. Es herrscht die Zeit des globalen "Peak Oil". Damit wird das weltweite Fördermaximum beschrieben, nach dessen Überschreiten der Aufwand und damit die Kosten der Ölförderung stark zunehmen werden, ohne daß die Fördermenge gehalten werden kann.

Der Abbau von bitumenhaltigen Sanden in Madagaskar könnte als typisches Peak-Oil-Phänomen bezeichnet werden. Die im Westen der Insel gelegenen Vorkommen sind den Einheimischen seit Jahrhunderten, den Kolonialherren seit dem 19. Jahrhundert bekannt, doch haben sich Investoren bislang zurückgehalten. Zum einen deshalb, weil sich der Abbau, wie gesagt, erst seit einigen Jahren lohnt, zum anderen weil die politischen Verhältnisse in Madagaskar instabil sind. Erst vor kurzem kam es zu einem erneuten Putschversuch. Daß sich das 2004 gegründete, auf den Bahamas registrierte und in Houston ansässige Unternehmen Madagascar Oil [4] in das "Abenteuer" stürzt, hat sicherlich mit den ausgesprochen vorteilhaften fiskalischen Bedingungen zu tun, unter denen es die Teersande abbauen darf.

Welche Umweltschutzmaßnahmen den beteiligten Unternehmen auferlegt werden, ist nicht bekannt. Angesichts der finanziellen Abwicklung muß man mit dem schlimmsten rechnen, was bedeutet, daß Madagascar Oil womöglich beliebig schalten und walten darf. Das Unternehmen selbst behauptet auf seiner Website [5], es sei den höchsten internationalen Umweltschutzstandards verpflichtet. Darüber hinaus erfülle es lokale und internationale Bestimmungen sowie Weltbank-Standards. Bekanntlich ist Papier geduldig. Das, was ein Unternehmen behauptet, und das, was es tut, stimmt nicht immer überein ...

Die Umweltzerstörungen könnten sich als verheerend erweisen, wie bereits der Ölsandabbau in Kanada zeigt. Der Bitumenanteil des madagassischen Materials liegt sogar teilweise deutlich unter dem des kanadischen, so daß eine erheblich größere Menge Material für den gleichen Output bewegt werden muß. Wobei das Bitumen nach verschiedenen Methoden gewonnen werden soll. Ein Verfahren sieht vor, daß heißer Wasserdampf in den Untergrund gepreßt wird und das klebrige Öl mit dem Dampf an die Oberfläche getrieben wird. Anschließend ist das Wasser, nachdem es chemisch behandelt wurde, um seinerseits den Bitumenanteil abzuscheiden, zu nichts zu gebrauchen.

In Kanada "verzieren" riesige Sedimentbecken (tailing ponds) die Landschaft. Damit sich auf deren glänzenden Oberfläche keine Vögel niederlassen, werden sie mit Explosionsgeräuschen verscheucht. Schwerwiegende Auswirkungen auf die Umwelt sind auch für Madagaskar zu erwarten. Die rund 587.000 Quadratkilometer große Insel (Deutschland: 357.000 Quadratkilometer) verfügt über eine einzigartige Biodiversität. Rund 85 Prozent der Tier- und Pflanzenarten sind endemisch. Der Schwerpunkt der Artenvielfalt liegt zwar im Osten des Landes [3], aber zumindest die Vogelwelt hält sich nicht an solche geographischen Orientierungen. Es wunderte daher nicht, wenn in den nächsten Jahren Berichte über den Vogeltod den Weg in die internationale Presse fänden. Zumal die örtliche Umweltschutzallianz Voahary Gasy und die internationale Organisation Platform bereits vor den ökologischen Konsequenzen des Teersandabbaus in Madagaskar gewarnt haben. Sie ahnen, was da auf das Land zukommt.

Madagascar Oil ist im Besitz von Lizenzen für fünf Explorationsfelder mit einer Gesamtfläche von 29.500 Quadratkilometern. Davon sollen zunächst die beiden attraktivsten, 3102 Tsimiroro und 3104 Bemolanga, ausgebeutet werden. [6] Die Fördermenge Tsimiroros wird auf 965 Millionen Barrel geschätzt, was bei einer veranschlagten Tagesausbeute von 87.500 Barrel für 30 bis 40 Jahre reicht. [7] Beim weltgrößten, unerschlossenen Teersandfeld Bemolanga arbeitet das Unternehmen mit der französischen Ölgesellschaft Total zusammen. Diese hat 100 Millionen Dollar für 60 Prozent der Anteile dieses Fördergebiets erworben. Bemolangas Kapazität wird mit 1,179 Mrd. Barrel angegeben. Die kommerzielle Produktion beginnt voraussichtlich im Jahr 2018. Mehr als 30 Jahre lang sollen hier täglich 180.000 Barrel Öl gewonnen werden. Die Investitionskosten belaufen sich auf rund neun Milliarden Dollar.

Nach Einschätzung der Wirtschaft wird bei dem in Tsimiroro verwendeten In-situ-Verfahren ein Barrel Öl verbraucht, um fünf Barrel Öl zu gewinnen (In Alberta beträgt das Verhältnis 1 zu 5,5). In Bemolanga hingegen sollen die Ölsande in einer offenen Grube abgebaut werden. Die abzutragende Deckschicht ist dabei im Mittel "nur" 15 Meter dick. Das Material enthält einen Bitumenanteil von 5.5 bis maximal 12 Prozent (Alberta: 11 Prozent).

Die kanadische Regierung hat gedroht, sie werde die Ölsandunternehmen verpflichten, ihre Kohlendioxidemissionen durch die Verwendung von CCS-Verfahren (carbon capture and storage) zu reduzieren. In Madagaskar sei dieses Thema gar nicht angesprochen worden, räumte Laurie Hunter, CEO von Madagascar Oil, laut dem "Guardian" [1] ein. Man darf vermuten, daß vieles weitere nicht angesprochen wurde, was zum Schutz der madagassischen Umwelt beitragen könnten. (Womit hier kein Plädoyer für die CCS-Technologie gehalten werden soll.)

Die sozialen Spannungen sind in Madagaskar so stark, daß einem Vertrag wie dem zwischen der Regierung und Madagascar Oil, eine enorme Sprengkraft attestiert werden muß. So wie Ravalomanana auch wegen dem geplanten Daewoo-Deal stürzte, hat Rajoelina wegen dem Ölgeschäft reichlich Gegenwind zu erwarten. Ob er dies überstehen wird, ist ungewiß. Sollte Madagaskar unter welchem Präsidenten auch immer zur Ölexportnation aufsteigen, bedeutete das für die ersten zehn Jahre, daß keine nennenswerten Einnahmen ins, aber jede Menge Öl aus dem Land fließen. Vielleicht wird es in dieser Zeit sogar zu einem direkten finanziellen Verlust kommen, sollte sich die Regierung verpflichtet haben, einen Teil der Infrastrukturmaßnahmen, die für den Abtransport des Öls benötigt werden, zu übernehmen.

Mit der zweiten und dritten Dekade der Ölförderung verbessern sich scheinbar die Aussichten auf Einnahmen aus dem Teersandabbau. Aber wer garantiert, daß die Konzerne so lange in Madagaskar tätig sind? Werden es Madagascar Oil und Total nicht darauf anlegen, die Fördermenge möglichst rasch zu steigern, so daß die wirtschaftlich abbaubare Menge früher erschöpft wird?

Die Probleme Madagaskars sind gewaltig. Eine stärkere Position des Staates gegenüber der Wirtschaft wäre wünschenswert und hätte womöglich den Abschluß solch eines im doppelten Sinn ausbeuterischen Vertrags verhindert. Zwar bedeutet ein starker Staat nicht automatisch Schutz vor einer Plünderung der wertvollen Ressourcen des Landes, aber ohne eine staatliche Aufsicht würde der Ausbeutung auf jeden Fall Tür und Tor geöffnet.


*


Anmerkungen:

[1] "Madagascar Oil brings tar sands project to London market", The Guardian, 29. November 2010
http://www.guardian.co.uk/business/2010/nov/29/oil-oilandgascompanies

[2] Rajoelinas früherer Beruf als Disc-Jockey fehlt in keiner Schilderung seiner Biographie. Wir sind allerdings nicht der Ansicht, daß ihn das weniger geeignet für den Job als Staatspräsident erscheinen läßt als, sagen wir, wenn er zuvor Schauspieler gewesen wäre.

[3] "The return of Madagascar´s oil", Make Wealth History, 30. November 30
http://makewealthhistory.org/2010/11/30/the-return-of-madagascars-oil/

[4] Nach Angaben des Unternehmens gehören zu den Aktionären:

Touradji Group - 15.26%
Persistency Group - 11.85%
Grafton Group - 8.82%
The John Paul DeJoria Family Trust - 6.67%
Plainfield Special Situations Master Fund Limited - 6.07%
RAB Special Situations (Master) Fund Limited - 4.52%
Blakeney Group - 3.47%
Malin Affiliates - 2.36%
http://www.madagascaroil.com/investor_aimrule.php

[5] http://www.madagascaroil.com/environment.php

[6] Madagascar Oil ist Ölunternehmen mit den umfangreichsten Onshore-Förderlizenen im Land. Seine weiteren Felder - 3105 Manambolo, 3106 Morondava und 3107 Manandaza - sollen zu einem späteren Zeitpunkt erschlossen werden. Dort wurden schon vor 40 Jahren Explorationsarbeiten durchgeführt, zu einer Erschließung ist es bis heute nicht gekommen.

[7] "Madagascar Oil raises £50.5 mln as it lists on AIM", Pro Active Investors, 29. November 2010
http://www.proactiveinvestors.co.uk/companies/news/23417/madagascar-oil-raises-505-mln-as-it-lists-on-aim--23417.html

30. November 2010