Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

AFRIKA/1988: Shell angeblich von Ölverseuchung im Nigerdelta freigesprochen (SB)


Der Fluch des Goldes in Nigeria: Armut und Umweltverschmutzung

UNEP stellt angeblich Shell und anderen Ölgesellschaften einen Persilschein aus


Unter Beteiligung von einhundert Mitarbeitern hat das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) nach dreijährigen Ermittlungen zur Ölverseuchung des Nigerdeltas herausgefunden, daß nur zehn Prozent der Leckagen, zu denen es in den letzten vierzig Jahren gekommen ist, in der Verantwortung der Ölgesellschaften liegen, neunzig Prozent hingegen gehen auf Sabotage und Öldiebstahl, das sogenannte Bunkering, zurück. Das teilte der Leiter des UN-Teams, Mike Cowing, vergangene Woche in Genf mit, wie die englische Tageszeitung "The Guardian" [1] am Sonntag berichtete. Die Untersuchung gründet sich auf 300 bekannte, massive Ölverseuchungen im Ogoniland, einem Gebiet innerhalb des Nigerdeltas.

Der Befund ist ein Schlag ins Gesicht der Bewohner dieser von der Zentralregierung und den Ölgesellschaften weitgehend vernachlässigten Region, in der die Menschen arm sind, aber die Hauptlast der Umweltverschmutzung aus einem halben Jahrhundert Erdölförderung abbekommen. Die UN-Studie reklamiert für sich, das Ergebnis frei und ungebunden ermittelt zu haben. Sie kommt jedoch nicht um die Feststellung herum, daß die Untersuchung erstens von der Regierung in Auftrag gegeben und zweitens von Shell, dem größten Erdölunternehmen, das in Nigeria tätig ist, mit zehn Millionen Dollar finanziert wurde. Das muß nicht zwangsläufig bedeuten, daß die Gutachter gekauft wurden, doch die Studie, die im Dezember vollständig veröffentlicht werden soll, hat ein bißchen Gschmäckle.

Wer die Geschichte der Erdölförderung in dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas verfolgt hat, weiß, daß Öldiebstähle in den letzten Jahren zugenommen haben. In der Vergangenheit jedoch waren die Leckagen häufiger von den Erdölunternehmen ausgelöst worden. Diese werden jetzt, nach Bekanntgabe der Studie, behaupten, daß sie nicht für die Ölverschmutzungen zuständig sind, die durch Öldiebstahl ausgelöst wurden. Ein nur auf den ersten Blick plausibles Argument. Zumindest muß man sich fragen, ob die Diebstähle auch dann zugenommen hätten, wenn die Bevölkerung des Nigerdeltas stärker an den Einnahmen aus dem Ölexport beteiligt worden wäre.

Der teils bewaffnet geführte Kampf der Ogoni von einst und heute den Ijaw geht direkt auf die weitreichende Verarmung der Einwohner zurück. Würden die Kommunen einen höheren Anteil an den Einkünften aus der Förderung aus 606 Erdölfeldern erhalten, wäre es womöglich nie zu dem heute bekannten Ausmaß an Öldiebstählen oder gar zur Sabotage gekommen. Darüber hinaus fackeln die Ölgesellschaften seit Jahrzehnten das bei der Erdölförderung austretende Erdgas ab. Tag und Nacht brennen die Quellen und verrußen die ganze Region. Trinkwasser, Obst und Gemüse schmecken ölig, auch das dürfte zu der erhöhten Krankheitsrate, den relativ häufigen Fehlgeburten und der im Landesdurchschnitt niedrigen Lebenserwartung der Bewohner des Nigerdeltas - er ist in den letzten zwei Generationen auf beinahe vierzig Jahre gefallen - beitragen.

Hier soll der Öldiebstahl nicht gerechtfertigt werden, aber stellt es nicht eine um so größere Verlockung dar, Pipelines anzubohren und Öl abzuzapfen, wenn man weiß, daß von der eigenen Regierung keine Unterstützung zu erwarten ist, gleichzeitig aber die Bewohner der Region erkranken, und das alles seit zwei Generationen? Liegt es nicht zumindest nahe, daß die Menschen entweder politisiert werden und für eine andere Gesellschaft kämpfen oder aber zu den Waffen greifen, um sich schlicht zu bereichern? Summa summarum bedeutet das jedoch, daß die Ölgesellschaften keineswegs aus der Verantwortung für die Umweltverschmutzungen, gesundheitlichen Beeinträchtigungen und die Verarmung der Einwohner entlassen sind. In Abwandlung an ein Brecht-Zitat wäre zu fragen, was ist der Diebstahl von Erdöl gegen die permanente Förderung und den Abtransport von Erdöl?

Kurz vor Redaktionsschluß erreichte uns die Meldung [2], daß die UNEP in einer Presseerklärung der obigen Darstellung widersprochen und erklärt hat, daß der Bericht erst im Oktober abgeschlossen und nicht vor 2011 veröffentlicht werde. Bei den Zahlenangaben handele es sich um Abschätzungen der Regierung Nigerias, die sich teils auf Daten berufe, die von der Erdölindustrie geliefert wurden. Sie gäben nicht die Ergebnisse der noch laufenden Ermittlungen der UNEP wieder.


*


Anmerkungen:

[1] "Outrage at UN decision to exonerate Shell for oil pollution in Niger delta", 22. August 2010
http://www.guardian.co.uk/environment/2010/aug/22/shell-niger-delta-un-investigation

[2] "UN environment agency stresses that Nigerian oil assessment is not yet complete", UN News, 23. August 2010

24. August 2010